Verlorene Zeiten?. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783940621580
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doch noch meine nationalen Wurzeln zu finden …“

      1951 reisten Sie das erste Mal in die DDR, zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten‘. Hatten Sie keine Bedenken, nach Deutschland zu fahren?

      Ganz im Gegenteil: Ich wusste, das muss ich jetzt machen. Und da wird mich auch keiner davon abhalten. Das war eine innere Verpflichtung.

      Fühlten Sie sich verpflichtet, weil Sie Kommunistin waren?

      Nein, nicht deswegen. Vielmehr sah ich dadurch eine Möglichkeit, in das Land zu kommen, in dem ich geboren wurde, und wo ich nun hoffte, doch noch meine nationalen Wurzeln zu finden. Und das wollte ich mir unbedingt anschauen.

      Was verstehen Sie unter ,nationalen Wurzeln‘?

      Zugehörigkeit zu einem Volk. Ich wusste, dass ich keine Deutsche bin, und ich wusste sehr wohl, dass ich Jüdin bin. Aber das wollte ich nicht sein – Jüdin. Ich glaubte, ich könnte die Identität wählen. Ich wollte Deutsche werden. Ich war schon Kommunistin, ich wollte eine deutsche Kommunistin werden. Das sollte meine Zugehörigkeit zu einem Volk, das sollte meine nationale Identität werden. Ich wollte eigentlich vergessen, dass ich Jüdin bin. Ich hatte den Antisemitismus der Nazis verinnerlicht. Und ich hasste meine Mutter, die das Judentum für mich verkörperte. Ich nannte mich später eine jüdische Antisemitin.

      Ihre ,nationalen Wurzeln‘ wollten Sie ausgerechnet in Deutschland finden?

      Ich hatte keine Ahnung, dass ich noch von etwas viel Tieferem getrieben war, nämlich von Angst. Die Angst aus der Kindheit vor den Nazis. Die hatten mir nämlich beigebracht, dass ich jüdisches Ungeziefer bin. Ich wollte eigentlich, dass die, die mich früher so angegriffen und abgelehnt hatten, mich in die Arme nehmen und sagen: Du bist doch kein Ungeziefer, du bist ein nettes, liebes Mädchen! Und außerdem fühlte ich mich in Australien nicht zu Hause. Ich fühlte mich als Fremdkörper. Von den jiddisch sprechenden, osteuropäischen Freunden meiner Mutter hatte ich gelernt, dass man nationale Wurzeln braucht wie die Luft zum Atmen: Nur mit nationalen Wurzeln kann man wirklich glücklich sein! Und ich wusste eben auch: Ich bin nicht australisch. Deutsch war ich zwar auch nicht, aber vielleicht könnte ich das werden? Denn ich war ja schließlich in diesem Land geboren, auch wenn das mehr ein Zufall war. Nun gab es diese zwei Deutschlands, eins davon ein sozialistisches. Ich dachte, vielleicht könnte es meine Lebensaufgabe werden, als Lehrerin die deutsche Jugend so zu erziehen, dass sie nicht wiederholen, was ihre Eltern getan haben. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Das war schon auch etwas, was mich getrieben hat.

      Wie haben Sie Ihren ersten Besuch in ,Berlin, Hauptstadt der DDR‘ erlebt?

      Berlin war in diesen drei Wochen im August 1951 eine sehr bunte Stadt. Ich kam mit großer Neugierde. Ich kam mit der Absicht, sechs Monate zu bleiben, um zu sehen: Gehöre ich wirklich hierhin, sind hier wirklich meine nationalen Wurzeln, oder ist das ein Irrtum? Da ich aber kein Visum bekam, um zu bleiben, bin ich abgefahren. Je mehr bürokratische Hürden sich dann zwischen mir und meinem Wunsch, in der DDR zu bleiben, aufbauten, desto klarer wurde für mich: Doch, da sind meine nationalen Wurzeln, und dort will ich leben. So dass ich, als ich wieder in Australien war, wusste: Ich will wieder zurück. Ich will da gänzlich leben.

      „… was meine Partei sagte, das war für mich die reine Wahrheit.“

      Was empfanden Sie, als zwei Jahre nach ihrem Besuch in Ost-Berlin Stalin starb?

      Im März 1953 war ich gerade in Australien, unterwegs in der City. Da kam mir ein Genosse entgegen und sagte: „Stalin ist gestorben“. Ich wollte am liebsten losheulen, konnte es aber nicht. Ich verstand nicht, wieso ich das nicht konnte. Vielleicht, weil man über jemanden, den man persönlich nicht kennt, so nicht trauern kann, dachte ich damals. Ja, das war es, was es in mir ausgelöst hat: Verwunderung über die ausbleibende Trauer.

      Wussten Sie von den Parteisäuberungen und Schauprozessen in der UdSSR?

      Ja, aber ich habe das alles nicht geglaubt.

      Die antijüdischen Affären: die so genannte ,Ärzteverschwörung‘, 7 der ,Slánský-Prozess‘ 8 – wie haben Sie diese Ereignisse eingeschätzt?

