On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
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Die Gründe für seine Tat bleiben undurchsichtig. Nachdem er in die psychiatrische Station eines Krankenhauses eingeliefert worden ist, erscheint seine Mutter in Chicago. Um ihren Sohn von seinen windigen Bekannten loszueisen, überredet sie ihn, sich für das nächste Semester an der Columbia University in New York einschreiben zu lassen.

      Aber dort stecken die drei bald wieder zusammen. Sie wohnen nicht weit voneinander entfernt im Village.

      Bald ist Burroughs so etwas wie der literarische Guru einer Gruppe junger Männer und Frauen, die sich bei ihm psychologischen Rat holen und von seiner Belesenheit profitieren. Unter der Bedingung, dass er seine psychiatrische Behandlung nicht vernachlässigt, überweisen ihm seine Eltern immer noch jeden Monat 200 Dollar. Manchmal arbeitet er, um etwas dazuzuverdienen, als Barkeeper in einem der zwielichtigen Restaurants am Times Square, in denen Prostituierte, Dealer, Einbrecher und deren Hehler verkehren.

      Immer noch übt das kriminelle Milieu eine starke Anziehungskraft auf ihn aus: Er würde gern reisen, aber dafür reichen seine Geldmittel nicht hin.

      Bei einem Treffen mit Lucien Carr überlegt er laut, ob er nicht vielleicht zur Handelsmarine gehen solle.

      Carr kennt einen jungen Mann, der zur See gefahren ist. Er heißt Jack Kerouac. Burroughs und Kerouac treffen sich. Gleich bei ihrer, ersten Begegnung erfährt Burroughs, dass Kerouac schreibt, und empfiehlt ihm, Spenglers Untergang des Abendlandes zu lesen.

      Allen Ginsberg; William Burroughs, Jack Kerouac - etwas später wird noch Neal Cassady zu der Gruppe stoßen -, die Autoren, die man einmal die Beat generation nennen wird, sind an dem ersten Schnittpunkt ihrer Schicksale, in Manhattan, versammelt. Wer die Geschichten ihrer Herkunft und ihrer Kindheit in der großen amerikanischen Wüste, wer die Erfahrungen kennt, die sie bis dahin in ihrer Jugend gemacht haben, ahnt, welch sozialer und psychologischer Sprengstoff sich mit und in dieser Gruppe zusammengebraut hat. Die Lunte brennt... beat: das heißt geschlagen, am Boden liegend, spielt aber gleichzeitig auf das englische Wort beatitude an, was mit Glückseligkeit zu übersetzen wäre. In einer Gesellschaft, deren Gründerväter den Anspruch erhoben, jeder Bürger sei mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet, darunter das Anrecht auf Glück, versuchen sie, wider den Strich von Konformität und Normen lebend, mit dieser Forderung auf eine neue radikale Art und Weise ernst zu machen. Sie definieren neu, was Glück ist in Amerika:

      Und sie reden und erzählen von diesem ihrem Glück in Gedichten, Manifesten, Romanen und Erzählungen, die die etablierten Literaten und Literaturwissenschaftler nicht weniger irritieren als den auf Gesetz und Ordnung pochenden Spießbürger, den square.

      Zu ihrem Wortführer wird in diesen Jahren ein junger Mann, der schon von seiner äußeren Erscheinung her, erst recht aber durch seine Lebendigkeit, sein Bedürfnis nach Mobilität und seine leidenschaftlich und risikoreich praktizierte Sinnsuche auf sich aufmerksam macht! Sein Name ist Jack Kerouac.

      4

      Der Traum vom Glück der Ferne

      (1922-1944) Jack Kerouac

      I was an American Boy

      I read the American Boy Magazine

      and became a boy scout

      in the suburbs.

      I thought I was Tom Sawyer

      catching crayfish in the Bronx River

      and imagining the Mississippi.

      Lawrence Ferlinghetti1

      ... geboren als drittes Kind seiner Eltern am 12. März 1922 in der Kleinstadt Lowell, dreißig Meilen von Boston im nordöstlichen Massachusetts, Neuengland.

      Bestimmend für die innere Landschaft, die im Bewusstsein des Jungen, der hier heranwächst, entsteht, ist das Bild des Merrimack River. Die große dunkle Schlange, die aus den Wäldern herabkommt, die in einem Wasserfall abstürzt.

