Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber. Christian Schmid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Schmid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783305005017
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rufen wird» mit êr thaz huan singe; selbstverständlich brauchte er daneben auch das Wort hano «Hahn». Noch heute verwenden wir Huhn als Gattungsbezeichnung, wenn wir von den Hühnervögeln oder hühnerartigen Vögeln sprechen, vom Rebhuhn und vom Zwerghuhn. Wenn wir Hühner sagen, meinen wir oft die Hähne mit. Unsere wichtigsten Bezeichnungen für das Huhn sind jedoch vom Wort Hahn abgeleitet:

      Huhn ist ein Erbwort aus dem Germanischen, und zwar eine Ablautbildung zu Hahn. Das aus dem Westgermanischen entlehnte Henne ist eine alte weibliche Bildung zu Hahn mit der ursprünglichen Bedeutung «die zum Hahn Gehörige». Auch das Lateinische leitet die weibliche Bezeichnung gallina «Huhn, Henne» von gallus «Hahn» ab. Aus gallina wurde französisches geline, das jedoch durch poule ersetzt wurde, eine Bezeichnung für «junges Huhn», abgeleitet von lateinisch pullus «junges Tier, Küken». Zu gallina gibt es die lateinische Redensart gallina scripsit «das hat ein Huhn geschrieben»; Plautus (um 254–187 v. Chr.) brauchte sie, um eine unleserliche Schrift zu kritisieren. Von daher kommt vielleicht das seit dem 17. Jahrhundert belegte Wort Hühnerschrift oder Hühnerpfote, das eine unleserliche Schrift mit einem Gewirr von Hühnerspuren vergleicht; «als sey sie mit Hüner Pfoten geschrieben» (1708).

      In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz nennen wir das Huhn meistens Huen oder Hue, Hüeli mit der Mehrzahlform Hüen(n)er, in einigen Mundarten Hoo mit der Mehrzahlform Höör. Auch die Bezeichnungen Henn, Hene, Mehrzahl Henni, kommt vor. Der Berner Oberländer Melchior Sooder erwähnt in seinen «Zelleni us em Haslital» von 1943 «d’Henni ung Gäiss (Gänse)».

      Seit dem 17. Jahrhundert ist die Bezeichnung Mistkratzer für Huhn belegt. Im «Misthauffen dess ungeduldigen Jobs» von 1684 bezeichnet ein Theologe seine Widersacher als «junge Mistkratzer». Der «Nürnberger Beobachter» von 1858 fragt: «Es heisst doch, das Hühnerlaufenlassen in der Stadt ist verboten; warum sieht man aber diese Mistkratzer noch auf gewissen Plätzen in der Stadt ganz ungenirt herumsteigen?» Als Wort des Rotwelschen, d. h. der traditionellen Gaunersprache, wird Mistkratzer «Huhn» sowohl von Bischoff (1822) wie auch von Avé-Lallemant (1862) aufgeführt. In einigen landwirtschaftlichen Zeitschriften vom Ende des 19. Jahrhunderts hat Mistkratzer die Bedeutung «Huhn von geringem Wert» oder «junger Hahn». Im heutigen Schweizerdeutschen ist das Mischtchratzerli ein «Brathähnchen».

      Die Bezeichnung Legehuhn oder Legehenne für ein Huhn, das Eier legt, ist alt. Bereits 1686 lesen wir in einer Kriegsschilderung von «Leg-Hennen», 1705 in einem Hausväterbuch von «Leg-Hüner» und «Leg-Hennen». Weil Legehennen nach dem Legen oft lautstark gackern, entstand die Redensart verschwiegen sein wie ein Leghuhn «alles ausplaudern». Melchior Kirchhofer führt sie 1824 in seiner Sammlung schweizerischer Sprichwörter auf: «Er ist verschwiegen wie ein Leghuhn.» Die Bezeichnung Masthuhn ist jünger, aber vom Hühnermästen berichtet bereits Girolamo Ruscelli (1518–1566). Hans Jakob Wecker, der Stadtarzt von Kolmar, übersetzte Ruscellis «Kunstbuch des Wolerfarnen herren Alexii Pedemonta» (1581) ins Deutsche, und dort lesen wir im Abschnitt «Hüner zu mesten oder feist zu machen», wie man diese Tiere quälte. Man hielt sie im Dunkeln, zwang sie zur Bewegungslosigkeit und gab ihnen Kraftfutter:

      «Die hüner werden vast (sehr) feist / so man sie an dunckel unnd warmen orten mit gerstenmeel und wasser durch einander vermischt mestet / auch inen die flüg federn ausszeucht.»

      Lässt man eine Legehenne Eier ausbrüten, wird sie zur Bruthenne, zum Bruthuhn oder zur Glucke, mundartlich Glugge(re). Die Bezeichnung «brut henne» kommt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits im «Sachsenspiegel», einem Rechtsbuch, vor; es legte fest, dass das Wehrgeld, d. h. die Busse, für ein getötetes Huhn einen halben Pfennig betragen soll, für eine Bruthenne während der Brutzeit jedoch drei Pfennige.