      Die Slánský-Affäre … Das wird schon mit rechten Dingen zugegangen sein, dachte ich. Ich unterschied sehr wohl, wie die Partei das ja auch sagte, zwischen ,Zionisten‘ und Juden‘. Ich akzeptierte, dass es nicht antisemitisch ist, wenn von ,Zionisten‘ die Rede ist. Was meine Partei sagte, das war für mich die reine Wahrheit. Meine Partei konnte nicht Unrecht haben, wenn sie sagte: „Es gibt im Sozialismus keinen Antisemitismus.“ Als dann 1956 die so genannte ,Geheimrede‘ Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU publiziert wurde, war meine Reaktion darauf: „Also hat es doch“ – jetzt find’ ich das Wort nicht … Nicht Verbrechen‘, das Wort Verbrechen‘ hätte ich nicht gedacht, also: Verbiegungen im Sozialismus gegeben. Aber jetzt sind sie vorbei! Da es jetzt an die Öffentlichkeit gekommen ist, kann so etwas nicht noch einmal passieren und alles wird wieder gut. Ich war nicht in der Lage, in irgendeiner Weise kritisch mit Parteigeschichte umzugehen.

      Wann kamen Sie das nächste Mal in die DDR?

      1954 bin ich zunächst nach West-Berlin gegangen. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten zögerte meine Einbürgerung immer wieder hinaus. Sie waren misstrauisch und wollten sich versichern, dass ich keine Agentin war. Ich bin dann aber immer über die Grenze nach Ostberlin gefahren zu Freunden, die ich bereits in Australien gekannt hatte. Das waren deutsch-jüdische Flüchtlinge, die 1946/47 in die DDR gegangen sind. Denen habe ich gesagt, dass ich gerne in der DDR leben wollte. Zwei haben versprochen, mich zu unterstützen. Der eine hat mich wirklich unterstützt, und der andere hat über mich bei der Stasi berichtet, der hatte den Auftrag, mich als internationale Agentin zu entlarven. Hirnverbrannt war das. Dieser Mann kannte mich seit meinem 10. Lebensjahr; dass ich keine internationale Agentin war, muss ihm doch eigentlich klar gewesen sein. Aber für diesen Mann war die Partei genauso eine Ersatzfamilie wie für mich. Und die Stasi war jetzt der Papa. Und man macht, was Papa sagt. Papa hat ihm gesagt, dieses Mädchen ist eine internationale Agentin, und du musst jetzt den Beweis finden. Und da hat er das versucht.

      Als Grenzgängerin von Ost nach West und umgekehrt haben Sie beide Seiten kennen lernen können – welche Unterschiede haben Sie wahrgenommen?

      Also die Westberliner waren alle Antikommunisten. Und in Ostberlin waren alle Kommunisten. Ich rede jetzt von meiner damaligen Sicht. Aber ich traf auch auf Leute in Ostberlin, die nicht so begeistert waren von der DDR wie ich. Das waren dann eben die Kleinbürger, die die Notwendigkeiten der Revolution nicht verstanden.

      „Ich sehnte mich nach Kontakt zur Partei. Aber das MfS war mir auch recht.“

      Sie haben, als Sie in West-Berlin lebten, bereits für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet. Wie kam der Kontakt zustande?

      Es fing eigentlich damit an, dass ich bei der Schallplattenfirma Elektrola als Sekretärin gearbeitet habe. Mein Chef hatte unter Hitler die Wunschkonzertsendungen geleitet. Ich wusste, das ist ein alter Nazi. Der hat irgendwann mit VEB Schallplatten Verhandlungen geführt. Ich habe das Protokoll dieser Verhandlungen geschrieben. Und da habe ich gesehen, dass er versuchte, VEB Schallplatten übers Ohr zu hauen. Einer meiner Freunde in Ost-Berlin arbeitete im Ministerium für Kultur. Dem habe ich davon erzählt und gefragt, ob er eine Kopie von diesem Protokoll haben will. Ja, sagte er. Okay, das hat er bekommen. Und so, denke ich, ist das MfS auf mich aufmerksam geworden.

      Wie ging es mit dem MfS dann weiter?

      Nach Elektrola habe ich als Sekretärin bei Schering gearbeitet. Sobald ich von Schering aus in die IG Chemie eingetreten war, ging ich über die Grenze zur IG Chemie der DDR und habe gesagt, ich bitte um eine Zusammenarbeit. Ich wurde nicht geschickt, ich bin von allein gegangen! Dort wurde ich einer Dame namens Lucie vorgestellt, und wir haben uns dann so ein bisschen angefreundet. Sie hat mich zu sich eingeladen und mir Rat gegeben, wie ich dieses und wie ich jenes machen soll. Eines Tages wurde ich auf der Straße von einem Mann angesprochen, der sich als Freund von Lucie vorstellte. Er fragte, ob wir nicht mal Kaffee trinken wollen. Wir haben uns verabredet.