Am 7. Mai 1982 starteten Depeche Mode eine kurze Tour durch die USA und Kanada und spielten acht Konzerte in New York, Philadelphia, Toronto, Chicago, Vancouver, San Francisco, Pasadena und im Roxy in Los Angeles. Daryl Bamonte, der als Roadie mit dabei war, erinnert sich: „Depeche Mode lösten immer noch einen Riesenwirbel aus. Wir hatten dort eine mächtige Plattenfirma hinter uns, und als wir ankamen, waren alle sehr optimistisch, was die Chancen in den Staaten betraf.“ Inzwischen hatte sich aber Gahans Haut an der Stelle der Tätowierung so stark entzündet, dass er den Arm in einer Schlinge tragen musste, was dem Image der Gruppe abträglich war, denn er war ja der Einzige, der ein bisschen Bewegung auf die Bühne brachte.
Die drei Gründungsmitglieder der Band verbrachten den Rest des Sommers mit Daniel Miller und den Toningenieuren John Fryer und Eric Radcliffe in den Blackwing-Studios, um das zweite Album aufzunehmen. Alan Wilder wurde wieder nicht hinzugezogen, was ihn ziemlich frustrierte: „Ich war unglücklich darüber, dass ich wieder ausgeschlossen war. Schließlich hatte ich zusammen mit der Gruppe seit Anfang des Jahres Musik gemacht und war mit auf Tour gegangen, und man erwartete ja auch von mir, dass ich nach Erscheinen des neuen Albums mit ihnen gemeinsam Promotion dafür machen sollte.“
Am 16. August erschien die sechste Single, „Leave In Silence“, die aber erschreckenderweise in den Charts nur bis auf Platz 18 stieg. Das Stück war zwar weit aufregender und introvertierter als die vorherigen Singles, wurde indes nicht so oft im Radio gespielt, obwohl es künstlerisch erheblich besser war als der Vorgänger, „Meaning Of Love“. Martin Gore gesteht: „Wir hatten hohe Erwartungen in diese Single gesetzt – vielleicht zu hohe.“ Natürlich war man über das schwache Abschneiden der Single enttäuscht. „Es ist sehr selten, dass man auf einer Single eine bestimmte Atmosphäre einfangen kann, aber auf dieser hatten wir es geschafft“, sagte Gahan. „‚Leave In Silence‘ hatte alles – Melodie, Sound, Stimmung, alles. Es ist einer meiner Lieblingssongs.“ Dann fügte er hinzu: „Als wir ‚Leave In Silence‘ veröffentlichten, gingen wir ein gewisses Risiko ein. Es fehlte am Airplay, also verkaufte sich die Single auch nicht so gut. Für die Radioleute war der Song eher ein Albumtrack.“ Auch manche Kritiker verrissen die Platte, vor allem Paul Weller: „Aus einem Arschloch habe ich schon mehr Melodie herauskommen hören.“
Das neue Album, A Broken Frame, erschien am 2. September 1982 und stieg in den Charts bis auf Platz 8. Die preisgekrönte Plattenhülle stammte wieder vom Fotografen Brian Griffin und war weitaus besser als sein Beitrag zu Speak And Spell. „Für dieses Cover hatten wir eine sehr intensive Vorbesprechung“, sagt Griffin. „Wir fanden ein Kornfeld in Hertfordshire. Wir wollten ein bisschen sozialistischen Realismus haben. Das Cover erregte Aufsehen und erschien im Januar 1989 sogar auf dem Titelblatt von Life im Zusammenhang mit einem Feature über die besten Fotos des Jahrzehnts.“
Fletcher meinte über A Broken Frame: „Dieses Album ist viel gewichtiger als unser letztes, nicht so leicht, oberflächlich und poppig.“ Nicht viele Leute würden die Platte heute „gewichtig“ nennen, denn sie stellt sich seltsam durchwachsen dar, indem sie einen Bogen zwischen anspruchslosen Poptiteln wie dem grässlichen „A Photograph Of You“ und den rätselhafteren, geheimnisvollen Klängen in „My Secret Garden“ spannt. Ein Teil des Problems war, dass Clarkes Abgang Gore zwang, die Platte mit den Songs zu füllen, die er selbst in den letzten Jahren geschrieben hatte – „See You“ und „A Photograph Of You“ stammten noch aus seinen frühen Teenagerjahren. Bei der vorsichtigen Kollektiveinstellung der Band war es nur natürlich, dass man nach der Fahnenflucht des Hauptsongwriters eher die Art der Musik behutsam ändern wollte, statt den Stil von Depeche Mode radikal und neu zu erfinden. Auch für Daniel Miller war klar, dass sich A Broken Frame so stark von Speak And Spell unterschied, dass der neue Mann am kreativen Steuer einfach auffallen musste: „Martin schrieb ‚Meaning Of Love‘ und versuchte dabei, recht poppig zu sein, während ‚Leave In Silence‘ purer Martin Gore war. ‚Photograph Of You‘ ist reiner Pop, aber ‚Shouldn’t Have Done‘ war viel substanzieller, und ich glaube, es dauerte eine Weile, bis die Leute begriffen, dass dies dem natürlichen Empfinden von Martin entsprang.“
