»Warum lebt ihr nicht zusammen?«
»Es ist nicht unsere Art. Wir leben nicht wie die Weißen und wir leben nicht wie ihre Sklaven. Die Alten sagen, sie haben in ihrer Heimat so gelebt. Dass es besser ist für alle und für die Liebe. Wirst du bei uns bleiben?«
»Ich glaube, sie werden mich fortschicken.«
»Nicht jede kann zu uns gehören.« Sie griff tröstend nach Ifes Hand und drückte sie. »Adjoa mag dich. Sie wird Juba sagen, dir nichts Schlimmes zu tun.«
»Was meinst du damit?« Ife hielt Martas kleine schwielige Hand fest, als könnte sie darin alle Antworten finden.
»Sie treffen manchmal die Sklavenjäger. Sie gehen hin, und bringen ihnen die Entlaufenen zurück. Dafür lassen die Jäger uns in Ruhe. Manchmal bekommen wir dafür auch Dinge zum Tausch. Messer, Stoff, Mehl, Salz.«
Ife ließ entsetzt die kleine Hand los. Das war der schlimmste denkbare Verrat. Wie konnten die, die von den Strafen auf den Plantagen wussten, ihre Brüder und Schwestern wieder in die Hände der Folterer geben?
»Hab keine Angst«, beruhigte Marta sie. »Nicht du. Wir sind zusammen vor den Jägern geflohen.«
Ife fühlte sich noch unsicherer als bei ihrer ersten Begegnung mit den Freien. In ihrer Vorstellung gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie nahmen sie im Cimarrón auf, oder sie schickten sie in den Tod, egal ob sie sie zurück in die Gefangenschaft sandten oder sie im Wald aussetzten, was nicht weniger grausam war.
Marta bohrte mit ihrem Stock nach einem winzigen grünen Trieb, der gerade ans Licht strebte. Sie verfolgte das Grün bis an die Stelle, wo der Keim im Boden einer harten Nussschale entsprang. Sie zerbrach die Schale mit den Händen und forderte Ife auf, den zartgrünen Inhalt zu probieren.
»Das ist sehr gut, aber musst du essen, bevor das erste Blatt gewachsen ist«, erklärte sie.
Ifes Kehle war wie zugeschnürt. Selbst von Marta, die nichts für die Grausamkeit der Anführerinnen konnte, mochte sie nichts annehmen. Sie wusste, dass Marta sich nicht für Ife einsetzen würde. Allein das war schon Verrat. Sie drehte sich weg und irrte langsam zwischen den Baumstämmen umher. Selbst die Gleichgültigkeit der Bäume machte Ife wütend, sie hätte sie am liebsten aus dem Weg geschlagen.
»Ife!« Marta kam mit schnellen Schritten hinter ihr her. Sie spürte den Atem an ihrem Ohr und die kleine Hand, die nach ihrer griff. Sie zog ihre Hand weg.
»Ich weiß, was du denkst. Aber wir sind nicht böse. Wir müssen leben. Wenn wir zu viele sind, müssen Leute gehen. Woanders leben, wo Platz ist, verstehst du?«
»Ich verstehe, aber das heißt genauso Leute töten.«
Marta sah erschrocken aus, schüttelte wild den Kopf. »Nein. Und niemand geht alleine.«
»Mit wem sollen sie mich schon wegschicken?« Ife wollte sich nicht so einfach trösten lassen.
»Du wirst sehen, wenn die Zeit gekommen ist.«
Bald kehrten die Frauen in ihre Siedlung zurück. Sie hielten auch tagsüber Wache, aber die meiste Zeit verbrachten sie nun wieder auf den versteckten Feldern oder im Wald. Ife lernte, die Kohlpalme zu ernten, ohne den ganzen Stamm zu fällen. Marta zeigte ihr, wo am Flussufer die Maracuya rankte. Sie brachte ihr auch bei, einen Damm zu bauen, und die Fische dann mit der bloßen Hand aus dem Wasser zu angeln. Ife lachte laut, als sie ihren ersten Fisch in der Hand hielt, der zappelnd aus ihrer Umklammerung gleiten wollte. Martas kleine Tochter lachte mit ihr. »Psst«, zischte Marta, aber als Ife anfing, die Bewegungen des Fisches nachzuahmen, musste sie selbst lachen.
Die Feldarbeit und das Sammeln von Früchten und Wurzeln nahm den größten Teil ihrer Zeit in Anspruch. Es gab nur wenige, die man fast nie arbeiten sah. Marta sagte, dass sie Überfälle auf die Plantagen planten, aber mehr dürfte sie nicht erzählen. Fernab der Siedlung zeigte Marta Ife die verschiedenen Warnpfiffe, aber so sehr Ife die Wangen aufblies, es kam nur ein gepresstes Zischen heraus. Marta zwang sie jeden Tag zu üben. Ife hatte zwar die Ehrfurcht vor dem Gebot der Stille verloren, aber die Ruhe des Waldes kam ihr auch nicht länger bedrohlich vor, jetzt, da sie hier ein Zuhause gefunden hatte. Sie lernte, die Bäume an ihrem Rascheln zu unterscheiden und eine Herde Pekaris aus der Ferne zu erkennen, sodass sie sich in aller Ruhe den bequemsten Fluchtbaum suchen konnte.
