Er konnte sein Haus auf Smith Island durch den grauen Regen hindurch nicht sehen, aber er spürte den Sirenenruf von Heim und Herd, der sein Herz in Sehnsucht tauchte. Eines Tages würde er als freier Mann über seine Türschwelle treten, lebendig und unter seinem eigenen Namen. Aber nicht heute. Nicht dieses Mal. Vorerst war er als Toter in allen Datenbanken aufgeführt, die solche Dinge verzeichneten, und in den schattigen Untiefen seiner Seele musste er diesem Urteil beipflichten. Das würde sich ändern. Es musste, oder er würde durch die Trauer über den Verlust seines alten Lebens den Verstand verlieren.
Mit der herannahenden Flut fuhr er zwischen Cheeseman und Shanks Island hindurch, die kaum mehr als Sandbänke waren. Dann kreuzte er nach Norden, um South Point und Peach Orchard Point herum. Nach kurzer Zeit steuerte er nordwestlich in die kleine Meerenge, wo sein Freund Knocker Ellis lebte.
Ellis' Saltbox lag in einer höheren Lage, die durch Zeit, steigendes Wasser und sinkendes Marschland von den anderen hundert Vollzeit-Seelen abgeschnitten worden war, die die Gesamtheit der hiesigen Zivilisation ausmachten. Ellis konnte zu Fuß über eine lange, umständliche Reihe von Stegen und groben Bohlenwegen zum Rhodes Point laufen, aber er zog es vor, das Deadrise Miss Dotsy zu nehmen, auf das er bis zu glücklicheren Zeiten für Ben aufpasste. Wenn das Passieren seiner eigenen Saltbox schon einen nostalgischen Gemütszustand herbeiführte, dann zog der Anblick von Miss Dotsy, wie sie mit ihren perfekt gespannten Vor- und Achterleinen im Wasser lag, Bens Lebensgeister nur noch mehr runter. Das Boot gehörte seinem früheren Selbst; wirklich einem ganz anderen Mann aus einer längst vergangenen Zeit.
Tatsächlich hatten sich mehrere anstrengende Monate und ein harter Winter vom Kalender geschält, seit er irgendeinen Teil des Smith-Island-Archipels betreten hatte. Aber nichts blieb für immer unverändert, nicht mal dort. Auf dem sumpfigen Hügel, den Ellis sein Zuhause nannte, fielen Ben ein paar Veränderungen sofort ins Auge. Etwa fünfzehn Meter vom Wasser entfernt stand ein großer, alter Geräteschuppen. Er protzte mit neuen Dachschindeln. Die alten, zerbrochenen Fenster waren durch neue Scheiben ersetzt. Diese Neuerungen waren verständlich, da Ellis nun unvorstellbar reich war. Das große Rätsel war nur, warum Ellis' alter Handrasenmäher, Rechen, Schaufel, seine Sense und andere Gerätschaften draußen gegen den Schuppen gelehnt im Regen standen. Ellis war sonst sehr gewissenhaft, was seine Werkzeuge anging.
Die achtlose Umsiedlung seiner Utensilien war nicht das Einzige, was Bens Aufmerksamkeit erregte. Ein neuer Weg war aus dem Rasen, der vom Schuppen bis zum Wasser reichte, herausgeschnitten worden. Ein bis zwei Tonnen Splitt machten diesen Pfad in den meisten Jahreszeiten begehbar. Am Wasserende des Weges stand ein Pfosten aus druckimprägniertem Kiefernholz auf einem Betonfundament. Obendrauf thronte ein nagelneuer Briefkasten. Verdutzt überquerte Blackshaw die kleine Grasfläche, die sich gerade vom Winter erholte, und klopfte an die zur Wasserseite gelegene Haustür der Saltbox.
Ellis öffnete die Tür so schnell, dass offensichtlich war, dass er Bens Nahen beobachtet hatte. Der Ankömmling bemerkte, wie dünn sein Freund geworden war, während er die Blutvergiftung bekämpft hatte, die er sich während ihres letzten Einsatzes durch eine spät behandelte Schusswunde im Bein zugezogen hatte. Seine schwarze Haut lag gespannt über den Sehnen an seinem Hals.
Ellis sprach, bevor Ben seinen Freund begrüßen und die Angelegenheit von Tally auf den Tisch bringen konnte. »Hey, Pilger«, sagte er und nahm eine Barbour Beaufort Feldjacke von einem Haken neben der Tür.
Ellis schien in Eile zu sein, als er sie anzog, und erklärte: »Muss die Post reinholen. Dann können wir Kaffee trinken.« Die eigenartige Begrüßung handelte ihm einen scharfen Blick ein, auf den er antwortete: »Jetzt komm schon. Bist du nicht eh schon nass?«
Bens Verwirrung wurde nur noch größer, als Ellis auf den renovierten Schuppen anstatt den Briefkasten zulief. Als Ellis das bemerkte, rief er über seine Schulter: »Wirst schon sehen.«
Er wartete auf Ben an der Vorderseite des Schuppens und sagte: »Wirf da mal ein Auge drauf.« Er öffnete das Garagentor, schaltete eine Deckenleuchte ein und beobachtete interessiert Bens Gesicht.
