Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steve Malins
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454304
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möglich zu so viel Erfolg wie möglich zu drängen, so wie bei Duran Duran oder Culture Club. Dann hätten sie den Pyramideneffekt erlebt, steil hinauf und steil wieder runter. Aber Daniel ließ sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und auch ihre eigenen Fehler machen, was zu ihrer natürlichen Entwicklung beitrug. Depeche Mode waren die Verwirklichung der Silicon Teens. Hier hatte Daniel die Band gefunden, die er sich zunächst nur ausgedacht hatte, und ich glaube nicht, dass er sich diesen erfüllten Wunschtraum nur für ein Jahr gönnen wollte; er dachte viel langfristiger.“

      Mit ihrer unmittelbar gesicherten Zukunft ging die vollelektronische Viermannband erst einmal in die Blackwing-Studios, eine nicht mehr benutzte Kirche in Hallows in Südostlondon, um ein Stück von Vince Clarke, „Dreaming Of Me“, als erste Single für Mute einzuspielen. Miller hatte Blackwing entdeckt, als er sein Silicon-Teens-Projekt produzierte, für das er einen großen Regieraum brauchte, in dem er alle seine Synthesizer aufbauen konnte. „Die meisten Leute in den Studios meinten damals, wenn du keinen Drummer und keinen Gitarristen hast, dann sei das auch keine richtige Musik. Mit diesen schwarzen Kästen könne man überhaupt nicht Musik machen“, erzählt Miller. „Dennoch war Eric Radcliffe, damals Toningenieur bei Blackwing, sofort begeistert von der Idee, mit einer Synthie-Band zu arbeiten. Er hatte keine Erfahrung mit elektronischer Musik, aber er war ein sehr kreativer Musiker und hatte viel technischen Verstand. Ich glaube, er arbeitete damals an seiner Doktorarbeit über Lasertechnik. Wir hatten zuerst viele Probleme mit den Synthesizern, denn eigentlich waren sie gar nicht für das konstruiert, was wir von ihnen erwarteten, und dabei war Eric eine große Hilfe.“ Jahrelang spielten alle Bands von Mute ihre Platten bei Blackwing ein, und Vince Clarke erwies Radcliffe mit seinem späteren Synthie-Pop-Duo Yazoo sogar dadurch seine Reverenz, dass er das erste Album Upstairs At Eric’s nannte.

      Daniel Miller und Depeche Mode hatten beschlossen, als erste Single ­„Dreaming Of Me“ einzuspielen, weil sie fanden, dass dieser Song am besten die Mischung zwischen ihrem poppigsten Material und dem düsteren, weniger melodischen Klang wiedergab, den die Band bei den Liveauftritten spielte. Gahan meint: „Dieser Song bot sich geradezu als erste Single an. Wir hatten damals zwar rund zwanzig Stücke im Repertoire, aber Daniel Miller half uns bei der Auswahl. Ich finde, es ist ein klassischer Popsong.“

      „Es war sehr aufregend“, schmunzelt Miller fast zwanzig Jahre später. „Ich erinnere mich genau an meinen dreißigsten Geburtstag, denn ich hatte gerade die Plattenhülle von ‚Dreaming Of Me‘ gesehen, und die Band trat im Rainbow auf, einem Club, den die DJs und Promoter Steve Strange und Rusty Egan ‚People’s Palace‘ nannten. Es war der erste große New-Romantics-Gig, und die beiden hatten alle Synthie-Bands wie Ultravox, Metro und die Robotertanzgruppe Shock auf die Bühne gebracht. Als Vorgruppe hatten sie die ‚zweitklassige‘ Band Depeche Mode eingeladen, die zum ersten Mal vor großem Publikum spielte. Viele langjährige treue Fans sagen, damals haben sie Depeche Mode zum ersten Mal gesehen – also muss die Gruppe einen guten Eindruck gemacht haben.“

      Anschließend, am 16. Februar 1981, spielten Depeche Mode im Futuristenclub Cabaret Futura, und „Dreaming Of Me“ kam vier Tage später als dreizehnte Mute-Single in die Plattenläden; auf der B-Seite fand sich das Stück „Ice Machine“. Chris Bohn schrieb im NME über die Single: „Trotz des narzisstischen Titels ist ‚Dreaming Of Me‘ genauso ein hübsches und naives Stück elektronischer Launigkeit wie alles von Orchestral Manœuvres In The Dark. Lakonischer Gesang, programmierter Rhythmus und eine zuckersüße Melodie sorgen für angenehme drei Minuten.“ Betty Page beschrieb den Song in Sounds als „süßen, einfachen, exakten und leichtgewichtigen Synthie-Pop“, wollte aber wissen, ob die Band bereit sei, ihren Sound weiterzuentwickeln, indem sie einen richtigen Schlagzeuger dazuholte. Dave Gahan lehnte das ab, nicht weil er ein puristischer Kraftwerk-Verehrer war, sondern eher aus pragmatischen Gründen: „Ich glaube nicht, dass wir das tun werden. Auf unseren jetzigen Tapes klingt es sowieso wie echtes Schlagzeug. Ich weiß, dass Orchestral Manœuvres In The Dark erst einmal kritisiert wurden, weil sie auf der Bühne eine Drum Machine benutzten. Aber noch schlimmer wurde die Kritik, als sie dann tatsächlich einen Schlagzeuger einsetzten. Wir brauchen ohnehin keinen Drummer – der wäre nur noch eine weitere Person, die bezahlt werden müsste.“

