On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
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Dollar bestochen worden.

      Noch liegen die nötigen Papiere für die Einreise der Ehefrau in die USA nicht vor. Ilse kehrt also vorerst nach Dubrovnik zurück, und Billy eilt heim, um seine Eltern zu beruhigen.

      Den Plan eines Medizinstudiums in Wien hat er unterdessen aufgegeben. Wegen des zunehmenden Drucks der Nazis auf Österreich sieht er für sich Schwierigkeiten voraus, denen er sich nicht aussetzen will.

      Er erfährt, dass sein Freund Keils, von seiner Frau geschieden, allein in einem kleinen Haus in Harvard lebt. Er beschließt, zu ihm zu ziehen und eine Universitätskarriere in Ethnologie anzustreben. Bald jedoch wird ihm klar, dass er dem akademischen Klüngel und den Intrigen an einer Universität nicht gewachsen ist.

      Das offenbar glückliche Zusammenleben mit Keils bringt ihn wieder dazu zu schreiben. Die beiden verfassen eine groteske Geschichte über den Untergang der Titanic, einen Text, der in seiner Mischung von Slapstick, Surrealismus und schwarzem Humor Burroughs’ spätere Sichtweise der Welt als eines absurden Comic vorwegnimmt. Die beiden jungen Männer schicken den Text an Esquire. Die Redaktion lehnt ihn mit der Begründung ab: ›Zu verdreht, aber dann auch wiederum nicht wirksam genug für uns.‹14

      Diesmal sollten sechs Jahre vergehen, ehe sich Burroughs abermals daranmacht, etwas zu schreiben.

      Die nächsten Jahre in seinem Leben gleichen dem Zickzackkurs eines Schiffes, das von niemandem gesteuert wird.

      Wir erleben einen Mann, der sich dem Entree ins bürgerliche Leben verweigert, aber auch nicht recht weiß, was er sonst mit sich anfangen soll.

      So macht er Erfahrungen mal hier und mal dort, und wie unterschiedlich und ungewöhnlich, ja lächerlich sie im einzelnen auch sein mögen: sie geben ihm Selbstvertrauen und verhelfen ihm zu einer unkonventionellen Art von Lebensweisheit. Den American way of life wird er von nun an nur noch zynisch-sarkastisch sehen und kommentieren.

      Burroughs entwickelt einen schwarzen Humor, der ihn zusammen mit seiner anarchistisch-kriminellen Energie und seiner formalen Experimentierfreudigkeit als Chronisten des außer Kontrolle geratenen Bösen, der Suchtverfallenheit und des Autoritären geradezu prädestiniert. Er beginnt zu dieser Zeit mit seinen observer notes, Aufzeichnungen über bestimmte soziale Milieus und die zugehörigen Menschen, ein Einfall, der ihm wahrscheinlich durch seine anthropologischen und völkerkundlichen Studien nahegelegt worden ist.

      Er muss dafür sorgen, dass Ilse Klapper in die USA einreisen kann. Er wird von der Einwanderungsbehörde scharf befragt, ob die Ehe vielleicht nur eingegangen worden sei, um Ilse die Einreise zu ermöglichen. Mit todernstem Gesicht erklärt er, er liebe seine Frau und wolle mit ihr leben.

      In Amerika im Frühjahr 1939 eingetroffen, wird Ilse die Sekretärin des aus Nazideutschland emigrierten Schriftstellers Ernst Toller, der in den zurückliegenden Monaten versucht hat, eine humanitäre Hilfsaktion für die zivilen Opfer des spanischen Bürgerkriegs ins Leben zu rufen. Da bricht nach einer erneuten nationalspanischen Offensive die spanische Republik endgültig zusammen. Bei seiner selbstgestellten Aufgabe gescheitert, von den Nazis verfolgt, von seiner jungen Frau verlassen und von der Vorstellung bedrängt, als Künstler in den Vereinigten Staaten in Vergessenheit zu geraten, begeht Toller Selbstmord.

      Ilse findet ihn, als sie einmal verspätet vom Lunch ins Büro kommt, im Badezimmer. Er hat sich mit dem Gürtel seines Bademantels erhängt.

      Die Erklärung, die Burroughs für das Ereignis gibt, von dem er durch Ilse erfährt, ist typisch für seine Sichtweise der Wirklichkeit. Er erzählt ihr, dass Ratten zweierlei nicht ertragen könnten, nämlich ins Wasser geworfen oder ihrer Schnauzhaare beraubt zu werden. Toller sei beides widerfahren.

      Ilse findet eine neue Anstellung bei einem österreichischen Schauspieler. Seinem Biographen erzählt Burroughs später: ›Sie hat nie einen Cent von mir verlangt.‹

      In die zweite Hälfte des Jahres 1939 fällt Burroughs’ intensive Beschäftigung mit den Lehren Alfred Korzybskis.

