»Ich höre mal nach, was Butcher von mir will. Kann ich Sie so lange allein lassen?«
»Natürlich«, belächelte sie seine Frage. »Ich kann ja ohnehin nichts anstellen in Ihrem Büro.«
Das stimmte. Und dennoch war ihm nicht ganz wohl dabei. Nicht wegen seines Büros oder der vielen Unterlagen, es war vielmehr die Sorge, dass sie quasi schutzlos war. Dieser Gedanke gefiel ihm nicht. Überhaupt nicht.
»Wobei ich schon gern wüsste«, setzte sie an, und wieder sah sie ihm völlig unverfroren ins Gesicht, »welche Akte Sie da vorhin versucht haben, vor mir zu verstecken. Zu schade, dass ich sie nicht sehen kann.«
Taylors Kinnlade klappte sprichwörtlich herunter. »Woher …?«
Vidya zwinkerte ihm frech zu. »Ich kann vielleicht nichts sehen, aber ich kann hören! Sehr gut sogar. Das sollten Sie nie vergessen, Detective.«
Garantiert nicht! »Ich werde es mir merken!« Unglaublich fasziniert von der jungen Frau, die er erst seit wenigen Stunden kannte, stand er auf und verließ das Büro.
Jede Faser seines Körpers spürte instinktiv, dass es keine so gute Idee war, sich auf sie einzulassen. Er war ihretwegen ständig in einem Zwiespalt der Gefühle. Und obendrein hatte sie etwas in ihm geweckt, wovon er nicht einmal mehr wusste, dass es ihn noch gab: seinen Beschützerinstinkt.
Was würde erst mit ihm passieren, wenn sie länger gemeinsam ermittelten? Seite an Seite?
Diese Frage wollte er sich lieber nicht beantworten. Zumal er es nicht ausstehen konnte, wenn Dinge nicht nach Plan verliefen. Er hatte gern alles unter Kontrolle. Genau wie jetzt. Er wusste bereits, dass der Chief ihm den Arsch aufreißen würde, weil er diesen Fall gegen seinen Willen an sich gerissen hatte, aber das scherte ihn nicht. Ganz im Gegenteil!
Er war ja nicht hier, um es allen recht zu machen.
Kapitel 4
Mit einem dumpfen Krachen fiel die Bunkertür hinter ihm zu, knirschend rastete der Riegel ein. Reglos blieb er einige Herzschläge in der absoluten Dunkelheit des steilen Treppenschachtes stehen, dann streckte er zielsicher die linke Hand aus und zündete mit seinem Sturmfeuerzeug die erste Wandfackel an. Er nahm sie aus ihrer Halterung, stieg langsam die Treppe hinab und entzündete eine Fackel nach der anderen. Unten drehte er um und wiederholte den Vorgang beim Hinaufgehen, bis er erneut vor der Tür stand. Nachdem er die Fackel wieder befestigt hatte, wandte er sich nach links, kreuzte die Arme vor der Brust und verneigte sich ehrfürchtig.
»Gegrüßt seist du, Herr der Toten. Dein ergebener Diener ist hier, deinen Willen zu vollstrecken und deinen Segen zu empfangen.«
Erst jetzt öffnete er die Augen. Wie jedes Mal sah ihn Anubis aus der Wandnische heraus schweigend an. Die schwarzgoldenen Verzierungen der mannshohen Statue schimmerten im flackernden Licht. Der Blick des schakalköpfigen Standbildes schien ihm zu folgen, als er sich wieder an den Abstieg machte. Während er im Vorraum die notwendigen Utensilien für die nachfolgende Prozedur aus den Regalen nahm, rezitierte er leise Beschwörungsformeln, um seinem Herrn gefällig zu sein. Er wusste, der König der Unterwelt war ihm gewogen. Hatte er doch in monatelanger Kleinstarbeit die Wände des unterirdischen Tempels bemalt und die Räume für das Ritual vorbereitet. Er allein hatte Blut und Schweiß gegeben, um Anubis dieses Haus zu errichten.
Es gab insgesamt drei Kammern im Heiligtum. Den Vorbereitungsraum, das Allerheiligste mit dem Altar vor der drei Meter hohen Statue und die Aufbewahrung, in der die Gaben darauf warteten, dass seine Hände sie zu würdigen Opfern erhoben.
Er gab Wasser in die bereitstehende Alabasterschale und begann, den schwarzen Marmorblock zu reinigen. Der Anblick des Herabrinnens der im Fackellicht schimmernden Tropfen hatte etwas Meditatives.
Diesmal musste er alles richtig machen. Eine ähnliche Schlamperei wie bei der vorherigen Gabe würde der Gott nicht noch einmal dulden und ihm schlimmstenfalls seinen Segen vorenthalten. Er hatte gelernt, dass er die Herzen der Geschenke mit Hoffnung und nicht mit Furcht erfüllen musste. Dann würden sie willig ihrem Zweck dienen.
