„Was?“
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Wir erreichten ein Brownstone-Haus in Chelsea, stellten den Sportwagen am Straßenrand ab und stiegen aus. Donna McNolan war uns mit ihrem eigenen Wagen gefolgt.
Ein Ford in silber-metallic stand vor dem Haus.
Einsatzkräfte der City Police hatten bereits alles umstellt, aber die Anweisung sich zurückzuhalten.
„Ich werde zuerst mit meiner Schwester reden“, beharrte Donna McNolan. „Und Sie sind sicher, dass diese Jennifer Garrison sich hier befindet?“
„Zumindest ihr Handy“, antwortete ich. „Allerdings hatten wir während der Fahrt hier her noch einmal Kontakt mit dem Field Office. Das Gerät ist jetzt abgeschaltet.“
Noch in der Cafeteria hatte uns Donna McNolan den wahren Grund ihres Interesses an dem Fall des ‚Barbiers’ offenbart. Schon seit längerem hatte sie den Verdacht gehabt, dass ihre Zwillingsschwester Alicia irgendetwas damit zu tun hatte. Sie lebte zurückgezogen in Chelsea und litt unter einem schweren Trauma aus ihrer Kindheit, wie Donna uns berichtete. Ein Großteil ihrer Körperoberfläche war durch die Folgen eine Brandes entstellt geblieben, was in ihr einen tiefen Hass gegen alles Schöne und Wohlgestaltete geweckt hatte.
Und nach Aussage von Donna war sie stets auf der Suche nach Menschenhaar, denn ihre Leidenschaft war das Anfertigen von Porzellan-Puppen geworden, die sie am liebsten mit Echthaar ausstattete.
Donna hatte die Wahrheit wohl erst nicht wahrhaben wollen und in dem Fall so intensiv recherchiert, weil sie nach entlastenden Momenten gesucht hatte.
Aber die Tatsache, dass Jennifer Garrisons Handy in Alicias Haus geortet worden war, schien es auch für sie nicht länger vertretbar, mit ihren Vermutungen hinter dem Berg zu halten.
Wir gingen zur Tür.
Donna klingelte. Keine Reaktion. Sie versuchte es ein zweites Mal.
„Haben Sie einen Schlüssel?“, fragte ich.
„Nein. Ich hatte sie gebeten, ein paar Tage bei ihr wohnen zu dürfen. Angeblich, weil ich auf Grund meiner Recherchen verfolgt werde. Aber sie wollte das nicht. Jetzt weiß ich auch, weshalb.“
„Wir müssen die Tür gewaltsam öffnen“, sagte Milo. „Wer weiß, vielleicht kommen wir auch schon zu spät.“
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Bilder aus der Vergangenheit stiegen in Alicia auf. Sie war wieder zehn Jahre alt. Flammen loderten. Sie sah ihre Mutter, aber anstatt zu ihr zu kommen und ihr zu helfen, schreckte sie zurück. Die verzweifelten Schreie ihrer Tochter schienen sie nicht zu rühren. Alicia glaubte auch, den Grund zu kennen. Dass ihre Mutter für Geld mit Männern schlief, wusste Alicia auch mit zehn Jahren schon. Es war ein Geheimnis, dass an niemanden verraten werden durfte. „Wenn die Polizei das erfährt, kommt ihr ins Heim“, hatte Mom immer gesagt.
Damit Mom von Männern angesprochen wurde, musste sie schön sein. Das war der Grund, weshalb sie jetzt nicht half! Sie wollte nicht, dass ihre Haare verbrannten. Es war ihr wichtiger, schön zu bleiben, als ihre Tochter zu retten.
„Mom!“, murmelte Alicia, während sie die Haare, die sie Jennifer Garrison abgeschnitten hatte, sorgfältig in eine Plastiktüte steckte.
Jennifer wandte den Kopf.
„Was haben Sie gesagt?“, murmelte sie – inzwischen halb wahnsinnig vor Angst.
Alicia lächelte.
Dann nahm sie die Drahtschlinge.
„Es ist gerecht“, sagte sie laut.
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Anstatt durch den gut gesicherten Vordereingang, brachen wir über die Terrassentür in die Wohnung ein, die sich leicht aushebeln ließ.
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