Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steve Malins
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454304
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hatte, „Only You“. Sie hatten ihn mit der Begründung abgelehnt, er klinge allzu sehr wie ein anderes Stück, und Clarke zog beleidigt ab. Später landete er mit „Only You“ und seinem neuen Projekt Yazoo einen Nummer-2-Hit.

      „See You“ beeindruckte die Beobachter sehr. Aber zu diesem Zeitpunkt durchliefen Depeche Mode eine seltsame Übergangsphase. Die deftigen, missmutigen Keyboardtöne von „See You“ passten nicht recht zum schrecklich banalen Teenagertext. Die Popneulinge wussten außerdem noch immer nicht, wie sie sich oder ihre Musik präsentieren sollten. Manchmal trugen sie ein­fache Anzüge, dann wieder Pullover, und schließlich waren sie auch mal in Leder gekleidet. Bei einer Fotosession zeigten sie sich gar im weißen Cricketdress und hielten Schläger in den Händen. Der magere, rothaarige Fletcher denkt zurück: „Nach 1982 fingen wir an, einfach ganz normal aufzutreten: Was wir auf der Bühne trugen, war unsere Alltagskleidung. Es war stets ein Problem für uns, kein definitives Image zu haben. Wir wirken zu prätentiös, wenn wir versuchen, etwas zu tun oder zu tragen, was uns nicht entspricht. Aber wenn wir uns ganz natürlich geben, wirken wir ziemlich anonym. Die Band mit dem besten Image in der Welt sind Pink Floyd – eine wahrhaft gesichtslose Gruppe.“

      Ein anderes Problem war die ideologische Verwirrung im Depeche-Mode-Kader über die etwaige Nutzung solcher „Wertlosigkeiten“ wie Teenmagazine und Kinderfernsehen – und auf der anderen Seite das wachsende Verlangen, die Karriere der Band mithilfe von Wochenmagazinen wie dem NME und dem Melody Maker und glaubwürdigeren Musikprogrammen aufzubauen. Daniel Miller stellte Chris Carr als Pressesprecher ein, woraufhin die Gruppe eine ähnliche Publicity wie Siouxsie and The Banshees oder The Associates bekam. Carr wusste sehr wohl um das Imageproblem von Depeche Mode. Immerhin gab es schon wegen ihrer farblosen Musik ein Spott- und Schmähgedicht des Punkpoeten Attila the Stockbroker: „Nigel Wants To Go And See Depeche Mode“. „Ich fand viele ihrer frühen Songs einfach grauenhaft“, sagt Carr, womit er nicht allein stand. „Als Band waren sie wirklich schlapp, echte Luschen. Sie waren so unsicher, wer sie wirklich waren und wie sie erscheinen sollten. Nach dem Weggang von Vince kam ein Punkt, an dem wir uns plötzlich darüber klar wurden, dass wir mit dieser Gruppe etwas in der Hand hatten, was gesteuert und in die richtige Richtung gelenkt werden musste, wenn wir es nicht verlieren wollten. Also suchten wir die seriöse Bestätigung ihres Werts durch den NME. Auf der anderen Seite gab es ihren Radiopromoter Neil Ferris und den Sender Radio One, die für Depeche Mode Dauerwerbung machten.“

      Wie Gore bestätigt, hatte die Band kaum einen Begriff von ihrem Image und nur wenig Kontrolle: „Als Speak And Spell 1981 herauskam, waren wir achtzehn Jahre alt. Wir waren jung und naiv, wir hatten einfach keine Ahnung. Von einem Tag zum anderen wurden wir ins Fernsehen geholt und der Presse präsentiert, und damals dachten wir, wir müssten jedes Interview geben, um das man uns bat, und wir machten uns keine großen Gedanken um unser Image. Wir brauchten lange, bis wir wirklich begriffen, was Sache war, wie wir unser Image in den Griff bekommen konnten und was wir der Welt mitteilen wollten.“

      Alan Wilder erinnert sich an seine ersten Auftritte im Fernsehen mit unverhohlenem Schauder: „Das Schlimmste war die Show, die wir in Alton Towers abziehen mussten. Da mussten wir zu einem Song in den Gärten flanieren und so tun, als ob wir sängen. Wir hatten die Hände in den Hosentaschen und total scheußliche Klamotten an. Das war der übelste Moment von Depeche Mode.“

      Nach dem ersten Top-10-Erfolg fing die Band mit den Proben für ihre zweite britische Tournee im Februar an. „An dieser Tour war Daniel sehr aktiv beteiligt“, sagt Wilder, der nun vom Mute-Chef auch mehr in die Synthesizer- und die elektronische Musik eingeweiht wurde. „Er hatte viel vom analogen Sound auf Speak And Spell programmiert, und er programmierte auch alle Keyboards für die Auftritte auf der Tournee. Wir probten in den Blackwing-Studios, wo wir das Vierspurbandgerät und zwei Lautsprecher vor uns aufstellten, die Tapes des Albums abspielten und dazu drei Keyboards bedienten. Martin sagte mir, welche Teile der Musik ich auf meiner ersten Tour zu spielen hatte – und das war eigentlich schon alles.“

