On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
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dem Schreibenden sonst verboten ist.

      Billy liest seine Geschichten in der Schule vor. Er spielt sogar mit dem Gedanken, sie an ein Magazin mit dem Titel True Confessions zu schicken.

      Häufig kommt in diesen Texten der die reale Welt aus den Angeln hebende Einfluss von Rauschgift vor, und immer spielen sie in exotischen Milieus.

      In der neueren Psychiatrie ist die These aufgestellt worden, dass die Affinität zu Drogen einen Überschuss an Phantasie bei der betreffenden Person zur Voraussetzung habe. So entstände eine Enttäuschung über die reale Welt. Aus ihr wiederum ergäbe sich ein stark ausgeprägtes Verlangen nach Phantastischem, das nur unter dem Einfluss der Droge seine Erfüllung findet.

      Es ist in diesem Zusammenhang interessant, wie Burroughs sich als Jugendlicher den Beruf eines Autors vorgestellt hat: (Schriftsteller waren reich und berühmt. Sie machten sich ein bequemes Leben in Singapur und Rangun, trugen gelbe Seidenanzüge und rauchten Opium. Sie schnupften Kokain in Mayfair, erkundeten gefährliche Sumpfgebiete in Begleitung eines treu ergebenen Eingeborenenjungen und wohnten in der Kasbah von Tanger, wo sie Haschisch rauchten und lässig eine zahme Gazelle streichelten.‹8

      Bezeichnenderweise ist es ein Aufsatz mit dem Titel ›Persönlicher Magnetismus‹, der als erstes Stück Prosa aus der Feder des Vierzehnjährigen in der Schulzeitung erscheint.

      Tatsächlich werden die für seine Psyche bezeichnenden Obsessionen und ihre literarische Verarbeitung schon in seiner Pubertät erkennbar.

      ›Ist es mir nun gelungen, andere mit nichts als einem Blick zu kontrollieren? Oh, gewiss doch, aber ich hatte nicht den Mut, es auch wirklich zu tun. Aber hier will ich erklären, wie man es macht: Man muss dem Opfer geradewegs in die Augen schauen, und mit tiefer, ernster Stimme sagen: ›Ich rede, und du hast zuzuhören‹, dann muss man den Blick noch intensivieren: ›Du kannst mir nicht entkommen.‹ Nachdem ich mein Opfer völlig unterworfen hatte, hätte ich sagen sollen: ›Du kannst mir nicht entkommen. Hebe dich hinweg von mir, Satan.‹ Man stelle sich vor, ich hätte das mit Mr. Baker gemacht.‹9

      Auch der besondere Burroughssche Humor - Ungeheuerliches mit gleichgültigem Gesicht von sich zu geben - deutet sich hier schon an.

      Skandalöse Bücher zu schreiben und ihre Veröffentlichung zu erzwingen, ist schließlich auch eine Möglichkeit, sich über andere Gewalt zu verschaffen.

      1929 ist das letzte Jahr, das Billy in St. Louis verbringt. Er leidet häufig unter Trigeminusschmerzen und Asthmaanfällen, die durch einen Aufenthalt in einem trockenen und warmen Klima ausgeheilt werden sollen. Deswegen hat die Mutter ihn für die letzten beiden Jahre der High-School am Ranch School College eines gewissen Pond Ashley bei Los Alamos in New Mexico angemeldet. Er hat dort schon an einem Ferienlager teilgenommen.

      Die Schule, auf die Billy da geschickt wird, samt dem Mann, der sie betreibt, muten an wie satirische Erfindungen eines Romanautors, der sich vorgenommen hat, den kapitalistisch-imperialistischen Zeitgeist in den USA der dreißiger Jahre zu geißeln.

      Ponds Erziehungskonzept war simpel, imponierte aber den Superreichen im Land ganz ungemein. In seiner Schule sollten aus Muttersöhnchen harte Männer werden. Nicht Buchwissen wollte diese Anstalt vermitteln, sondern ihre Schüler auf den Lebenskampf im Ellbogenkapitalismus vorbereiten. Das Überlebenstraining inmitten einer nahezu unberührten Natur würde die Heranwachsenden fit machen für die Schlammschlachten in Wirtschaft und Politik. Die Schule gab sich ganz bewusst antiintellektuell, propagierte, einem falsch verstandenen Darwinismus folgend, das Recht der Stärksten.

      Als Schuldirektor stellte Ashley Pond 1917 den Iren A.J. Connell ein, der zuvor Ranger im Santa Fe National Forest und Master der Santa Fe National Boy Scouts gewesen war.

      Connell gab sich gern den Anschein eines harten Mannes.

      ›Selbstverständlich gibt es so etwas wie menschenfressende Haie nicht. Was aber die Krokodile betrifft, so verspeisen sie höchstens mal ab und an ein zartes Niggerbüblein, sagen wir so an die zwanzigtausend im Jahr.‹10

      Sein Zimmer in der Ranch School glich dem Salon einer Madame in einem Bordell. Parfümwolken zogen zwischen Seidentapeten umher. Ständig brannten Räucherstäbchen, und aus dem Grammophon erklang der Bolero von Ravel.