      Das Wort Kluck(e) «Glucke», seit 1409 belegt, ist eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Es ahmt den Laut nach, mit dem die Bruthenne ihre Küken ruft: sie gluckt. Die Bezeichnung Glucke, Gluggere lässt sich auf eine sehr fürsorgliche Mutter übertragen: Sie ist eine Glucke und lässt ihre Kinder nie aus den Augen. Der Reformator Martin Luther nennt in der Auslegung des Johannesevangeliums von 1527 Gott «eine edele henne, ein fein gluckhun» und eine «gluckhenne», weil er die Gläubigen wie eine Glucke unter seine Fittiche nimmt. Er brauchte Glucke auch, um den Sternhaufen der Plejaden bzw. das Siebengestirn zu bezeichnen, so wie Theodor May, der 1619 schreibt: «Die Glucken sein die siben kleine Gestirn.» Auch die Familiennamen Gluckhuhn, Gluckhohn, Glickhuhn, Gluckha(h)n sowie Kluckhuhn und Kluckho(h)n gehen zum Teil auf die alte Bezeichnung für die Bruthenne zurück; der erste Namensteil kann aber, wie bei Gluck, auf Glück oder dann auf klug zurückzuführen sein.

      Aus den Eiern, welche die Bruthenne ausgebrütet hat, schlüpfen die Jungtiere, die wir mit dem aus dem Niederdeutschen entlehnten Wort Küken nennen. Die ältere Bezeichnung, die wohl aus dem Ostmitteldeutschen stammt und die wir heute kaum mehr hören, war Küchlein. Luther hat sie verbreitet; im Matthäusevangelium seiner Bibel von 1545 lesen wir: «Wie eine Henne versamlet ire Küchlin unter ire flügel.» Auch der evangelische Theologe Simon Pauli mahnt in seiner «Postill» von 1584, wir seien oft nicht so klug wie die «Küchlin», uns bei Gefahr unter die Fittiche «unser Gluckhennen Jhesu Christi» in Sicherheit zu bringen.

      Die Bezeichnung Küken übertragen wir gern auf ein kleines Kind, so wie seit dem 17. Jahrhundert Nesthäkchen, älter Nestheckchen, Nesthecklein, das eigentlich ein im Nest ausgehecktes «ausgebrütetes» Vögelchen bezeichnet. In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz heisst das Küken Hüentschi, Hüeli oder Hüendli, in der Kleinkindersprache, lautmalerisch sein Piepsen nachahmend, Bibii, Bibeli bzw. Bibbeli. Bibii gilt manchmal, wie folgender Kindervers zeigt, als Lockruf für Hühner allgemein:

      «Ds Marii geit i ds Hüennerhuus / u laat sini Bibii uus; / ‹Guete Taag, ir Hüendli mii, / chömet gleitig, bibibii!› / U dr Güggel chrääit im Tou: / ‹Güggerüggii, daa bin i ou.›»

      Das Huhn gackert, gackst oder gackelt, in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz gagget, gagglet, gaggelet oder gaggeret es.

      Auch Menschen, die schwatzen, durcheinanderreden oder wirres Zeug sagen, gackern. Bereits 1667 ist in einem Buch von einem «Rechtsverkehrer» und «Knäckles-Plauderer» die Rede, der «gackert und plappert». Bei Nietzsche fragt die Titelgestalt in «Also sprach Zarathustra» (1885) mit Blick auf die Menschen: «Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?» Und in einem ntv-Internetartikel vom 5. November 2007 wird der Sprecher der Verkehrsgewerkschaft, Uwe Reitz, zitiert mit den Worten: «Die GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) ist wie ein Hühnerhof. Jeder gackert vor sich hin.»

      Das Erbwort Hahn ist verwandt mit lateinisch canere «singen» und meint demnach «der Sänger». Direkt vergleichbar, so scheint es, ist die griechische Bezeichnung ēïkanós «Morgenröte-Sänger». Der Hahn ist das Tier, das den Tagesbeginn mit seinem Gesang begrüsst; Georg Philipp Harsdörffer gibt in seinem «Poetischen Trichter» von 1647 folgende mögliche poetische Bezeichnungen für den Hahn: «dess Tages gewiesser Bott / der Sonnen Herold / der Vorsinger dess Liechtes / der Morgenröte Verkündiger.» In seiner Predigtsammlung «Gallus cantans» oder «Krähender Hauss-Hahn», 1677 geschrieben zum Aufwecken des «im Sünden-Schlaff ligenden Hauss-Gesind des Grossen Hauss-Vatters», womit die Christen und Gott gemeint sind, reimt Ignatius Trauner:

      «Dich auffzuwecken kreht der Hahn / Und kündt den Tag mit Freuden an: / Wer schläffrig ist den schilt er auss / Wer gar nicht will ist ihm ein Grauss.»

      Der Hahn kräht, chrääit und wird lautmalerisch nach seinem Ruf auch Gockelhahn oder Gockel, in der Mundart Gul(l)i, Gülli, Güggel, Gugel oder Gügeler genannt, denn er ruft kikeriki, in der Mundart güggerüggüü oder giggeriggii. So ruft er allerdings erst seit dem 19. Jahrhundert, neben kikeriki kikeriki bzw. kikeri-ki-ki