      Korzybski bezeichnet einen der Fixpunkte europäisch-abendländischen Denkens, nämlich das Entweder/Oder der aristotelischen Philosophie, als grundsätzlichen Irrtum, weil so zwischen der Realität und der Sprache eine Kluft entstehe. Korzybski sagt die politische Herrschaft der Naturwissenschaften und die Manipulation menschlicher Physis und Psyche durch sie voraus - Gedanken, die sich fiktional verarbeitet in Burroughs’ Romanen wiederfinden.

      Zu dieser Zeit verliebt sich Burroughs in New York in einen schönen, aber intellektuell anspruchslosen jungen Mann namens Jack Anderson, der als Laufbursche arbeitet und als Sexualpartner von Frauen und Männern dazuverdient.

      Burroughs, nun endgültig von seiner Syphilis geheilt, entwickelt für das windige Bürschchen, das ihn schlecht behandelt, eine wilde Leidenschaft. Er trennt sich mit dem Sägeblatt einer Geflügelschere ein Glied vom kleinen Finger der linken Hand ab. Er will damit Anderson, der ihn ständig mit anderen Männern und Frauen betrügt, die Intensität seiner Gefühle beweisen.

      Daraufhin kommt er wieder zur Vernunft. Er geht zu seinem Psychiater und fordert den Mann dazu auf, das Stück Finger wieder anzunähen. Burroughs findet sich schließlich in der städtischen Irrenanstalt wieder, in der ihn eine Psychiaterin als schizophren-paranoiden Fall diagnostiziert.

      Sein Vater muss nach New York kommen. Er veranlasst beim Direktor die Überweisung seines Sohnes in eine Privatklinik. Die Eltern, offensichtlich daran gewöhnt, in den ungewöhnlichsten Situationen einspringen zu müssen, holen ihren Sohn nach St. Louis und beschäftigen ihn als Fahrer und Boten in ihrem Gartenbaubetrieb.

      Der Zweite Weltkrieg ist ausgebrochen. Amerika mobilisiert seine Streitkräfte. Bei der Marine wird Bill abgewiesen, weil er kurzsichtig ist und Plattfüße hat.

      Burroughs bewirbt sich bei der Luftwaffe und wird angenommen. Er absolviert trotz seiner Kurzsichtigkeit hundert Flugstunden in einer Piper und legt seine Flugprüfung ab. Erst dann kommt man ihm auf die Schliche und mustert ihn aus.

      Dann versucht er es bei einer Spionageabteilung der Armee. Er hat Pech. Einer der Ausbilder dort ist sein ehemaliger Hausmeister aus Harvard, der auf ihn nicht gut zu sprechen ist.

      Nachdem es mit dem Dienst fürs Vaterland nicht geklappt hat, bringt der Vater Bill schließlich bei einem Bekannten unter, der in New York eine Werbeagentur betreibt. Burroughs lebt nun mit Anderson zusammen. Von Zeit zu Zeit muss er die Beschimpfungen von dessen ehemaligen Freundinnen über sich ergehen lassen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ein Mann sie verdrängt hat.

      Am 7. Dezember 1941 treten die USA in den Krieg ein. Anderson wird eingezogen. Auch Burroughs erhält 1942 einen Gestellungsbefehl. Der Gedanke, eventuell an die Front geschickt zu werden, versetzt ihn in Panik. Seine Mutter kennt einen Arzt, der Bill für wehruntauglich erklärt und ein entsprechendes Attest ausstellt. Im September 1942 geht Burroughs nach Chicago und lebt dort in einem Viertel, dessen Taschendiebe, Spieler und Gescheiterte aus dem Lieblingsbuch seiner Kindheit You Can‘t Win entsprungen zu sein scheinen.

      Er beteiligt sich an den in diesem Viertel üblichen Würfelspielen. Als er damit nicht genügend Geld verdient, lässt er sich als Kammerjäger anwerben. Die zehn Unterschriften von Kunden, die er pro Tag in der Firma nachweisen muss, um in der Woche 50 Dollar ausgezahlt zu bekommen, beschafft er sich, indem er manchmal auch Leute unterschreiben lässt, bei denen er nicht tätig geworden ist. Er behält diesen Job acht Monate. Seine Spezialität ist die Vertilgung von Wanzen in Bettzeug. Er sieht in unzählige Wohnungen, lernt die merkwürdigsten Leute kennen und denkt an Tschechow, der einmal gesagt haben soll, er sei nur deswegen Arzt geworden, weil ihm die Hausbesuche Einblick in die verschiedensten Gruppen der Gesellschaft verschafften.

      Im Herbst dieses Jahres tauchen zwei Freunde aus St. Louis bei ihm in Chicago auf: der siebzehnjährige Lucien Carr und der Lucien sklavisch ergebene David Kammerer.

      Inzwischen brodeln in Burroughs wieder kriminelle Phantasien. Einmal entwickelt er Pläne zum Überfall eines Geldtransports. Ein andermal will er die Kasse eines türkischen Bades berauben, erfährt aber an dem für den Überfall vorgesehenen Tag gerade noch rechtzeitig, dass das Geld, auf das er es abgesehen hatte, schon fortgeschafft worden ist.