Wenn Dave Gahan im Studio war, meckerte er immer darüber, wie die Songs klangen, und fragte ewig, ob dies oder jenes auch richtig sei. Dieses seltsame Verhaltensmuster hat er bis heute beibehalten, immer drehte er an irgendwelchen Synthie-Knöpfen herum, während Fletcher und Gore ihm dabei kaum Beachtung schenkten.
Als „New Life“ dann im Juni 1981 erschien, hatten Depeche Mode schon an die fünfzig Gigs hinter sich und einen Treffer in den Charts erreicht. Gahan verrät: „Wir waren unserer selbst gar nicht so sicher, als damals ‚New Life‘ herauskam.“ Es war ein fröhlicher, munterer und tanzbarer Poptrack mit albernem, kindischem Text. „Die Songs von Vince sind seltsam, denn sie haben ja eigentlich keinerlei Sinn“, sagte Gore damals. „Er erfindet irgendeine Melodie und sucht sich dann Wörter zusammen, die sich halt nur zu reimen brauchen.“
Schon bei „Dreaming Of Me“ war die Industrie aufgewacht, und auch einige Fans hatten interessiert hingehört. Im Sommer 1981 waren die Jungs von Depeche Mode bereits regelrechte Popstars. In derselben Woche, als Richard Skinner auf Radio One ein ganzes Depeche-Mode-Programm brachte (darunter „Boys Say Go!“ und „Photographic“ von Vince Clarke und „Big Muff“ und „Tora! Tora! Tora!“ von Martin Gore), stieg „New Life“ in die britischen Charts ein. Im Lauf des nächsten Monats kletterte der Song auf Platz 11 und verschaffte der Band ihren ersten Auftritt bei Top of the Pops. „Das war ganz nett“, sagt Fletcher heute über den Durchbruch im Fernsehen. „Zuerst kam ich mir vor wie ein Irrer. Du drückst die Tasten auf dem Keyboard und tust so, als würdest du spielen, und singst in ein Mikrofon, das gar nicht angeschlossen ist. Nach einer Weile fragst du dich, was du eigentlich machst und ob du nicht vor Millionen von Zuschauern wie ein Vollidiot aussiehst. Doch daran haben wir uns gewöhnt, heute finden wir es nur noch komisch.“
Nachdem „New Life“ fünfzehn Wochen in den Charts gewesen und knapp fünfhunderttausend Kopien verkauft hatte, gab Gahan sein Kunststudium am College auf. Er war endlich von sich und seiner Leistung als Sänger überzeugt, als er ein erstaunliches Erlebnis in London hatte. Sein Tutor am College in Southend hatte ihn zum Praxistest nach London geschickt, wo er das Schaufenster eines großen Kaufhauses dekorieren sollte. Als er da im Fenster werkelte, versammelte sich schnell eine Horde weiblicher Fans und bejubelte den Depeche-Mode-Star. Dieses Erlebnis und der Verkauf von einer halben Million Singles von „New Life“ bewogen Gahan, mit der Kunstakademie Schluss zu machen. Und auch Fletcher und Gore gaben ihre Jobs in der Bank und in der Versicherung auf, um sich voll der Band zu widmen.
Die vier sahen 1981 noch aus wie „Jungs von nebenan“, und sie benahmen sich auch so. Zwar schmierten sie sich Make-up um die Augen, aber sie waren keineswegs versnobte, modische Dandys. Steve Sutherland vom Melody Maker, einer ihrer neuen Fans, nannte sie „anpassungsfähige Teenies, die ebenso am Nachmittag zum Tee bei Oma kommen, wie sie des Nachts in die Disco schleichen“.
