Bob Marley - Catch a Fire. Timothy White. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy White
Издательство: Bookwire
Серия: Rockgeschichte
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454656
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mit Stolz zu dem Herzschlag ihres eigenen Kummers und ihrer Narretei zu tanzen. Und von den Großstadtzentren Japans bis zu den Diskotheken in Rio de Janeiro hatten Millionen von Menschen ihre ureigenen Gründe, sich von Marleys Magie verhexen zu lassen.

      Später an jenem Abend in Salisbury sollte er miterleben, wie sich die rhodesischen und britischen Standarten senkten und die neue Flagge von Simbabwe aufgezogen wurde, wie einundzwanzig Kanonen kaum fünfzig Meter von ihm entfernt Salut schossen. Noch war der erste Tag der offiziellen Freiheit nicht zu Ende gegangen, und schon hatten sich die Menschen gegeneinander erhoben.

      In Afrika wurde er verehrt als Apostel des Pan-Afrikanismus, als charismatischer Entertainer, dessen elementare Leidenschaft auf dem Kontinent, wo die sprechende Trommel erfunden worden war, bereitwillig ins Herz geschlossen wurde. Doch als er von der Bühne miterleben musste, wie die Menge den Kampf gegen sich selbst ausfocht, erkannte er, dass man seiner Musik und seiner Botschaft nicht zugehört hatte. Und er fühlte, dass man ihm anscheinend nirgends genügend Aufmerksamkeit schenkte, um zu hören, was immer stärker in ihm brodelte, um nachzuempfinden, welche Furcht da in jemandem wütete, der versuchte, einen religiösen Gedanken zu erklären, den er sich schon vor langer Zeit zu eigen gemacht hatte, aber in eben diesem Moment besonders intensiv erlebte: dass es keinen sicheren Ort gäbe für den sterblichen Menschen.

      Der millenarisch-messianische Kult des Rastafarianismus, den Marley durch seine Musik propagiert, verdankt einen Teil seiner Ideologie den Lehren des Marcus Mosiah Garvey, eines Fürsprechers der ›Rückkehr nach Afrika‹. Am 17. August 1887 in der Stadt St. Ann’s Bay in dem jamaikanischen Pfarrbezirk St. Ann geboren, war Garvey (mit dem Beinamen ›Mose‹) eines von elf Kindern eines ehemals wohlhabenden Druckers. Er stammte ab von den Maroons, einer Gruppe von ursprünglich fünfzehnhundert afrikanischen Sklaven, die 1655 von ihren spanischen Herren freigelassen worden waren und sich in das undurchdringliche Innere der Insel zurückgezogen hatten, als Cromwells Truppen Jamaika besetzten. (Maroon ist eine verfälschte Form des spanischen Wortes ›cimarron‹, das ›aufrührerisch‹ bedeutet.) Garvey kam nach Kingston, bevor er zwanzig wurde, und sammelte während eines größeren Druckerstreiks im Jahre 1907 einige Erfahrungen als Arbeiterführer und Redner.

      Nachdem der Arbeitskampf beigelegt war (zugunsten der Unternehmer, da sich die Gewerkschaft aufgelöst hatte, nachdem ihr Schatzmeister sich mit den Rücklagen davongemacht hatte), verließ Garvey Jamaika, um längere Zeit zu reisen. Finanzieren tat er das durch Gelegenheitsarbeiten. Zuerst machte er in Costa Rica Station, wo er gegen die beklagenswerten Arbeitsbedingungen für Schwarze bei dem britischen Konsul protestierte. Auf seinen Protest erfolgte keine Reaktion. Als Nächstes begab er sich nach Bocas del Toro in Panama, wo er seine nur kurzlebige Zeitung mit dem Namen La Prensa gründete. Auf seinen weiteren Reisen durch Ecuador, Nicaragua, Honduras, Kolumbien und Venezuela konnte er immer wieder beobachten und erleben, wie man die billigen Arbeitskräfte in den Minen und auf den Tabakfeldern ausbeutete. Mit ihnen diskutierte er ihr bedauernswertes Los in dem von den Weißen beherrschten Westen.

      Als er sich 1912 zu einem Besuch in London aufhielt, machte er die Bekanntschaft des sudanesisch-ägyptischen Gelehrten Duse Mohammed Ali, Autor des hochgeschätzten Buches In The Land of the Pharaohs, und ihre Diskussionen vermittelten Garvey Einsichten in die historische und religiöse Bedeutung der schwarzen Diaspora. Auch beschäftigte er sich sehr intensiv mit den Schriften von Booker T. Washington, insbesondere mit Up from Slavery. Größten Einfluss auf Garvey hatte wahrscheinlich Ethiopia Unbound – Studies in Race Emancipation von Casely Hayford, das 1911 in London erschien und dort bei den Mitgliedern der kleinen schwarzen Intellektuellengemeinde auf der Stelle zu einem Klassiker wurde. Der Roman Ethiopia Unbound erzählt die Geschichte eines jungen Afrikaners, der die Goldküste verlässt, um in England zur Schule zu gehen, und der wieder nach Hause zurückkehrt, um sich dem politischen Protest zu widmen. Die Vorstellungen des Buches über die Errettung der afrikanischen Rasse hatte der Autor Casely Hayford bezogen aus dem Werk des Missionars und Professors Edward Wilmot Blyden aus Sierra Leone, des anerkannten ›modernen Propheten‹ schwarzer Emanzipation.

