Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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er selbst sei der Lebendige Gott, und er forderte seine Brüder auf, ihn von jetzt an Gangunguru Maragh zu nennen (eine Verbindung von Hindi-Wörtern mit der Bedeutung ›Lehrer der berühmten Weisheit, König der Könige‹). Während seine Anhänger nur etwas verwirrt waren, zeigte sich die Polizei am Ende ihrer Geduld und stürmte 1954 seine Besiedlung. Der örtliche Magistrat erklärte Howell für geistesgestört und ließ ihn in eine Einrichtung für kriminelle Geisteskranke einweisen. Seine obdachlosen Dreads wanderten hinunter nach Kingston, wo sie in größeren Gruppen herumlungerten und ganz allgemein die Bevölkerung mit ihrer ungewöhnlichen Haartracht und dem öffentlichen Rauchen des illegalen Ganja provozierten und gegen sich aufbrachten.

      Bis zum Ende der fünfziger Jahre waren andere Rasta-Gemeinden in ihrer ungeduldigen Erwartung sozialer Gerechtigkeit wie auch geistlicher Erlösung immer militanter geworden. Eine Gruppe unternahm den Versuch, den Victoria Park in Kingston in ihre Gewalt zu bekommen, und eine andere besetzte das Old King’s House in Spanish Town im Namen Selassies. Diese uncharakteristisch aggressiven Aktionen wurden von den Behörden als logische Konsequenz der Rasta-Zusammenkunft denunziert, die 1958 von Prince Emanuel organisiert worden war. Hunderte von Brüdern kamen auf einem Gelände im Back-o-Wall-Stadtteil von West Kingston zusammen. Es gab große Lagerfeuer, man trommelte, religiöse Zeremonien wurden abgehalten, und – so behaupteten zumindest höhere Polizeibeamte – man drohte, Mitglieder der Polizeitruppe als Opfer für Jah zu köpfen.

      Für die meisten Betrachter war dies das beunruhigendste Ereignis im Großraum Kingston seit dem Port-Royal-Erdbeben auf der anderen Seite der Bucht im Jahre 1962. Aber die Rastas versuchten eigentlich nur, eine United Church of Rastafari zu etablieren. Ihre Bemühungen waren blockiert, weil keiner der weit verstreuten Brüder sich wirklich mit den anderen darüber einigen konnte, welche Stellung Selassie im großen Plan einnahm. War er wirklich Gott? Ein naher Verwandter? Ein Prophet in der Nachfolge von Abraham, Moses und Jesus?

      Unter denjenigen, die eine persönliche Einladung von Prince Emanuel zu dem exotischen Zusammentreffen in Kingston erhielten, war Rev. Claudius Henry, der sich selbst zum ›Repairer of the Breach‹ (›Heiler des Bruchs‹) erkoren hatte. Aufgewühlt von den komplexen Ritualen, deren Zeuge er geworden war, gründete Henry eilig die African Reformed Church in West Kingston und verkündete, der 5. Oktober 1959 sei der ›Tag der Befreiung‹. Von ihm herausgegebene Pamphlete wiesen darauf hin, es sei kein Pass erforderlich für diejenigen, die zurückkehren wollen nach Afrika. Eine Fahrkarte für die Überfahrt nach Äthiopien, geschmückt mit einem Bild von Selassie, kostete einen Schilling. Tausende davon wurden erworben, und an dem angekündigten Tag waren die Straßen in der Umgebung von Henrys Kirche verstopft von erwartungsfrohen Rastas und ihren Familien, von denen viele ihren gesamten Besitz verkauft hatten. Als der Tag zu Ende ging, war jedoch am Horizont noch kein Schiff zur Ozeanüberquerung aufgetaucht, und Henry wurde verhaftet.

      Der gedemütigte Henry drohte nach seiner Entlassung der Regierung mit Rache. Er landete später im Gefängnis, als ein riesiges Waffenlager – Gewehre, Macheten, Dynamit und Munition – in seiner Kirche entdeckt wurden. Sein Sohn Reynold nahm den Kampf auf. 1960 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, nachdem es in Kingstons Red-Hills-Distrikt zu einer Schießerei zwischen Rastas, die den Henrys ergeben waren, und dem Royal Hampshire Regiment gekommen war. Drei Guerillas und zwei Soldaten kamen bei dieser Auseinandersetzung ums Leben.

      Die Feindseligkeiten nahmen in den folgenden beiden Jahren noch zu, als die Rastas sich als Niyaman zu bezeichnen begannen. Mit diesem Namen bezogen sie sich auf den Niyabingi-Orden, eine äußerst gewalttätige Gruppe, die angeblich von Selassie geduldet wurde und in den dreißiger Jahren in Äthiopien auftauchte. Die Regierung hatte mit Polizeieinsatz zur Auflösung der Niyabingi-Treffen reagiert, und es war zu weiteren Gewalttätigkeiten gekommen. 1963 führte ein Zusammenprall zwischen Rastas und der Polizei an der Nordküste in der Nähe von Montego Bay zu mehreren Toten auf beiden Seiten.