„Depeche Mode waren alles andere als elitär“, sagt Daniel Miller, der im Blitz nicht eingelassen wurde, weil Steve Strange fand, er sei nicht elegant genug gekleidet. „Mir war wohl klar, dass man in bestimmten Clubs ein elitäres Gehabe erwartete, aber ich konnte es nicht ausstehen. Depeche Mode waren eine Popband. Das Meiste, was man als New Romantic Music hörte, war Mist, denn es war nur die Imitation von David Bowie – eher Rock als Pop. Mich reizte aber die elektronische Musik, und ich war nicht bereit, Anleihen bei der Rockdynamik zu nehmen.“
Die Herkunft von Depeche Mode aus Basildon sorgte auch für die Trennung von der Szene in London, Birmingham und sogar Leeds oder Sheffield, wo jene Aura von künstlerischem Underground angesagt war, wie sie etwa The Human League, Cabaret Voltaire oder Soft Cell pflegten. „Ich glaube, viele andere Synthie-Bands stammten aus Städten mit einer vibrierenden Clubszene“, meint Daryl Bamonte, „während die Medien Basildon stets mehr wie einen Witz belächelten.“
„In England wird man danach beurteilt, woher man stammt“, sagt Miller. „Das hat viel mit der Klassengesellschaft zu tun, die es hier noch immer gibt. Der eine ist aus Manchester, der andere aus Birmingham, aber es ist eben viel cooler, aus Manchester zu kommen als aus Birmingham. Weiß der Teufel, warum. Basildon hat ein Image, das irgendwie gar nicht stimmt. Auch ich glaubte einst, das sei ein nettes, kleines Provinzstädtchen, doch dabei ist da ganz schön was los.“
Im Gegensatz zu den abgehobenen, bewusst ironischen Synthie-Rivalen wirkten Depeche Mode eher wie eine charmante, naive Popband. Gahan sagte einmal zu einem Journalisten: „Wir sind P. U. – Pop und Up.“ Und Vince Clarke korrigierte ihn: „Eigentlich heißt es U. P. – Ultra Pop.“ Die Kritiker reagierten auf die Band genau so, wie Miller es gewollt hatte – wie auf die fleischgewordenen Silicon Teens, eine Teenagerband, die mit neuer Technik arbeitet und das genießt, ohne deshalb eine Science-Fiction-Atmosphäre oder die Wichtigtue-rei kunstbeflissener Studenten um sich zu verbreiten. Und Steve Sutherland schwärmte: „So ziemlich die perfekteste Popgruppe, die ich in dieser Saison erlebt habe. Die haben Songs drauf, die gescheit, aber naiv, intensiv, aber idiotisch zwei Minuten lang zeigen, wie hoch sie über dem immer mehr anwachsenden Rudel von Synthie-Nachahmern stehen. Bescheiden genug, sich an die Spielregeln zu halten, aber brillant genug, diese Regeln auch einmal zu brechen.“
Von Ende 1980 bis 1983 durchlief die britische Musik eine besonders kreative Periode, als sich Burleske, Ironie, Humor, Ehrgeiz, Innovation, Technik und Mode in allen möglichen fantastischen Popstars und Popsongs ausdrückten – alle mit dem Gefühl des eingebauten schnellen Überalterns. Eine jener für diese Ära typischen extremen Gruppen waren Adam and The Ants, die sich aus einer erfolglosen Punkband mit dem Hit „Dog Eat Dog“ von 1980 zu einer aufgedonnerten Indianertruppe mit zwei Schlagzeugern und einem total blödsinnigen Songtext entwickelte. Ein Jahr später sagte es Adam Ant ganz deutlich im Text der Single „Prince Charming“: „Lächerlichkeit ist nichts, wovor man sich zu fürchten braucht.“
Ebenso überraschend meldete sich die Underground-Electronic-Band The Human League im Mai 1981 mit neuem Image als gewitzte „electronic Abba“ zurück, und Sänger Phil Oakey stand ganz offen zu seinen Ideen bestmöglicher Vermarktung: „Ich trage Make-up, denn die Leute hören zu, wenn ich Make-up trage oder eine lächerliche Frisur mit langen Haarsträhnen auf der einen Kopfhälfte und kurz geschoren auf der anderen habe. Das ist nur ein dummer Trick, aber wenn das nötig ist, damit die Leute hinhören, dann müssen wir es eben machen. Je mehr Leute uns hören wollen, umso besser. Nur gepiercte Brustwarzen sind ein Problem. Denn dauernd rufen mich kleine Mädchen an und wollen wissen, wie man das macht.“
Von allen Postpunkbands, die nach Jahren der Glaubwürdigkeit und der Armut versuchten, in die Charts zu kommen, wandelten sich The Human League am gewagtesten. Fast über Nacht fanden die Medien, dass es okay sei, Platten zu verkaufen, als ob es kein Morgen gebe. Besonders jene neuen Gruppen rühmten sich ihres Punkhintergrunds, ihrer Fähigkeit zum „Do it yourself“, und sie schienen sich darüber klar zu sein, dass sie eher Eintagsfliegen waren. Martin Rushent, der Produzent von The Human League, der am Hitalbum Dare! von 1981 entscheidend mitgewirkt hatte, meinte damals zur neuen Technik: „All das neue Equipment ist ein großer Gleichmacher, der das ganze Geschwätz von der Virtuosität überflüssig macht.“
Soft Cell erlebten den Durchbruch 1981 mit einer Coverversion der alten Northern-Soul-Hymne „Tainted Love“, über die der NME schrieb: „Perfekt – die funktionellen Töne des Electro-Pop, geschüttelt und neu geformt zum Klang einer vergessenen Jukebox.“ Das Stück wurde Nummer 1 und machte Marc Almond zu einem ungewöhnlichen Popstar: „In der Schule war ich nicht besonders toll. Wie ich das überlebt habe, das brachte die Leute oft zum Lachen“, behauptete er. „Mich interessiert der Verlierer, der kämpfen muss, um nicht unterzugehen. Am wohlsten fühle ich mich bei Außenseitern.“ Die Musikjournalistin Mary Harron war von der Bereitschaft