Zurück im Vorbereitungsraum strich er sich den dünnen Bademantel von den breiten Schultern. Nur mit einem Schurz aus ägyptischem Leinen bekleidet schauderte er im ersten Moment in der kühlen Luft. Ehrfurchtsvoll nahm er die Schakalmaske von ihrem Sockel und stülpte sie sich über. Durch die Öffnungen unter der langgezogenen Schnauze konnte er sehen. Er war sehr stolz darauf, dass ihm die Nachbildung des einzig erhaltenen Exemplars, welches sich in Deutschland in einem Museum befand und von dessen Kopie er in Boston einen Abdruck hatte nehmen können, so gut gelungen war. Die von ihm verwendete Maske aus mit Epoxidharz verstärkter Leinwand war allerdings tragbar und haltbarer als das zerbrechliche Original aus Ton. Zudem hatte er sich erlaubt, sie zu Ehren von Anubis mit Blattgold zu verzieren.
Mit einem letzten Blick versicherte er sich, dass alles bereit lag. Zufrieden entriegelte er die Tür der Aufbewahrung. Gänsehaut kroch über seine Haut, als er in den Kühlraum trat und sich, die leeren Hüllen der unwürdigen Gaben leicht beiseiteschiebend, seinen Weg in den hinteren Teil bahnte. Er würde wohl zeitnah einige davon entsorgen müssen, sie nahmen zu viel Platz weg. Aber das war nicht weiter schlimm, seine Hunde waren immer hungrig.
Das weibliche Gefäß war noch nicht wieder zu sich gekommen. Das war gut, machte es den Transport doch stressfreier. Er griff nach oben, hob die Kette aus dem Haken und schulterte den kühlen Körper. Anschließend legte er den nackten Leib bäuchlings auf den Vorbereitungstisch und löste, nachdem er sich Handschuhe übergestreift hatte, das Klebeband, welches die Arme auf dem Rücken fixierte. Der hellblaue Latex um seine Hände widerstrebte ihm, es brach das Bild der heiligen Handlungen. Aber ihm war klar, dass es so besser war. Dass seine Feinde ihn ansonsten zu schnell finden und seinen Weg frühzeitig beenden würden.
Er drehte die Frau auf den Rücken und fesselte sie mit breiten Lederriemen an Armen und Beinen an den Tisch. Nachdem er ihr die langen, roten Haare aus dem Nacken gestrichen hatte, legte er einen letzten Riemen um ihren Hals und zog ihn soweit fest, dass sie gerade eben noch Luft bekommen würde. Dann stellte er sich ans Fußende und wartete darauf, dass sie aufwachte. Sein Blick war stur auf ihr Gesicht gerichtet, die harten Brustwarzen oder die gespreizte Scham interessierten ihn in keiner Weise. In Gedanken dankte er seinem Herrn für die Willensstärke, den Verlockungen des Fleisches widerstehen zu können, um sich völlig auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Als sie erwachte, reagierte sie wie erwartet. Sie versuchte, sich zu bewegen, und geriet in Panik, sobald ihr bewusst wurde, dass sie gefesselt – und nackt – war. Als sie ihn registrierte, begann sie zu schreien.
»Still. Niemand wird dich hören. Tu, was ich dir sage, und du wirst frei sein. Kämpfe gegen mich und du wirst unsagbar leiden. Verstanden?«
Mit tränennassen Augen starrte sie ihn einige Herzschläge an, dann nickte sie. Den Kampf gegen die Fesseln aufgebend lag sie leise zitternd vor ihm. Ihre Hoffnung darauf, dass er sie freilassen würde, war seine stärkste Waffe. Er hatte zuvor diverse Betäubungsmittel erprobt, aber die Ergebnisse waren stets unbefriedigend gewesen.
»Gut. Dann werde ich nun beginnen. Rühr dich nicht, dann wirst du nicht verletzt.« Er nahm die Schale mit dem Halawa und die zugeschnittenen Stoffstreifen zur Hand und fing an, mit Hilfe der Honigpaste nach und nach jegliche Körperbehaarung zu entfernen. Sie machte es ihm leicht, den Intimbereich hatte sie, aus der Eitelkeit der modernen Menschen heraus, bereits enthaart. Ob sie wusste, dass diese Modeerscheinung schon den alten Ägyptern bekannt gewesen war?
Als er an ihren Kopf trat und die Haare zu einem Zopf zusammenfasste, begann sie zu betteln und zu flehen. Appellierte an sein Herz und redete ihm ein, dass er das hier nicht tun müsste. Er würdigte ihre Unwissenheit nicht mit einer Antwort, sondern griff zum Rasiermesser. Dicht über der Kopfhaut schnitt er den schimmernden Bund ab und legte ihn zur Seite, ehe er sich daran machte, der leise wimmernden Frau den Schädel zu scheren.
Er ließ sich Zeit und arbeitete voller Sorgfalt, immer darauf bedacht, sie nicht zu schneiden. Kein Tropfen Blut durfte vor dem Ritual vergossen werden.