Ruf der Pflanzen. Jutta Blume. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jutta Blume
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864081804
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wenn, dann haben sie keine Ahnung, wie wir es tun. Unsere Missus hat die Ayoowiiri im Garten stehen, weil sie den Anblick der Blüten so liebt. Ich konnte die Samen einfach im Garten unserer Herrschaften pflücken. Aber der Fremde scheint mehr zu wissen, er hat Coba über die Blüten und die Samen ausgefragt, er nannte die Pflanze Flos Pavonis, und niemand hat ihn verstanden. Aber er brauchte ja nur auf die Exemplare der Missus zeigen.«

      »Ayoowiiri ist gut gegen Fieber und heilt Wunden, könnte es nicht das sein, was ihn interessiert? Und selbst wenn er auch das andere erfährt, nur die gute alte Kukua könnte die Hand des Schicksals treffen. Ich sehe deswegen keine Gefahr für dich.«

      »Heißt das, dass du mich zurückschicken willst?«

      Noch bevor Ife die Antwort hören konnte, füllte ein ohrenbetäubendes Rauschen ihre Gehörgänge aus, als sie von einem harten, eiskalten Wasserfall getroffen wurde. Sie konnte nur sehen, wie Adjoa die Lippen bewegte und dabei den Kopf schüttelte.

      4

      Die vier Frauen und zwei Kinder um Ife herum atmeten fast im Gleichtakt. Ife konnte nicht schlafen. Die Panik, dass Adjoa sie fortschicken würde, weil ihrer Meinung nach in Sugar Creek keine Gefahr für Ife bestand, wollte nicht weichen. Sie musste hinaus, weg von diesem gleichmäßigen Atmen, in das sie sich nicht einfügen konnte. Draußen saß eine Frau in der schwarzen Luft und wachte. Ife hätte hingehen und sie ablösen können, aber konnte die Wache ihr Angebot überhaupt annehmen? Sie sah von ihrem Baumsitz aus sofort, wie Ife aus der Hütte trat, aber sie wandte den Blick ab. Ife vermisste die gleichgültige Gesellschaft der Sterne, die sie in Sugar Creek gesucht hatte, wenn Sorgen ihr nicht den Schlaf der Erschöpfung gegönnt hatten. Diese Lichter gehörten so wenig zu ihrer Welt, dass es leicht war, aus sich herauszutreten und von oben ihren dürren Körper zu betrachten. Doch hier im Wald kam das Licht der Sterne nicht bis unten und sie kam nicht zu den Sternen. Blätter und nochmals Blätter, Schichten von Geäst sperrten sie auf dem Erdboden ein.

      Ife trat an den Baum heran. Seine Wurzeln verströmten einen schweren Pilzgeruch, der in die Tiefe zog. Trotzdem hakte sie Hände und Füße in die eingeschnittenen Kerben und zog sich zum Hochsitz hinauf. Die Frau beobachtete sie mit immer größer werdenden Augen, aus denen mühsam beherrschte Panik sprach. Ihre rechte Hand umklammerte einen Knüppel. Sie hieß Marta, eine stille und ernste Frau in Ifes Alter, Mutter von einem Säugling.

      »Marta, geh schlafen.« Ife deutete mit einer Hand auf sich selbst und auf den Posten.

      Marta sah nicht überzeugt aus. Sie schaute hinab auf die Hütten. Ife begriff, dass sie selten Entscheidungen traf. Marta zeigte auf den Ast neben sich, ließ aber den Knüppel nicht los. Sie waren zwei verängstigte Katzen, die aneinander vorbei balancieren mussten.

      »Kannst du pfeifen?«, fragte Marta, indem sie ihre Finger in den Mund steckte. Ife bejahte.

      »Richtig?«

      »Ich weiß nicht.«

      Wie sollte sie es Marta beweisen, wenn sie dabei keinen Laut von sich geben durfte? Wie hatten die anderen Frauen das Pfeifen gelernt? Marta führte ihre Finger in verschiedenen Verflechtungen zum Mund, dann öffnete sie leicht die Lippen und ließ sehen, wie sie ihre Zunge über die Zähne rollte.

      Ife imitierte, die andere schüttelte immer wieder den Kopf.

      »Ich schaff das schon«, sagte Ife, »geh schlafen.«

      »Nein.« Dann saßen sie da und schwiegen, blickten beide in die Schattierungen von Schwarz, die die Nacht ihnen darbot. Die Tiere der Nacht raschelten im Geäst. Ifes Augen zog es wieder gen Himmel auf der Suche nach den Sternen. Einmal tippte Marta sie an und Ife fuhr zusammen. Aber die andere grinste nur, als wollte sie sagen: »Du taugst nicht zu einer Wache.«

      In Wirklichkeit sagte sie: »Geh wieder schlafen.« Ife war müde vom Hocken auf dem Ast, aber sie wollte beweisen, dass sie durchhalten konnte.

