Ruf der Pflanzen. Jutta Blume. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jutta Blume
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864081804
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klangen nur entfernt wie Englisch.

      »Was hast du da?«, sprang der Sklave ein.

      »Blätter.«

      »Was hast du damit vor?« Der Sklave übersetzte weiter die Worte des Fremden.

      »Medizin.«

      »Für wen ist die Medizin?« War es besser zu behaupten, dass sie von Sugar Creek kam oder im Gegenteil, dass sie sich nur zufällig hierher verlaufen hatte?

      »Meine Leute«, antwortete sie ausweichend.

      »Wer sind deine Leute?«

      »Wir sind nur unbedeutende Neger, was spielt das denn für eine Rolle?«

      »Gib mir das Bündel«, übersetzte der Sklave weiter.

      Ife drückte die piekenden Palmblätter noch fester an sich. Es war Adjoas geheime Botschaft der Liebe. Sie durfte sie nicht verlieren, so kurz vor dem Ziel.

      »Sie sagt nicht die ganze Wahrheit«, mischte sich Coba mit heiserer Stimme ein. »Sie kommt von Sugar Creek. Wir waren zusammen im Wald, um Kräuter zu suchen. Plötzlich war sie verschwunden. Ich habe sie gerufen, konnte sie aber nirgends mehr entdecken. Die Herrschaften haben behauptet, sie wäre fortgelaufen, aber bedenken Sie, wer möchte schon dort draußen alleine überleben? Sehen Sie, dieses Mädchen weiß zwar ein wenig über Medizin, aber sie weiß nicht, wie sie sich alleine Nahrung beschafft. Sie hat sich verlaufen, sie wäre niemals freiwillig in den Wald gegangen. Sie war eine gute Sklavin, sie hat mir in der Krankenbaracke geholfen. Die Herrschaften haben ihr viel Vertrauen geschenkt.«

      Der Sklave übersetzte nicht mehr. Der Fremde schien zu verstehen. Er stellte Coba eine Frage und Coba nickte langsam. Demnach verstand sie das Kauderwelsch des Fremden, das bei genauem Hinhören doch ein wenig nach Englisch klang, nur so, als würde er ein bekanntes Lied zu einer völlig falschen Melodie anstimmen. Ife konzentrierte sich auf die Worte, und glaubte in der nächsten Frage die Worte »Wie« und »überlebt« zu erkennen.

      »Das weiß ich nicht. Fragen Sie sie selbst, aber lassen Sie George das Messer von ihrem Hals wegnehmen, das lähmt die Zunge. Margaret heißt sie.«

      »Margaret, stimmt das, was die Alte sagt?«

      Margaret, wie lange war sie nicht mehr mit diesem Namen angesprochen worden. Dem Namen, den der Mister in seinen Büchern vermerkt hatte, weil Ife für ihn kein Name war. Doch ihre Mutter hatte den Namen nie in den Mund genommen, und auch die anderen Sklaven hatten sie stets Ife gerufen. Ife brauchte immer einen Moment, um zu reagieren, wenn sie jemand Margaret nannte.

      Sie nickte beflissentlich.

      Der Rotgesichtige kniff das Gesicht zusammen, und das Rot ging in Purpur über. Die folgenden Sätze spuckte er so sehr aus, dass ein paar Fetzen Speichel mit hinausflogen. Ife starrte fasziniert in das verzerrte Gesicht, was es ihr unmöglich machte, sich auf die Worte zu konzentrieren. Erst nachdem die Worte aus dem Gesicht des Fremden geflogen waren, machte sich der Sklave schüchtern an die Übersetzung. Der Junge ließ die Sätze so monoton verlauten, dass sie fast ihren Sinn verloren.

      »Hat dir niemand beigebracht, in ganzen Sätzen zu antworten. Gib mir gefälligst eine vernünftige Antwort, wenn ich mit dir rede. Weißt du denn nicht, wer vor dir steht. Ich bin ein Gesandter des Königs und Mitglied der Königlichen Societät der Wissenschaften. Erzähl jetzt sofort, was du im Wald gemacht hast, oder ich werde dich auspeitschen lassen, dass dir hören und sehen vergeht.« Ife hörte mit gesenktem Blick zu. Jetzt bloß keine falsche Reaktion zeigen. Wenn Coba für sie in die Bresche gesprungen war, hatte sie eine Chance.

      Ein brüllender Tiger reißt keine Beute, beruhigte sich Ife.