      Billy Burroughs kommt die Schule von Anfang an wie ein Gefängnis vor. Das einzige, was ihm dort gefällt, ist, dass es einen Schießplatz gibt. Er wird ein guter Schütze und verbringt Stunden damit, mit Wurfmessern auf Pfosten und Baumstämme zu zielen.

      Im März 1930 kommt ihn die Mutter besuchen. Sie nimmt ihn und seinen Klassenkameraden, Rogers Scudder, mit nach Santa Fe, wo die Jungen allein umher spazieren. Billy geht in einen Drugstore und verlangt Chlorhydrat. Der Apotheker fragt, wozu er die Chemikalie brauche. Billy antwortet mit Grabesstimme: Um Selbstmord zu begehen. Der Apotheker nimmt an, der Junge mache einen Witz. Er händigt ihm ein Fläschchen Chlorhydrat aus. Einige Tage später nimmt Billy eine Dosis ein, die zu seinem Tod hätte führen können. Dem Schulpersonal fällt auf, dass er plötzlich taumelt. Man pumpt ihm den Magen aus. Er wird gerettet.

      Als der Direktor erfährt, dass Scudder von dem Kauf des Giftes gewusst hat, bestellt er ihn zu sich und schimpft ihn aus:

      ›Verdammt, du hattest kein Recht, uns davon nichts zu sagen... du hättest wissen müssen, dass er etwas Verrücktes vorhat. Alles kommt nur daher, dass dem Jungen von seiner Mutter eingeredet wird, er sei ein Genie. Dabei ist er auch nur ein Menschenaffe.‹

      In einem Brief an Billys Vater drückt Connell die Überzeugung aus, Billy werde dergleichen nie wieder tun.

      Der Erzfeind des Jungen unter den Lehrern ist ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg namens Henry Bosworth, der Mathematik und Boxen unterrichtet.

      Billy mag nicht boxen. Bosworth hält ihn für einen Drückeberger.

      Billy liest in seinem Zimmer die spielkartengroßen Ausgaben der Blue Books, eine Reihe, in der französische Freigeister wie Anatole France und Guy de Maupassant erscheinen.

      Die Bücher werden konfisziert. Lesen gilt in Los Alamos als dekadent und weibisch.

      Auf einem Radausflug fahren die Jungen unvermutet in ein Wespennest. Billy wird viermal gestochen. Obwohl Bosworth einen Erste-Hilfe-Kasten bei sich hat, denkt er nicht daran, ihn zu verarzten.

      Billys Rache besteht darin, dass er eine einen Pariser Boy-Scout darstellende, lebensgroße Puppe, die gewöhnlich am Eingang des Schulgebäudes steht, im Speisesaal über dem Kamin aufhängt... mit einem Schild um den Hals: Bozzy-bitch. Gott verdamme ihn.11

      Natürlich sickert durch, wer der Übeltäter ist. Ein dritter Zwischenfall ereignet sich in Santa Fe. Ab und zu verbringen dort Gruppen von Schülern mit einem Lehrer ein Wochenende im berühmten La Fonda Hotel.

      An einem Samstagabend verlässt Bill heimlich sein Zimmer. Er schleicht sich in die Stadt, um Schnaps zu besorgen.

      Er trifft auf der Straße auf eine Mexikanerin, die behauptet, ihm Alkohol verkaufen zu können.

      Die Frau und der Junge erregen die Aufmerksamkeit eines Polizisten, der sie anhält und kontrolliert. Der Ordnungshüter will Burroughs’ Ausweis sehen. Den hat Billy nicht bei sich, also wird er wegen Landstreicherei festgenommen und verbringt die Nacht auf der Polizeiwache, während der die Gruppe der Schüler begleitende Lehrer in Santa Fe überall nach ihm sucht.

      Erst am Morgen gelingt es Billy, der Polizei klarzumachen, dass er ein Schüler aus Los Alamos ist.

      Billy verliebt sich in einen seiner Mitschüler, Danny Franklin. Ein paarmal treiben sie es unter den Laken beim Licht einer Taschenlampe miteinander. Dann findet Danny keinen Spaß mehr daran, oder sein Gewissen regt sich. Jedenfalls will er plötzlich nicht mehr mitspielen. Was Billy weit mehr kränkt: Danny spricht nicht mehr mit ihm... verspottet ihn sogar vor den anderen Jungen.

      Dem Direktor bleibt nicht verborgen, dass etwas mit seinem Schüler nicht in Ordnung ist. Um was es sich genau handelt, darüber tappt er angeblich völlig im dunkeln, will es vielleicht auch gar nicht wissen.

      Für Juni steht die Schlussprüfung an.