»Heiliger Strohsack. Ellis, was ist das?« Schuhe, Mopeds und Golfwagen waren die üblichen Fortbewegungsmittel auf Smith Island. Blackshaw beugte sich herab, um den schnittigen schwarzen Sportwagen, der in der einzigen Parkbucht des Schuppens Platz fand, genauer zu untersuchen.
»Bugatti Veyron. Schnellster straßentauglicher Serienwagen der ganzen Welt. Knapp zwei Millionen Dollar. Der schafft vierhundert Stundenkilometer und ein paar Zerquetschte.«
Ben starrte seinen Freund an. »Vierhundert Sachen sind natürlich mit Gold kaum aufzuwiegen.«
»Und damit kennst du dich ja aus, stimmt's?« Als Bens Partner bei der Bergung des gestohlenen Goldes vom Grund der Chesapeake akzeptierte Ellis dankbar seine vollen fünfzig Prozent Anteil an den Einnahmen durch die Kunstwerke, die sein Kompagnon produzierte. Ben teilte seine eigene Hälfte gleichmäßig unter dem Rest der Familien auf Smith Island sowie vielen Männern auf Tangier Island im Süden auf, die sich bei der blutigen Mission nützlich gemacht hatten. Diese vorteilhafte Aufteilung machte Ellis zum reichsten Mann auf Smith und im meilenweiten Umkreis auf dem Festland.
»Halleluja, Ellis. Was für 'n Gerät.« Dann betrachtete Ben die fünfzehn Meter Weg, die vom Schuppen zum Briefkasten am Ufer führten. Es gab sonst keine andere Straße auf diesem sumpfigen Stück Land.
»Machen wir 'ne Spritztour«, schlug Ellis vor.
»Wohin geht's?«
»Hab ich schon gesagt. Post holen.«
Blackshaw zwängte sich in den engen Spalt zwischen der Garagenwand und dem Auto und bemerkte dabei die polierten Wärmetauscher hinter dem Cockpit. Er dachte gerade an Miss Dotsys zweckdienlichen Vierzylindermotor, als Ellis sagte: »Tausend PS und mehr.«
»Und mehr?«
»Einiges mehr.«
»Na Gott sei Dank. Gehört Bugatti jetzt nicht zu Volkswagen?«
Ellis verzog das Gesicht. »Ich zieh dir gleich das Fell über die Ohren. Steig ein.«
Ben öffnete die Wagentür und schlüpfte in den engen Sportsitz aus hellbraunem Leder auf der Beifahrerseite. Mit seinem längeren und schmaleren Körperbau rutschte Ellis mit Leichtigkeit hinter das Steuer. Er drehte den Zündschlüssel und wartete, bis verschiedene Lichter auf der schlichten, geschwungenen Instrumententafel zum Leben erwachten. Nachdem ein paar Piepser anzeigten, dass alles betriebsbereit war, drückte Ellis den großen Startknopf auf der Mittelkonsole aus Stahl und noch mehr Lichter gingen an. Die große Maschine hinter ihnen brüllte bedrohlich. Der alte Schuppen wackelte von der enormen Kraft.
»Sechzehn Zylinder. Vier Turbos.«
Ben musste seine Stimme über den Lärm erheben, um zu fragen: »Holst du deine Post nich' mehr aus 'm Postamt in Ewell?«
»Klar doch«, erklärte Ellis mit großer Geduld. »Und dann leg ich sie in den neuen Briefkasten dort. Dann gehe ich ins Haus und trinke 'ne Tasse Kaffee. Ich hab 'ne neue Espressomaschine. Bitte anschnallen.«
Trotz der Dringlichkeit seines Besuchs kam er der Anweisung nach. Ellis machte noch ein paar Anpassungen, die sein Freund nicht sehen konnte. Als Ben einen Servo winseln hörte, schaute er über seine Schulter und sah, wie der Heckflügel in der Karosserie verschwand, wodurch der gesamte Wagen noch tiefer am Boden zu kauern schien.
Ellis spielte an den Bedienelementen am Lenkrad und das Grollen des Motors wechselte die Tonart. Die Bestie schob sich langsam aus dem Schuppen. Ben wappnete sich gegen den Moment, in dem sein Freund aufs Gas stieg, den Splitt regnen ließ und sie bis zum Hals ins Wasser katapultierte, oder vielleicht bis nach Brasilien. Aber Ellis kam nicht über Schneckentempo hinaus.
Stattdessen