      ›Der tosende Schlafbringer unserer Nächte - Ich hörte ihn mit einem Stöhnen von den Felsen erstehen, und wie er mit seinen Wassern heulte, sprulsch, sprulischsch, uum, uum ssuu, die ganze Nacht über suuuu, suuuu, und die Sterne wie Löcher in einem Tintendach. Merrimack, dunkler Name, der mit düsteren Tälern protzt: mein Lowell hatte große Bäume aus alter Zeit im rauen Norden, die über abgebrochenen Pfeilspitzen und Indianerskalps winkten, das Ufergeröll der Schieferküste steckt voller Perlen, barfüßige Indianer liefen darüber hinweg. Der Merrimack saust von einem Norden der Ewigkeiten herab, fällt wie ein Pissestrahl durch Schleusen, Klüfte und Schaumberge auf Felsen, blosch, und rollt grummelnd dem Mammon entgegen, gebändigt durch tausamtene Steinmulden mit scharfen Kanten (wir tauchten ab, zerschnitten unsere Füße, miese Sommernachmittags-Schulschwänzer).‹2

      Der Fluss muss sehr stark auf das Kind gewirkt haben, undenkbar sonst, dass der Mann später ein so intensives, magisch-mystisch überhöhtes Bild von ihm hätte entwerfen können.

      Zuerst ist der Fluss als reales Bild da.

      Später wird sich sein reales Bild in einen Strom von Erinnerungen verwandeln.

      Memory Babe wird Jack schon als Schuljunge wegen seines auffälligen Erinnerungsvermögens genannt.

      Irgendwann im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte jemand den stürmischen Lauf des Flusses mit einem Kanal und einem Damm gebändigt. Am Ufer entstand eine der ersten Industriestädte Amerikas mit einem Dutzend Textil- und Schuhfabriken.

      Wie viele Kleinstädte in Neuengland wuchs Lowell aus einer Anzahl von Dörfern zusammen. Während der ersten Jahre der industriellen Revolution galt es als Mustersiedlung. In den Fabriken wurden die Vermögen Bostoner Unternehmerfamilien verdient, Vermögen, die bis heute fortbestehen. Charles Dickens, ein strenger Kritiker des Fabrikwesens in seinem eigenen Land, besuchte den Ort und war beeindruckt vom Straßenbild und von dem selbstsicheren Auftreten der Bauernmädchen, die an den Webstühlen arbeiteten; er fand auch an ihrer Bezahlung, zwei Dollar die Woche, nichts auszusetzen.

      Die Fabrikherren bescherten dem Ort ein Textil-Institut am Nordufer des Flusses, aber gegenüber ihren Arbeitern waren sie weniger großzügig. Im späten 19. Jahrhundert sanken die Löhne immer weiter. Die Bauernmädchen zogen es nun vor, als Sekretärinnen und Telefonistinnen nach Boston zu gehen.

      Ihre Plätze an den Spinnmaschinen wurden von den Töchtern der Einwanderer aus Irland, Kanada und Polen eingenommen.

      Die Webstühle ratterten weiter bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, als die Fabriken in den Südstaaten billigere Waren produzierten und eine Spinnerei nach der anderen schließen musste.

      in Jacks Kindheit ist die Blütezeit von Lowell schon vorbei. Seine Eltern, Leo und Gabrielle Angée Levesque, wurden in Kanada geboren, waren aber schon südlich der Grenze, in Nashua, einer Kleinstadt in New Hampshire, aufgewachsen.

      Gabrielles Vater hatte es dort zu einem kleinen Gasthaus gebracht. Er starb, als die Töchter erst vierzehn Jahre alt war. Seitdem hatte sie in einem Schuhgeschäft gearbeitet. Sie ist eine kurzbeinige, gedrungene Frau mit blauen Augen; roten Äpfelwangen und glänzendem schwarzen Haar. Die schwere Kindheit hat das Bedürfnis nach Sicherheit und Nestwärme und ein Verlangen nach sozialem Aufstieg tief in sie eingesenkt.

      Leos Vater, Jean-Baptiste, war in seinen besten Tagen ein einigermaßen wohlhabender Holzkaufmann gewesen, ein Mann, dessen Jähzorn und rebellisches Wesen selbst vor Gott nicht haltmachte. Wenn Gewitterwolken den Tag verdunkelten, soll er mit einer Laterne vor die Tür getreten sein und ausgerufen haben: ›Nur weiter so, wenn du mächtiger bist als ich, dann schlag jetzt zu und lösch dieses Licht auch noch aus!‹ Es waren die großen Mengen selbstgebrannten Schnapses, die ihn schließlich unter die Erde brachten.

      Seinem Sohn Leo, der 1889 noch in Kanada geboren wurde, hatte er eine gute Schulbildung zuteil werden lassen. Leo besuchte eine Privatschule in Rhode Island. Als Schriftsetzer, Reporter und Übersetzer kam er zum Etoile, einer kleinen Zeitung für die französischsprachige Bevölkerungsgruppe in Lowell.

      Er trug sich mit dem Gedanken, nach Kalifornien zu gehen, aber dann lernte er in Nashua Gabrielle Levesque kennen, ein ordentliches Mädchen, das sich für die Ehe rein hielt, streng katholisch,