YOLO. Paul Sanker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Sanker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658548
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      Nachdem Tobi sich noch schnell zwei Cheeseburger aus der offenen Tüte gesichert hatte, verschwand er mit Henrik in seinem Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab.

      Die beiden setzten sich auf die alte, abgewetzte Schlafcouch unterm Fenster. Tobi machte es sich bequem, indem er seine ausgestreckten Füße auf dem Sessel neben der Couch ablegte. Während sie aßen, besprachen sie ihre weiteren Pläne.

      »Frank erwartet uns gegen zwei im Molocco«, sagte Tobi. »Was willst du denn unternehmen, wenn du erfahren hast, was du wissen willst?«

      »Was ich unternehmen werde?« Henrik fletschte die Zähne, obwohl er kaute, sodass er kleine Hackfleischbröckchen auf den Teppich spuckte. »Ich werde eine Strategie entwickeln, wie ich bei unserem Gildentreffen an den Schattenmagier her-ankommen kann. Und wenn es sein muss, prügele ich die Informationen aus diesem Lord Dragon und seiner Schmeißfliege Tulsadoom heraus.« Sein Gesicht verfärbte sich rot, weil bereits wieder Wut in ihm hochstieg.

      »Das wird gar nicht einfach sein, Alter«, nuschelte Tobi, die Backen vollgestopft wie ein Hamster. »Der wird ständig von seiner Gilde bewacht. An den kommst du so leicht nicht ran.«

      »Mir wird schon was einfallen«, zischte Henrik böse, als säße Lord Dragon bereits neben ihm.

      Tobi winkte beschwichtigend ab. »Ist ja gut, Kumpel. Ich denke, dass wir uns auf den Weg machen sollten, Frank erwartet uns.«

      Sie traten wieder ins Wohnzimmer. Tobis Eltern saßen immer noch vor dem Fernseher. Mittlerweile hatte die nächste Talkshow begonnen. Thema: Hilfe, ich glaube, mein Vater ist schwul!

      Kurz vor zwei Uhr kamen die beiden Freunde im Molocco an, das um diese Zeit geschlossen war.

      Frank genoss das Privileg, kostenlos in einem Hinterzimmer des Etablissements zu wohnen. Noch völlig verschlafen öffnete er dem Bruder und Henrik gähnend die Tür und winkte die beiden herein. Sie folgten ihm an die Bar. Dort mixte sich Tobis Bruder einen Gin-Tonic, kippte ihn in einem Zug in sich hinein, wischte sich mit der Hand den Mund ab und seufzte: »Leute! Bin ich kaputt! Das war mal wieder ‘ne lange Nacht.«

      Die schwarzen Haarsträhnen hingen Frank wirr im Gesicht. Mit verquollenen Augenlidern schaute er seine bislang stummen Besucher an. »Also, was wollt ihr Komiker von mir? Ich habe nicht viel Zeit.«

      Sie setzten sich an einen Tisch neben dem Eingang. Frank holte ein Päckchen Tabak aus der Gesäßtasche seiner schwarzen Jeans und drehte sich eine Zigarette. Henrik fiel auf, dass Tobis Bruder seinen auffälligen Silberring mit der Schlange heute nicht am Finger trug. Geringschätzig zog er den linken Mundwinkel herunter: Das war eh alles nur Großmannsgehabe! Was hatte dieser Penner schon Wichtiges zu tun, außer Kotze vom Vortag aus den Klos zu wischen? Aber er würde sich hüten, solche Gedanken Frank gegenüber laut zu äußern, denn er hatte miterlebt, wie dieser eines Abends einem randalierenden Gast mit der Faust das Nasenbein gebrochen hatte. Im Zusammenhang damit fiel Henrik sein eigenes schmerzliches Prügelerlebnis wieder ein.

      »Wir machen’s kurz«, sagte er. »Kennst du drei Kerle, so zwischen zwanzig und achtundzwanzig Jahren alt? Widerliche Gothics, die häufiger im Molocco rumhängen? Einer von den Typen hat ein Tattoo am Unterarm mit dem Schriftzug For Tulsadoom in love oder so ähnlich.«

      Die Augen des Barkeepers blitzten wachsam auf. Er fixierte Henrik, dem sofort ein unbehagliches Gefühl aus dem Bauch aufstieg. »Warum willst du das wissen?« fragte er leise und lauernd.

      Henrik schluckte. »Na, eigentlich nur so. Oder vielmehr … ich wollte …« Er geriet ins Stottern und setzte neu an. »Ich hab vor einigen Tagen im KoF mit ein paar Gamern gechattet. Einer von denen nannte sich Tulsadoom und wollte mit uns durch eine Quest ziehen. Weil ich dann nichts mehr von ihm hörte, dachte ich, dass dieser Grufti mit dem Tattoo ihn vielleicht kennt.«

      Henrik hatte versucht, harmlos zu klingen und Frank in die Augen zu schauen, doch schon bald musste er den Blick senken und betrachtete nun verlegen seine lange nicht geschnittenen, unsauberen Fingernägel.