Depeche Mode probierten auch einige neue Sounds aus, wobei man vorsichtig vom reinen Synthesizerklang abwich. Begeistert sagte Andy Fletcher: „Auf dem neuen Album gibt es viel Percussion, außerdem Schritte und Marschieren und ähnliche Geräusche – aber nichts, was man ein herkömmliches Musikinstrument nennen könnte.“ Und Gahan fügte hinzu: „Es gibt auch ein Saxofon, aber das wird man nicht erkennen. Denn es ist rückwärts aufgenommen und klingt wie ein Elefant.“
Daniel Miller meint: „Über Depeche Mode sind viele Mythen in Umlauf, die aber nicht wirklich wahr sind – etwa, dass sie nur auf ihren beiden letzten Alben Gitarren benutzt hätten. Die erste Gitarre war schon auf A Broken Frame dabei. Sie haben ein Verhältnis zur Musik, bei dem sie sich selbst Grenzen setzen, sogar wenn sie diese dann durchbrechen. Wenn man kein solches Konzept hat, dann wird die Musik sehr angepasst und klingt genauso wie die von allen anderen. Alle unsere Sounds haben wir selbst geschaffen, nie haben wir Samples von anderen Platten genommen.“
Die Kritiken über das Album fielen sehr gemischt aus. Chris Burkham schrieb in Sounds: „Das Hauptproblem von Depeche Mode ist, dass der Synthie-Sound ohne irgendwelche andere Instrumente die Popsongs sehr eingrenzt. Der Grund dafür, dass Yazoo – um einen offenkundigen Vergleich zu ziehen – erfolgreichere Songs auf der Basis eingängigerer Melodien schaffen, liegt wohl daran, dass der harte Synthie-Beat sich mit dem einschmeichelnden Gesangsstil von Alison mischt. David Gahans Stimme passt sich dem Instrument an – kaum sich einmischend, stets sich anpassend, niemals beherrschend –, anstatt gegen den glatten Schimmer des Moog anzugehen.“
Der NME war enthusiastischer: „Erfreulich sind ihre zunehmende Präzision, ihre wachsende künstlerische Qualität. Martin Gores eindrucksvolle Songs schließen sich deutlich an die Folkweisheit und die Folkmetaphysik des verschwundenen Vince Clarke an.“
Im Melody Maker jedoch mokierte sich Steve Sutherland, der ein Fan der ersten Singles und des ersten Albums war, über die Bemühungen von Depeche Mode, sich weiterzuentwickeln: „A Broken Frame klingt wie knabenhafte Begeisterung, mit der Anonymität verdeckt wird. Die Texte sind zwar von staunendem Vergnügen zu empörter Frustration gereift, aber die resignierenden Worte von ‚Leave In Silence‘ sind ebenso wie die glatten Phrasen von ‚Just Can’t Get Enough‘ eben doch nur Worte und nichts als Worte.“
Zwei Jahre nach Veröffentlichung von A Broken Frame hatte Dave Gahan schon genug Abstand von der Platte gewonnen, um sagen zu können: „Ich glaube, wir finden alle im Rückblick, dass dieses Album unsere schwächste Leistung war. Es ist definitiv sehr, sehr uneben und zusammengestoppelt. Und sehr schlecht produziert.“ Mit dem kommerziellen Erfolg von Speak And Spell konnte A Broken Frame nicht gleichziehen, weder in England noch international. „Ich bin überzeugt davon, dass es uns schon deshalb heute nicht mehr gäbe, wenn wir bei einer Major-Plattenfirma gewesen wären“, sagt Gore in Anerkennung von Daniel Millers geduldiger, pfleglicher Fürsorge. „Nach dem Anfangserfolg von Speak And Spell bedeutete A Broken Frame eine sehr stille Phase für uns. Die Platte schadete uns nicht gerade, aber sie bewirkte auch nichts Erstaunliches. Bei einem Major wären wir in das ‚Syndrom des zweiten Albums‘ gefallen – und nach unserem dritten Album gefeuert worden.“
Nichtsdestotrotz kreuzten die unerschütterlichen Fans in voller Stärke bei der Herbsttournee durchs Vereinigte Königreich mit zwanzig Konzerten und zwei zusätzlichen Gigs im Londoner Hammersmith Odeon auf. Die Säle waren knallvoll mit weiblichen Teenagern, die vor Begeisterung durchdrehten, aber Fletch, der auf der Bühne in die Hände klatschte und die Faust in die Luft stieß, merkte