Kapitel 1
Der Jäger erstarrte in der Dunkelheit. Ein Zephir flüsterte durch die Kiefern wie ein körperloser Geist; Schatten und fahles Mondlicht, die durch das Sieb des wolkenverhangenen Himmels sickerten, ließen die Bäume aussehen, als würden sie winken. Kalte Tropfen rannen von den Nadeln über ihm seinen Nacken hinunter, aber das ignorierte er. Er war eins mit dem Regen.
Mit Disziplin und Konzentration filterte er den Klang glucksenden Wassers in der Nähe aus, aber erst, nachdem er sich gefragt hatte, welche anderen Geräusche womöglich von dem Strom verdeckt wurden. Sein Jägerauge hatte eine Bewegung erspäht, die nicht von einem Ast herrührte. Es mochte ein Eichhörnchen gewesen sein, ein Waschbär oder ein Opossum. Es konnte seine Beute gewesen sein. Er wartete, suchend und lauschend, ließ aber die LED-Lampe an seiner Stirn ausgeschaltet, damit er eins mit der Nacht sein konnte.
Der Wald wurde von einem weiteren Geräusch gestört, ein Objekt, das durch die Luft sauste, gefolgt von einem leichten Aufprall auf dem Boden zu seiner Linken. Vielleicht ein Kiefernzapfen, der vom Ast gefallen war. In dem Augenblick, in dem der Jäger seinen Kopf drehte und seinen Blick zusammen mit seinem Gewehr in die neue Richtung lenkte, beschlich ihn das fragwürdige Gefühl tief in der Magengrube, dass er hereingelegt worden war.
Jemand rauschte mit einem Ächzen in seine Seite, aber er hielt sich auf den Beinen und wankte umher, begleitet vom Klappern der Granaten, die an seiner Funktionsweste baumelten. Er hatte seine Beute schon viele Male im Tageslicht gesehen. Dies sollte keine große Sache werden, selbst wenn sie angriffslustig sein sollte. Er war eins mit seinem Ziel.
Der Jäger senkte sein Gewehr und war kurz davor, seine Beute dazu zu drängen, friedlich mit ihm zu gehen, als er eine Pistole in der Dunkelheit vor sich schweben sah. Er ließ seine Hand auf das Holster an seiner Hüfte fallen und stellte zu seiner Überraschung fest, dass es leer war.
Er blickte seiner eigenen Waffe entgegen.
Drei schnelle Schüsse. Er sah das Mündungsfeuer und fühlte, wie seine gesamte Brust schrecklich brannte, als die Patronen vom Kaliber .45 ihn vernichteten. Er stürzte und rutschte schlaff einen matschigen, steilen Abhang hinunter.
Irgendwo, bevor er in den Wasserlauf am Boden stürzte, war er eins mit den Toten.
Kapitel 2
Ben Blackshaw erwartete keinen Besuch. Als er steif von seinem Feldbett rollte, fiel seine Ausgabe von Aldo Leopolds A Sand County Almanac als zerfledderte Ansammlung von Seiten zu Boden. Obwohl es noch dunkel war, stopfte er seine besockten Füße roboterhaft in die steifen, kalten Springerstiefel, die auf dem frostigen Stahl des Kabinenbodens warteten. Er wünschte, er hätte den kleinen Schmelzofen über Nacht angelassen. So viel zum warmen Mai. Es schien, als herrschten dem Kalender zum Trotz immer noch Aprilschauer vor. Er konnte das dumpfe Prasseln der Regentropfen hören, die auf das Deck über ihm peitschten.
Da war wieder dieses Geräusch. Es war also doch kein Traum gewesen. Das benommene Gefühl, zu früh geweckt worden zu sein, verging, aber der gedämpfte Gong hallte immer noch unter ihm, vermutlich nahe dem Laderaum 2, weit achtern vom Bug des alten Liberty-Frachters.
Ben schlüpfte in seine Feldjacke. Als er vorsichtig die verrosteten Leitern und Treppen in Richtung Laderaum hinabstieg, wusste er, dass die American Mariner nicht auf Grund gelaufen sein konnte. Sie war während der Johnson-Regierung absichtlich auf einer Sandbank in der Chesapeake Bay versenkt worden und hatte dem Patuxent River Marinestützpunkt als Zielübungsschiff gedient. Die Piloten von Pax River hatten in den frühen Siebzigern aufgehört, den Schiffsrumpf zu bombardieren. Nachdem die American Mariner weltweit den amerikanischen Streitkräften gedient hatte, vom Trainingsschiff bis zur Raketenvermessung, würde sie sich heute Nacht auch nicht mehr rühren.
Bens kleine Taschenlampe war mit einem roten Filter ausgestattet, um seine Nachtsicht nicht zu stören und zu verhindern, dass einzelne Lichtstrahlen durch ein ungünstiges Einschussloch drangen und dadurch einen aufmerksamen Bootsfahrer auf seine Fährte lockten. Sein Herz schlug schneller, als er seine langsame Pirsch nach unten fortsetzte. Er fragte sich, was zum Geier gegen seinen einsamen Unterschlupf irgendwo im Nirgendwo knallte. In den Monaten, seit er sich an Bord des verfallenen Wracks versteckte, war nur ein einziges Mal ein Baumstamm in den Laderaum getrieben worden, durch den Schlund auf Höhe der Wasserlinie, wo jahrzehntelang Eis mit Brackwasser und Rost zusammengearbeitet und den Rumpf von Backbord bis Steuerbord zerschnitten hatten. Zu der Zeit waren Wellenhöhe und Tidenhub ideal gewesen, um den halb versunkenen Stamm von mehreren Tonnen Gewicht direkt in den Laderaum zu rollen. Es war gefährlich gewesen, den Stamm im Kampf gegen Wind und Wellen zu befreien, da der Baum ihn jederzeit gegen die gezackte, klaffende Wunde im Schiffsrumpf hätte quetschen und damit zweiteilen können. Das Treibgut im gähnenden Frachtraum herumpoltern zu lassen, stand aber außer Frage. Die dröhnenden Einschläge waren nicht auszuhalten gewesen. Wie das Brüllen eines ewigen Sturms hatten sie seinen Verstand gefährdet.
Hatte sich Bens eigenes Schlauchboot aus seinem Versteck hinter Trümmern im Laderaum befreit? Unwahrscheinlich. Als ehemaliger SEAL kannte sich Ben mit Knoten und Tauen aus. Er betete, dass er nicht das Boot eines neugierigen Eindringlings hörte, wie es rhythmisch an seiner Fangleine zerrte und mit den wachsenden Wellen des Sturms gegen das Schiffswrack stieß. Das schlechte Wetter sollte redliche Menschen am Ufer halten. Gegner,