Adjoa, die irgendwie alles über alle wusste, ermahnte sie, nicht unvorsichtig zu werden. Denn auch wenn der Wald ein Freund sei, konnten sie sich darin nicht bewegen, wie es dem Wald angemessen war. War es im Wald am besten laut zu reden und zu singen, so mussten sie dennoch still sein, falls sich wieder einmal ein Trupp Häscher in die Gegend verirrte. War es für die Tiere besser, Spuren zu hinterlassen, war es wegen der Menschen unumgänglich, die eigenen zu verwischen und falsche auszulegen. Das Leben war ein ständiger Spagat zwischen dem Gebot sich unsichtbar zu machen und gleichzeitig wie die Herren des Waldes aufzutreten.
Auch wenn die Frauen und Männer getrennt lebten, gingen Juba, die sie auch »die Königin« nannten, und Adjoa oft in die Siedlung der Männer. Auch andere Frauen gingen dorthin, aber meistens alleine. Sie gingen nicht mit dem Ausdruck von Stolz und Macht in ihrem Gesicht. Einmal musste Ife mit einer zweiten Wache ganz alleine in der Siedlung zurückbleiben. »Es ist eine große Zeremonie«, erklärte Marta. »Der Schamane kommt.«
Auch nach Sugar Creek kam manchmal ein Schamane, ein echter Indio, der eine Tagesreise entfernt lebte. Coba ließ ihn rufen, wenn sie mit ihren Heilkünsten nicht weiterkam. Meistens saßen die beiden nach der Heilung lange zusammen und redeten. Niemand sonst durfte bei diesen Treffen zugegen sein. Ife wusste, dass sich Coba bemühte, dem Schamanen sein Wissen abzuringen, denn für sie war es schwierig, ihn rufen zu lassen. Die Herrschaften mochten ihn noch weniger als den unglückseligen Pater, sie hätten lieber einen weißen Doktor gehabt, doch es gab keinen näher als Demerara, mehrere Tagesreisen entfernt. Bis er zur Stelle war, war meistens nur noch der Pater nötig.
Nach dem Treffen mit dem Schamanen rief Adjoa Ife zu sich. »Erzähl mir, was Coba dich über die Kräuter gelehrt hat.«
Ife zählte die üblichen Hausmittel gegen Kopf- und Leibesschmerzen auf, für die Wunden auf der Haut, die Arbeit und Peitsche zurückließen, für die Wunden, die sich nicht schließen wollten, weil die Feuchte in sie einzog. Mittel gegen brennenden Harndrang, Mittel gegen Durchfall. Lösungen gegen Kopf- und Körperläuse und übelriechende Tinkturen, die blutsaugende Kleintiere vom Leib halten sollten. Tees und Umschläge, die den heilsamen Schlaf herbeiführten und solche, die die Gifte aus dem Körper trieben. Alles in allem nichts Besonderes, wie Ife befand, denn es gab hunderte Mittel mehr. Diese waren am einfachsten zuzubereiten und anzuwenden. Sie erzählte, dass die Herrschaften keine Zeit für eine angemessene Heilung ließen und berichtete über die Zustände in der Krankenbaracke. »Wieso hast du die Mittel für und gegen die Mutterschaft nicht erwähnt?«, wollte Adjoa wissen, die aufmerksam zugehört hatte.
»Ach, weil wir nicht darüber sprechen dürfen, weil es für sie keine Medizin ist. Sie hätten gerne einen weißen Doktor, der den Kindern auf die Welt hilft, deren Kra sich dagegen sträubt, aber kein weißer Doktor möchte in dieser Abgeschiedenheit leben. Obwohl sie nicht viel dagegen tun können, können sie nicht akzeptieren, dass wir ihre zukünftigen Sklaven nicht in die Welt lassen.«
»Was ist mit den Pflanzen, die es deinem Kra gutgehen lassen? Was mit denen, die einen bösen Geist vertreiben? Und mit denen, die dich von einem ungewollten Band befreien?«
»Ich kann wohl ein süßes Wasser bereiten, um das Kra zu baden. Aber die anderen Dinge wollte Coba mir beibringen, wenn es an der Zeit ist, wie sie sagte. Sie sprach nicht viel darüber, weil es gefährlich sei, zu viel über verbotene Dinge zu sprechen.«
Adjoa brummte unzufrieden. »Kukua ist eine alte Frau wie ich. Wir alten Frauen müssen jeden Tag damit rechnen, dass wir in die Welt der Geister zurückgerufen werden. Kukua darf nicht damit warten, ihr Wissen weiterzugeben. Es ist ihre Pflicht gegenüber ihren Brüdern und Schwestern.«
»Ich glaube, dass Coba wusste, was sie tut. Ich vertraue ihr.«
»Du solltest niemandem