      Am Morgen fand sie sich, die Wange eng an die glatte Haut des Baumstamms geschmiegt, alleine über der Siedlung. Sie hatte den Fortgang ihrer Nachtgefährtin nicht bemerkt. Die anderen saßen unten, aßen, stillten ihre Säuglinge oder waren schon zur Arbeit auf ihren im Wald versteckten Feldern aufgebrochen. Am liebsten wäre Ife auf ihrem Ast sitzen geblieben, aus Angst vor dem Spott, der sie dort unten treffen mochte. Noch schlimmer war, dass sie die Worte der anderen nicht verstehen würde. Egal, was sie sagten, Ife würde sich das Schlimmste ausmalen.

      Während sie ihre Füße Tritt für Tritt dem Erdboden näherte, ertönte von der anderen Seite der Palisade ein hohles Pfeifen. Alle im Lager erstarrten, nur Juba, die Zweitälteste, ging zum Zaun und öffnete. Draußen stand der kräftige junge Mann, der Ife hergebracht hatte. Er flüsterte ein paar Sätze, dann war er wieder verschwunden.

      Juba flüsterte den Frauen etwas zu. Sofort brach eine große Geschäftigkeit los, bei der eine jede genau zu wissen schien, was sie zu tun hatte. Kinder wurden auf Rücken gebunden, dazu spärliche Vorräte. Adjoa übergoss die Frauen nacheinander mit schwarzem Wasser, das sie mit einer Kalebasse aus einem Holztrog schöpfte. Ife, die nun ohne Aufsehen zu erregen wieder unten angelangt war, stellte sich ans Ende der Reihe. Sie bot einer anderen ihren Rücken an, ihm auch ein Bündel aufzubürden, doch die Angesprochene schaute schnell weg und packte sich die Last auf ihre eigenen Schultern, als wären Ifes Knochen so ungeeignet zum Tragen wie ihre Augen zum Wachen.

      Sie gingen im Gänsemarsch in unterschiedliche Richtungen ins Dickicht hinein. Drei Frauen eilten voran und waren schnell außer Sichtweite. Drei weitere ließen sich hinter die Hauptgruppe zurückfallen. Von vorne tönten Pfiffe abwechselnd von links, von rechts und aus der Mitte, wie um zu sagen: »Ich bin noch da.« »Ich auch.« »Ich auch.« Dann kamen ebenso die Pfiffe von hinten. So gingen sie, rannten sie, Kinder quäkten und wurden noch dichter an die Rücken gepresst, damit ihr Quengeln von nackter Haut geschluckt würde. Unterwegs stießen die Frauen zu ihnen, die schon zur Feldarbeit aufgebrochen waren. Sie gingen eine Weile durch einen braunen, trägen Fluss. Dann stiegen sie ans Ufer und wurden auf einen Pfiff hin plötzlich eins mit den Baumstämmen.

      Sie standen nur da und atmeten lautlos. Die Nachhut fehlte und ließ nichts von sich hören. Schließlich ertönte noch ein Pfiff, tiefer als die vorherigen, und die Augen aller füllten sich mit Angst. Die Münder der Kinder wurden mit Händen verschlossen. Sie warteten, dass die Gefahr vorüberzog oder näherkam, wer konnte das schon sagen? Dann war es plötzlich vorbei, ohne ein Signal lösten sich alle von ihren Bäumen und gingen mit der ihnen eigenen Lautlosigkeit in den Wald hinein, ein Schwarm von Schatten.

      Niemand sagte einen Ton, bis die Dunkelheit hereinbrach. Selbst die Kinder und Säuglinge waren in eine Stille verfallen, als hätte man sie hypnotisiert. Niemand fragte, was mit der Nachhut geschehen war.

      Ihre Flucht durch den Dschungel währte drei Tage. Am dritten Abend stieß der Bote der Männer zu ihnen. Ife versuchte, Brocken aus seinem Bericht aufzuschnappen. Jemand hatte Sklavenjäger im Wald gesichtet, die aber wieder umgekehrt waren. Die Nachhut der Frauen und Männer war schon zurückgekehrt, um die Siedlungen aus dem Wald heraus zu überwachen. In ein paar Tagen würden sie alle zurückgehen können, sagte Adjoa. Und dass sie Glück hatten, weil sie dieses Mal keine neue Siedlung bauen mussten.

      Tagsüber streiften sie auf der Suche nach Essbarem durch den Wald. Ife hielt sich an die Maden unter losen Baumrinden. Dass sie sich noch zwischen den Fingern wanden, beeindruckte sie kaum noch. In der Nähe stocherte Marta mit einem Stock im Boden herum. Ihre Tochter trug sie fest auf dem Rücken geschnürt, ein Paket, das sie während der Flucht kaum abgelegt hatte.

      »Marta. Warum Marta? Por ke? Du bist frei. Warum hast du diesen Namen?«, fragte Ife.

      »Keine Eltern. Niemand hat mir einen Namen gegeben.«

      Bei genauem Hinsehen war Marta jünger als Ife, fast noch ein Kind. Sie wählte einfache Worte und sprach betont langsam. Dabei sah sie schüchtern auf ihre Füße. »Du bist Ife, das Kind der Liebe. Wo sind deine Eltern?«

      »Mein Vater tot. Meine Mutter verkauft, als ich noch klein war. Warum hast du dir nicht selbst einen Namen gegeben?«

      »Ich kenne keine Namen. Und Juba will mir keinen geben.«