      Depeche Mode freuten sich, als die DJs Peter Powell und Richard Skinner auf Radio One die Platte spielten, obschon es immerhin einen vollen Monat ­dauerte, bis „Dreaming Of Me“ in die Top 75 einstieg, wo es schließlich die Spitzenposition 57 erreichte, was vielversprechend war. Fletcher gestand später: „Für mich war es das Tollste, als wir zum ersten Mal in den Charts auftauchten.“ Und Miller erinnert sich: „Damals war es schon ein großes Ereignis, wenn man in die Top 75 kam. Woolworth nahm die Single ins Angebot, und aus aller Welt kamen Telegramme mit der Frage: ‚Können wir eine Lizenz für diese Platte kriegen?‘“

      Mute und Depeche Mode hatten nicht nur bewiesen, dass sie gemeinsam die Charts knacken konnten – sie zogen sogar das Interesse des bestens informierten amerikanischen Plattenmanagers Seymour Stein auf sich, der in den Siebzigern die Talking Heads entdeckt hatte und später Madonna für seine Firma Sire Records unter Vertrag nahm. Miller hatte bereits die Single „T.V.O.D.“ von The Normal für den US-Markt an ihn lizenziert. Stein hatte es sich angewöhnt, regelmäßig nach England zu fliegen, um im Rough-Trade-Laden in Notting Hill zu fragen: „Habt ihr irgendwas Neues und Interessantes für mich?“ Miller sagt: „Dabei bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Ich bot ihm an, er solle sich doch mal diese neue Band anhören, die ich hatte, und er war auch sogleich begeistert.“

      Wie üblich half Daryl Bamonte auch bei jenem denkwürdigen Gig mit dem Equipment aus: „Stein kam Ende April 1981 in Sweeney’s Disco nach Basildon. Das Sweeney’s war eine ganz normale Disco, aber der Manager hatte damals schon eine Vorahnung, dass Depeche Mode im Kommen waren. Die Band hat eine Schwäche für spezielle Typen, und Seymour Stein hat sie sehr beeindruckt. Er lud uns in ein chinesisches Restaurant ein und unterhielt uns den ganzen Abend über mit den fantastischsten Geschichten aus dem Musikgeschäft.“ Er freundete sich richtig mit der Gruppe an und zeigte volles Interesse. Mit dem wachsenden Erfolg übernahm dann später aber doch die Musikmaschinerie des Warner-Konzerns, zu dem Sire Records gehörten, die routinemäßige Kontrolle.

      Amüsant ist auch Fletchers Schilderung der Begegnung: „Da kam also dieser Big Boss aus den USA, der die Talking Heads und die Pretenders unter Vertrag genommen hatte, nach Basildon in einen winzigen Club mit Platz für einhundertfünfzig Personen, wo wir noch nicht einmal eine eigene Garderobe hatten. Wir mussten ihn auf der Treppe empfangen. Von unserer ersten Single an nahm er uns unter Vertrag. Stein ist wirklich ein ungewöhnlicher Mensch.“

      Nachdem er einen Vertrag mit Sire ausgehandelt hatte, arbeitete Miller hart daran, europäische Lizenzpartner zu finden. Er knüpfte neue Geschäftsverbindungen mit Leuten, die schon viel Erfahrung hatten und ihn beim Ausbau seines Labels berieten. So lernte er Rod Buckle kennen, der Schwedens größtes Indie-Label, Sonet, leitete. „Durch Rod erfuhr ich erst einmal alles über das internationale Geschäft“, sagt Miller. „Wir beide reisten durch ganz Europa und schlossen Lizenzverträge für ‚New Life‘, die nächste Single, ab.“

      Depeche Mode spielten den ganzen Frühling und Sommer 1981 über Gigs – von einem Auftritt im Technical College in Southend und einem „Boat Trip“-Konzert auf der Themse bis hin zum Vorprogramm von Fad Gadget im Londoner Lyceum. Nach jenem Auftritt schrieb der Journalist Paul De Noyer: „Die Schau stahlen aber Depeche Mode aus Basildon, drei Synthie-Spieler und ein Sänger, äußerlich in der Art von Spandau Ballet, aber musikalisch hochinter­essant in ganz anderer, eigener Weise.“

      Depeche Mode traten nun nicht mehr ausschließlich in Südengland auf, sondern auch in Städten wie Leeds, Birmingham und Cardiff. In der verbleibenden freien Zeit nahmen sie im Blackwing-Studio neue Songs auf. Nur der arbeitslose Vince Clarke beschäftigte sich ganztags mit dem Booking von Gigs und der Organisation der Band. „Die Studiosessions waren schon sehr seltsam“, erinnert sich Miller. „Martin und Fletch arbeiteten tagsüber in einer Bank oder Versicherung. Dave studierte am Southend Technical College, und Vince ging stempeln. Vince war damals die treibende Kraft hinter der Band. Er organisierte die Gigs, schrieb die meisten Songs, machte die musikalischen Arrangements und tüftelte aus, wie sie zu spielen seien. Auch im Studio war er der Haupt­antrieb. Er hatte