      »Verzeihen Eure Hoheit.« Eure Hoheit sagte man doch zu Königen? Ife hatte trotz der Hilfe des Sklaven nicht verstanden, was der Fremde nun mit einem König zu tun hatte. Ife sprach sanft, wie um ein Kind zu besänftigen. »Ich werde versuchen, alle Eure Fragen zu Eurer Zufriedenheit zu beantworten. Es stimmt, dass ich mit meiner Lehrerin Coba im Wald war. Sie sehen, Coba ist nicht mehr so gut zu Fuß, und ich bin vorgelaufen, wir brauchten die Rinde von Quina, denn das Fieber verbreitet sich gerade wieder. Ich lief in die Richtung, wo die Bäume gestanden hatten, doch ich konnte sie nicht mehr finden. Plötzlich war alles fremd und ich rief nach Coba, aber ich bekam keine Antwort. Da bekam ich es mit der Angst, und ich begann zurück zur Plantage zu laufen, aber ich muss wohl in die falsche Richtung gegangen sein, denn nach Stunden hatte ich die Plantage immer noch nicht erreicht. Die Dunkelheit brach herein und ich musste dort auf der Stelle auf dem Boden zusammengerollt übernachten. Was glauben Sie, was ich für eine Angst vor den wilden Tieren hatte! Aber es half ja nichts, ich musste nun mutterseelenallein dort draußen im Wald schlafen. Auch am nächsten Tag fand ich den Weg nicht. So ging das Tag um Tag, ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich dort draußen herumgeirrt bin.«

      Mitleid zeigte sich nicht auf dem Gesicht der fremden Hoheit, eher eine Spur von Ungeduld.

      »Wovon hast du dich ernährt?«

      »Von Früchten und Wurzeln, Eure Hoheit. Einmal habe ich mir auch gehörig den Magen verdorben, mir war zwei Tage lang übel und ich konnte keinen Schritt mehr gehen. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre dort draußen verreckt.«

      Er musterte sie, sein Blick verriet, dass er nicht gerade erpicht auf Schilderungen ihres Elends war. Dann spürte Ife, wie sein Blick auf den Rundungen ihrer Brüste hängenblieb. »So schlecht siehst du eigentlich gar nicht aus«, murmelte er. »Hast du dort draußen Menschen getroffen? Indianer? Entlaufene Sklaven?«

      Ife schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf.

      Wieder lief der Fremde rot an und brüllte diesmal Coba an. Der Junge, der nicht genau wusste, wem die Rede galt, übersetzte weiter.

      »Recht hast du, die Wahrheit sagt deine junge Freundin nicht. Schamlose Lügengeschichten sind das. Ihr steckt doch alle unter einer Decke! Will da draußen alleine überlebt haben, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein! Das glaubt doch kein Mensch. Die Plantagenaufseher werden schon wissen, was mit ihr zu tun ist, ich will mich jedenfalls nicht länger mit ihr befassen.«

      »Mister, Sie wollten doch das Bündel sehen, das die Sklavin bei sich hat?«, meldete sich Coba ungefragt zu Wort.

      Mürrisch streckte der Fremde die Hand aus. Nichts half, sie musste ihm die zusammengebundenen Blätter überlassen.

      Der Fremde legte das Bündel auf den Waldboden und entknotete es mit der größten Vorsicht. Seine Finger, unglaublich lang und schmal mit knubbeligen Gelenken, beschäftigten sich ruhig mit den faserigen Schnüren, die mit der Machete viel leichter zu durchtrennen gewesen wären. Dann löste er die Blätter sorgfältig voneinander und breitete sie vor sich auf dem Boden aus. Die beiden Palmwedel von Prasara und Awarra hatten zwei große, glatte und herzförmige Blätter freigegeben, dazwischen wiederum hatte sich ein Mimosenzweig zu einem nahezu unkenntlichen Häufchen gefaltet. Der Stock, den Ife im Inneren des Bündels gespürt hatte, war ein Stück vertrocknete Liane, genauer betrachtet drei Lianen, die sich kunstvoll umeinander geschlungen hatten und eins geworden waren. Der Fremde stand etwas ratlos vor dieser Sammlung und schüttelte unwillig den Kopf. Etwas schien ihm an den Pflanzen zu missfallen.

      »Willst du mir nun erklären, was es mit diesen Pflanzen auf sich hat?«, ließ er Ife fragen.

      Ife war froh, dass sie, abgesehen von dem Lianenstück, die mitgebrachten Pflanzen erkannte.

      »Die da nennen wir Awarra. Aus ihren Blättern lassen sich sehr gute und feste Schnüre machen. Außerdem hat sie recht nahrhafte Früchte.«

      »Aber du hast nur ein Blatt bei dir? Außerdem hast du gesagt, du brächtest Medizin.«

      Ife dachte nach. Sie wusste beim besten Willen nicht, welchen weiteren Nutzen das Blatt haben sollte. Sie hatte schon die Wurzeln und die schwarzen Samen im Inneren der orangefarbenen Früchte benutzt, aber niemals die Blätter. Der Mann hat keine Ahnung, erzähl ihm irgendwas, rüttelte sie eine innere Stimme wach.

      »Wir machen ein Bad daraus, mit dem wir die neugeborenen Kinder abreiben, damit sie keine offenen Wunden auf der Haut kriegen«,