      Trotz der ständigen Unterdrückung durch die Behörden blühte der Rastafarianismus aus Jamaika weiter und dehnte sich Ende der sechziger Jahre auch auf die Mittelklasse aus. Zahlreiche Konvertiten (hauptsächlich männlich und im Alter zwischen 13 und 20) schlossen sich dem Glauben an, nachdem Rasta-Malern, -Bildhauern, -Dichtern, -Tänzern und -Musikern immer mehr Anerkennung gezollt wurde. (Der bekannte Rasta-Poet/Politiker Samuel Brown hat kürzlich die Ansicht vertreten, sechs von zehn Jamaikanern seien Rastas.)

      Am 21. April 1966 kam Haile Selassie zu einem Staatsbesuch nach Jamaika, und eine Rasta-Menge von angeblich hunderttausend soll sein Flugzeug auf der Landepiste umringt haben. Nach der Landung blieb Selassie eine halbe Stunde im Flugzeug, weil er vermutlich Angst vor diesem unerwartet überschwänglichen Empfang bekommen hatte. Erst als der Rasta-Führer Mortimo Planno (später ein Lehrmeister von Bob Marley) die Versammelten beruhigt hatte, wagte sich der Kaiser heraus.

      Während seines Besuchs gab Selassie keinen offiziellen Kommentar zu der Einschätzung seiner spirituellen Stellung durch die Sekte ab, aber schnell verbreitete sich in Rasta-Kreisen ein Gerücht, dass einigen der Rasta-Älteren vom Kaiser ein geheimes Kommuniqué übergeben worden sei, in dem sie instruiert wurden, »vor der Übersiedlung nach Äthiopien Jamaika zu befreien«.

      Dieses Gerücht hatte einen beruhigenden Einfluss auf die ungeduldige Rasta-Gemeinde, weil die schreckliche Verantwortung, das Datum für den endgültigen Exodus aus Babylon zu verkünden, dadurch auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Aber es wurde auch als Aufforderung angesehen, die politischen Aktivitäten zu verstärken, und bald konzentrierten sich die Rastas auf die Forderung, den Gebrauch von Ganja zu legalisieren.

      In der amharischen Bibel ›kan‹ genannt, wurde das Ganja aus Indien als Canabis indica, der asiatische Hanf, von den Spaniern um 1545 herum in die Neue Welt gebracht. Großbritannien bot den Kolonialpflanzern großzügige Subventionen, um sie zu ermutigen, Hanf anzubauen und dadurch das russische Monopol auf diese Pflanze zu brechen, deren Fasern hauptsächlich für die Herstellung von Seilen verwendet wurden. Heute rauchen schätzungsweise 65 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent der Bevölkerung unter 21 Jahren auf Jamaika Ganja regelmäßig. Die armen und mutigen Rastas auf dem Lande bauen das Marihuana an und verkaufen es, weil es eine hervorragende Einkommensquelle bietet, denn Anbau und Ernte erfordern weit weniger mühseligen Einsatz als die Schwerarbeit in den Bauxitminen der Insel.

      Die Polizei macht den Rastas weiterhin Schwierigkeiten, hauptsächlich wegen ihres schamlosen Gebrauchs von Ganja, das weiterhin auf Jamaika illegal ist, aber auch wegen ihres seltsamen Aussehens und ihrer ›subversiven‹ politischen und religiösen Ansichten. Ganz besonders richten sich die Aktionen der Behörden gegen die Reggae-Sänger unter den Rastas, deren Songs von dem Zorn Jahs künden und vom moralischen Verfall der Regierung.

      Um ein Rasta zu sein, bedarf es ungeheuren Glaubens, sagen die Brüder, denn die Wahrhaftigkeit der Meditationen und Vision Jahs ist ständigen Anfechtungen ausgesetzt, sogar in Afrika. Aber die Rastas weisen darauf hin, dass die Bibel prophezeit, kurz vor dem Fall Babylons werde viel Verwirrung herrschen, und viele Schakale würden ihre Stimmen ertönen lassen und Falsches künden, um die, die nach Wahrheit suchen, in die geistige Irre zu leiten. Daher, so schließen sie, sind Hohn und Unterdrückung nichts als Bestätigungen des Rasta-Evangeliums.

      Im Laufe der Zeit sollte der Rasta-Glaube weit über Jamaika hinaus verbreitet werden, und das hatte er in erster Linie der musikalischen Missionsarbeit von Bob Marley und den Wailers zu verdanken. Aber der Reggae, der diese Botschaft trug, brauchte noch einige Jahre der Entwicklung.

      Was die Plattenkäufer aus Jamaika betrifft, wurde das Wort ›Reggae‹ auf einer Pyramid-Tanzsingle von 1968 von Toots and the Maytals mit dem Titel ›Do the Reggay‹ geprägt. Manche glauben, die Bezeichnung stamme her von Regga, dem Namen eines Bantu sprechenden Stammes am Tanganjika-See. Andere halten es für eine Entstellung von ›streggae‹, Straßenslang aus Kingston für eine Prostituierte. Bob Marley behauptete, das Wort stamme aus dem Spanischen und bedeute ›Musik des Königs‹. Altgediente Studiomusiker aus Jamaika haben die einfachste und wohl am meisten einleuchtende Erklärung. »Es ist eine Beschreibung des Beats selbst«, sagt Hux Brown, Leadgitarrist auf Paul Simons reggaegetöntem Hit ›Mother and Child Reunion‹ von 1972 und überdies der Mann, dem man weithin zuschreibt, Erfinder des auf einer Saite gespielten Zitter- und Trillertones zu sein, der Simons Single und