      Frank grinste herablassend.

      Tobi scharrte unter dem Tisch unruhig mit den Füßen und zupfte nervös an seinem Nasenpiercing.

      Henrik wagte kaum, zu atmen. Er erwartete, dass Frank sie beide kurzerhand aus der Bar werfen werde.

      Doch zu seiner Überraschung sagte der Barkeeper mit ruhiger Stimme: »Ja, ich kenne den Kerl mit dem Tattoo. Er nennt sich Leslie und trifft sich regelmäßig mit sechs bis acht weiteren KoF-Spielern zu einer LAN-Party hier im Molocco. Sie gehören alle derselben Gilde an.«

      »Der Gilde der ehrwürdigen Schlangenmutter!«, platzte Tobi heraus. Henrik hätte ihn erwürgen können, weil er befürchtete, dass Frank misstrauisch wurde und nicht mehr weiterredete.

      Doch Tobis Bruder nickte zustimmend. »Genau die meine ich. Der Boss der Gilde nennt sich Lord Dragon.«

      Tobi setzte erneut zu einer Bemerkung an. Diesmal schnellte Henriks Arm wie der Leib einer Kobra vor und seine Finger krallten sich hart in den Oberarm des Freundes, sodass dieser unterdrückt aufstöhnte. »Taucht der Kerl auch manchmal hier auf?«, fragte er scheinbar beiläufig.

      Frank schüttelte den Kopf, blies den Rauch seiner Zigarette Tobi ins Gesicht und grinste spöttisch. »Nein, dieser Dragon hat sich bisher nicht blicken lassen. Allerdings handelt es sich um eine Riesengilde. Man spricht von mehreren Hundert Mitgliedern im In- und Ausland. Wer weiß da schon, wo Lord Dragon im Real Life lebt.«

      »Und Tulsadoom?«, fragte Tobi geradeheraus.

      Henrik presste die Zähne aufeinander. Sieben Jahre Fußpilz für diesen Schwachkopf, weil der nicht das Maul hielt!

      Aber auch diesmal gab Frank bereitwillig Auskunft! »Das ist, wie ich hörte, Lord Dragons Speichellecker, Laufbursche, Spion, Kundschafter, Bote – also der, der die Drecksarbeit macht. Dafür schleppt ihn Lord Dragon regelmäßig durch Schlachtzuginstanzen, levelt ihn hoch und füttert ihn zur Belohnung mit magischen Gegenständen.«

      »Weil wir gerade dabei sind: Hast du schon mal was von einem Armreif des schwarzen Schattenmagiers gehört?« Henrik versuchte wiederum beiläufig zu klingen, doch er hatte den Eindruck, als zuckte Frank erschrocken zusammen. Hastig blickte er über seine Schulter, als befürchte er, sie würden belauscht. Er brachte seinen Kopf nah an Henriks Gesicht. »Was hat der Armreif mit diesem Tulsadoom zu tun?«, zischte er.

      Henrik wich ein wenig zurück. »Äh …, der Kerl meinte, dass er eine Quest kennt, bei der es diesen sonderbaren Armreif als Belohnung gäbe«, log er, ohne mit der Wimper zu zucken.

      Frank blickte weiterhin misstrauisch, doch nach einer Weile sprach er unaufgefordert weiter. »Na gut, damit ihr endlich Ruhe gebt … Aber für die Geschichte muss ich länger ausholen und auf die Entstehung und die Grundzüge des Spiels Kingdom of Fantasy eingehen.«

      Tobi grinste vergnügt und knuffte Henrik aufmunternd vor die Brust: Die Sache läuft doch, hieß das.

      Henrik schüttelte die Hand seines Freundes ab wie eine lästige Fliege. Dieser ewige Pausenclown!

      Frank zündete die nächste Zigarette an und holte sich ein Glas Whiskeykola. Auf den Gedanken, seinen Besuchern etwas anzubieten, kam er nicht. Aber er erzählte nun: »Wie ihr vielleicht wisst, kam KoF vor über acht Jahren auf den Markt. Mittlerweile soll es weltweit fast neunzig Millionen User geben. Die Erfinder des Spiels – zwei Brüder namens Peter und Paul Winzig – sollen die grundlegende Spieltechnik und das Programm bereits vor über zwanzig Jahren entwickelt haben. Peter war von den beiden das Mathematik- und Computergenie und Paul derjenige, der sich um das Geschäftliche kümmerte. Ihm ist es zu verdanken, dass die Patente und Rechte der Vermarktung frühzeitig gesichert wurden. Paul starb unter dubiosen Umständen, sodass Peter zunächst des Mordes verdächtigt wurde. Es konnte ihm aber nichts nachgewiesen werden. Er tauchte später unter und arbeitete im Verborgenen an seiner Entwicklung weiter.«

      Henrik gähnte demonstrativ. Die Story interessierte ihn bislang nicht wirklich. Er hoffte, dass Frank bald zur