      »Das Werk von Männern wie Booker T. Washington und W.E. Burghart Du Bois ist exklusiv und provinziell«, sagt der Protagonist des Buches in einer Szene im Hörsaal. »Das Werk von Edward Wilmot Blyden ist universell, umfasst die ganze Rasse und das ganze Problem.« Der Dozent geht gar so weit, Blyden zu beschreiben als »den größten lebenden Exponenten des wahren Geistes afrikanischer Nationalität und afrikanischen Menschentums«.

      Solche heroische Ideen und die erhabenen Namen derjenigen, die sie verraten, schwirrten ihm im Kopf, als Garvey im Frühsommer 1914 in Southampton an Bord eines Dampfschiffes ging. Am 15. Juli betrat er wieder jamaikanischen Boden. Ungefähr zwei Jahre war er fort gewesen, und es dauerte weniger als einer Woche in Kingston, da gründete er die Universal Negro Improvement and Conservation Association and African Communities League, eine Organisation, deren Hauptziel es war, ein College-System nach dem Prinzip der Rassentrennung, aber Gleichberechtigung für die schwarzen Jamaikaner einzurichten, das sich an dem Tuskegee Institute von Booker T. Washington orientierte. Das Motto der Vereinigung, offensichtlich angeregt durch eine Zeile aus Ethiopia Unbound, lautete: »Ein Gott! Ein Ziel! Ein Schicksal!«

      Die altehrwürdige britische Tradition, sich zu identifizieren mit den ›Höherstehenden‹, hatte die vorwiegend kreolische Bevölkerung der Insel zu Menschen gemacht, die auf naive Weise danach strebten, die soziale Stufenleiter zu erklimmen, und sich sehnten, ›als Weiß gelten zu können‹. Garvey schrieb später: »Männer und Frauen, so schwarz wie ich oder gar noch schwärzer, hatten sich unter der westindischen Gesellschaftsordnung für weiß gehalten. Es war einfach unmöglich für jemanden, offen die Bezeichnung ›negro‹ zu gebrauchen; und doch nannte ein jeder im Flüsterton den schwarzen Menschen einen ›nigger‹.«

      Die Mehrzahl seines eigenen Volkes blieb Garveys Gedankengängen gegenüber feindlich gesinnt. Es liegt eine besondere Ironie darin, dass seine enthusiastischen Anhänger der Bürgermeister von Kingston und der römisch-katholische Bischof waren, beide Weiße.

      1915 korrespondierte ein entmutigter Garvey mit Booker T. Washington, und sie planten eine persönliche Begegnung in Alabama, die jedoch nicht zustande kam, weil Washington vorher starb. Als er den jamaikanischen Widerstand gegen seine Idee von schwarzem Stolz satthatte, ging Garvey 1916 in die Vereinigten Staaten, um dort Anhänger zu finden. Nachdem er in ungefähr fünfunddreißig Staaten ein zugänglicheres Publikum gesucht hatte, fand er schließlich eines in Harlem, und im nächsten Jahr verkündete er die Gründung der Universal Negro Improvement Association (UNIA) als eine Bruderschaftsorganisation für ortsansässige Politiker, führende Leute aus dem Geschäftsleben und ehrgeizige, an Bürgerrechten interessierte Schwarze. Garvey war jedoch nicht zufrieden mit der Politik, und bald schon nutzte er die Vereinigung als Kanzel, von der er das schwarze Repatriierungsprogramm predigte, das er als die einzige Lösung für die Rassenspannungen zwischen Schwarz und Weiß in Amerika, ja in der ganzen Welt ansah.

      Garvey war ein genialer Medienmanipulator und zeichnete verantwortlich für eine Zeitung namens The Negro World, eine Monatszeitschrift mit dem Titel The Black Man sowie für ein Schifffahrtsunternehmen, das er Black Star Line getauft hatte. Er behauptete, die UNIA habe eine Mitgliederschaft von über zwei Millionen, und organisierte spektakuläre Paraden und Versammlungen im Madison Square Garden, wo er seine Gefolgsleute mit seiner ›Äthiopien, Land unserer Väter!‹-Rhetorik zu Begeisterungsstürmen brachte. Erfindungsreich in seiner Absicht, allenthalben Respekt für schwarze Menschen zu gewinnen, entsandte er sogar eine Kommission zur Konferenz des Völkerbundes, die nach dem Ersten Weltkrieg in Genf stattfand, und ließ von ihr beantragen, dass bestimmte Territorien, die unter der Herrschaft Deutschlands standen, den amerikanischen Schwarzen als Dank dafür überlassen wurden, dass sie geholfen hatten, den Krieg zu gewinnen.

      »Wir Neger glauben an den Gott von Äthiopien, den ewigen Gott – den Gott der Götter, Gott den Heiligen Geist, den einen Gott aller Zeiten!«, tönte er. »Dies ist der Gott, an den wir glauben, aber anbeten werden wir ihn, indem wir von Äthiopien auf ihn schauen« – aus dem gelobten Land, das allgemein von afrikanischen Völkern als die Wiege der Zivilisation angesehen und sowohl in der koptischen wie in der King-James-Bibel in solchen Passagen wie folgender aus dem 68. Psalm gepriesen wird: »Princes shall come out of Egypt; Ethiopia shall soon