      Am 10. Februar 1982 spielten Depeche Mode zunächst in der Sendung In Concert von Radio One, ehe sie zum offiziellen Auftakt der Tournee im Top Rank in Cardiff auftraten. Die Fünfzehn-Tage-Tour durch ganz Großbritannien entwickelte sich zu einer wahren Orgie an Teenagerhysterie; die zwei Konzerte im Londoner Hammersmith Odeon waren ausverkauft. Gahan, der im Mittelpunkt der Bewunderung stand, erlebte zum ersten Mal die hemmungslose Verzückung und das Gekreische der Teenies, die über ihn herfielen, als er sich im Londoner Camden Palace zeigte: „Die haben mich beinahe in Stücke gerissen, es war beängstigend. Ich wurde sofort umringt und konnte kaum entkommen. Sie grapschten nach mir, rissen an meinen Klamotten, zerrten mich an den Haaren – ich bekam solche Angst, dass ich davonrannte und mich im Klo versteckte. Es war eines meiner schlimmsten Erlebnisse – diese Kids können einen umbringen.“

      Auch Wilder erzählt: „Die Reaktion der Fans war einfach überwältigend. Wir kamen auf die Bühne und fingen an, unsere simplen Popsongs zu spielen – und schon drehte das Publikum völlig durch. Da wusste ich, dass das nicht einfach nach einer Nacht vorbeigehen würde.“ Der angeheuerte Wilder hatte nun reichlich Gelegenheit, sich mit seinen neuen Kollegen anzufreunden, nachdem er bei der Einspielung von „See You“ noch nicht dabei gewesen war. „Auf diese Tour nahmen sie alle ihre Freundinnen mit“, erinnert er sich. „Dave wurde richtig fett, denn er saß immer im Tourbus zusammen mit Joanne, und sie stopften pausenlos Mars-Riegel und andere Süßigkeiten in sich hinein. Alle hatten ihre Wollpulloverphase, als ich sie kennenlernte. Ich war als Neuling natürlich lieb und nett zu ihnen, aber eben auch ein bisschen normaler und lebenserfahrener.“ Grinsend kommentiert Daryl Bamonte: „Auch Alan trug damals ständig Pullis, und er hatte immer einen lächerlichen, endlos langen Doctor Who-Schal um, den wir alle nicht ausstehen konnten. Den haben wir ihm geklaut und weggeschmissen.“

      Ohne Schal und zwanzig Jahre später sagt Wilder: „Es war nicht so einfach, sich ihnen anzupassen. Ich würde sogar behaupten, dass ich im Grunde nie zu ihnen gepasst habe. Sie bildeten eine eng verschworene Einheit, und das sind sie eigentlich heute noch, zumindest Martin und Fletch. Aufgrund ihrer besonderen Herkunft – als Kids der Arbeiterklasse waren sie alle gemeinsam zur Schule gegangen – klebten sie förmlich aneinander und waren irgendwie nicht von dieser Welt.“

      Dazu sagt Daryl Bamonte: „Alan war so ein ‚Nouveau Hippie‘ aus Hammersmith. Er war aufs Gymnasium gegangen, während die anderen aus der Volksschule von Basildon kamen. Er fand uns einfach nicht erwachsen genug. Ich weiß noch, wie wir im Lyceum spielen sollten und die Bühne noch nicht fertig war. Da spielten wir Fangen miteinander, und die Bühnencrew fragte sich: ‚Wer zum Henker sind denn diese Kids?‘ Ich glaube, diese Seite unseres Benehmens hat Alan nie recht verstanden. Nicht dass es ihn störte, aber unserer bescheuerten Mentalität konnte er sich nie ganz anpassen.“

      Der gewandte Westlondoner beobachtete auch die seltsame Dynamik innerhalb der Band: „Fletch und Martin hatten eine merkwürdige Beziehung, die ich gar nicht richtig zu beschreiben weiß. Sie gingen wie Laurel und Hardy miteinander um. Die Rolle von Fletch schien darin zu bestehen, der Kumpel von Martin, gelegentlich sogar seine Stimme zu sein. Die beiden sind unzertrennlich. Ich glaube, Martin könnte gar nicht bei Depeche Mode sein, wenn Fletch nicht wäre. Und das ist die Rolle, die Fletch zu spielen hat – er muss für Martin da sein. Das ist auch bitter nötig, denn es ist äußerst schwierig, zu Martin durchzudringen. Das darf man nicht missverstehen, denn ich mag Martin sehr gern, er ist in vielerlei Hinsicht ein prima Kerl. Aber er ist nun mal sehr introvertiert und lässt niemanden an sich heran. Er ist unheimlich schüchtern, es sei denn, er ist stockbetrunken, dann wird er sehr extrovertiert. Wenn er ein Problem hat, kann man nicht mit ihm darüber sprechen, und er würde auch nie sagen, was ihn nun eigentlich bedrückt, sondern nur ein trauriges Gesicht machen. Also muss man herauskriegen, was er hat, indem man Fletch danach fragt, und dann wird Andy eben manchmal zu seinem Sprachrohr. Martin hat große Probleme, sich verbal auszudrücken, und ich habe mich mit ihm nie so recht wohlgefühlt. Ich glaube, ich habe ihn trotz all der Zeit niemals richtig kennengelernt. Eine normale Unterhaltung habe ich, soweit ich mich erinnere, nie mit ihm geführt.“

      „Zwischen Martin und Fletch besteht eine regelrechte Abhängigkeit“, sagt ihr alter Schulfreund Daryl. „Allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen und in sehr verschiedenen Ausmaßen. Sie sind