On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
Скачать книгу
der Schneeschmelze der Fluss über die Ufer.

      Die Brücken drohen weggeschwemmt zu werden, die Uferdämme, mit Sandsäcken verstärkt, stehen in Gefahr zu bersten. Die Schulen werden vorübergehend geschlossen. Die Jungen schwelgen in Katastrophenphantasien: ›Wir bohrten mit unsren Fingern in den Säcken-wollten, dass die Flut hindurch strömt und die ganze Welt ersäuft, diese verdammte schreckliche Routinewelt der Erwachsenen.‹11

      Als die Flut nach einer Woche zurückgeht, ist Leo Kerouac ein ruinierter Mann. Seine Werkstatt hat ebenfalls unter Wasser gestanden, seine Maschinen sind unbrauchbar geworden, versichert ist er nicht. Seine Wettleidenschaft und seine querulantenhaften politischen Ansichten tun ein übriges. Mitte 1937 hat er mehrere tausend Dollar Schulden und kann seine Angestellten, mit denen zusammen er das Spotlight gedruckt und herausgebracht hat, nicht mehr bezahlen. Er macht die Liberalen und jüdische Betrüger für seinen Niedergang verantwortlich. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich bei einer Druckerei in einer anderen Stadt zu verdingen. Wieder einmal zieht die Familie innerhalb von Lowell um, diesmal in eine Mietwohnung im vierten Stock eines weißgestrichenen Holzbaus im Herzen des meist von Fabrikarbeitern französischer Herkunft bewohnten Slums.

      Gabrielle hat einen Job als Lederzuschneiderin in einer Schuhfabrik angenommen, weil Leos Einkünfte allein für den Lebensunterhalt und die Rückzahlung der Schulden nicht ausreichen.

      Jack ist unglücklich. Es bedrückt ihn nicht nur der allzu offensichtliche soziale Niedergang in der Familie! Seit Herbst 1936 geht er auf die Lowell High-School; hat es aber nicht geschafft, in das American-Football-Team der Schule aufgenommen zu werden, weil er körperlich zu schwach ist.

      Im Winter dieses Jahres sitzt er viel in der Bücherei und liest sich durch die Bände in der Abteilung für Erwachsene. Er freundet sich mit einem griechischen Jungen an, dem idealistisch gesinnten Sammy Sampas, der ihm aufgefallen ist, als er einmal auf offener Straße vor anderen Jungen Lord Byron gegen den Vorwurf in Schutz genommen hat, ein Frauenheld gewesen zu sein. Sammy liest Jack seine Gedichte vor und empfiehlt ihm, Thomas Wolfes Romane zu lesen.

      In dieser Zeit keimt in Jack zum ersten Malder Wunsch auf, Schriftsteller zu werden, ein Gedanke, auf den sein Vater, der eben als selbständiger Unternehmer gescheitert ist, mit Hohn und Sarkasmus reagiert. Aber er schafft es in der Saison des Jahres 1935, als Halfback in die Football-Mannschaft aufgenommen zu werden. Bei einem besonders wichtigen Spiel am Thanksgiving Day gegen die Mannschaft aus Lawrence fängt er einen Pass, rennt los und schafft den einzigen Touchdown an diesem Tag.

      Danach beginnen sich die Trainer von zwei Mannschaften aus der großen Welt um ihn zu bemühen.

      Im Universitätsfußball ist die Aufnahme in ein Team mit einem Stipendium an der entsprechenden Hochschule verbunden.

      Die Mutter möchte, dass ihr Sohn an die Columbia University in New York geht. Der Vater hat sich für das Boston College ausgesprochen. Leo Kerouac arbeitet als Setzer bei einer Firma in Lowell, deren größter Kunde dieses College ist, und sein Chef hat von seinem Kunden einen Wink bekommen: ›Sorgen Sie dafür, dass Kerouac auf jeden Fall ans Boston College kommt.‹

      In der Küche der Kerouacs wird Abend für Abend diskutiert. Gabrielle setzt sich schließlich durch, aber auch Jack selbst will lieber nach New York. Er träumt davon, dort eine Karriere als Sportjournalist zu beginnen.

      Für den Vater hat die Entscheidung zugunsten von Columbia schlimme Folgen. Sein Arbeitgeber entlässt ihn. Ein weiterer schwerer Schlag gegen sein ohnehin schon stark lädiertes Selbstvertrauen. Bisher ist immer er es gewesen, der gekündigt hat. Nun muss er erleben, dass man ihn vor die Tür setzt.

      Jacks letztes Jahr auf der High-School ist zugleich die Zeit seiner ersten engeren Beziehung zu einem Mädchen.

      Mary Camey ist siebzehn und stammt aus einer irischen Familie. Sie lernen sich auf dem Silvesterball kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Mary fasst ihn bei der Hand, zieht ihn in ein nervöses Gespräch. Sie lässt sich über seine Frisur und über seinen Schlips aus und fragt ihn geradewegs, ob er schon eine Freundin habe. Er ist immerhin schlagfertig genug, um mit ›ja‹ zu antworten. Tatsächlich hat er sich schon ein paarmal mit einer gewissen Peggy Coffey getroffen, aber er spürt: mit Mary ist es etwas anderes.

      Sie gehen tanzen, er lädt sie ins Kino ein. Sie haben Geheimnisse. Aber da ist eben noch die große, lockere, rothaarige Peggy Coffey. Tambourmajorin und Bandsängerin. Ein Mädchen, mit dem man mehr hermachen kann als mit Mary. Immerhin ist er als Footballheld auch eine prestigeträchtige Gestalt. Außerdem hat Peggy, was Sex angeht, recht freizügige Ansichten. Jacks Schüchternheit amüsiert sie. Als sie bei einem Sportbankett miteinander tanzen, spricht sie ganz unbekümmert mit ihm über den thrill beim Küssen, und bei Spaziergängen, zu denen sie sich dann verabreden, ist sie es, die ihn küsst. Bei ihr gibt es da keine Ziererei, sie ist quirlig spontan, ein Mädchen, das das Leben von der leichten Seite nimmt. Bei Mary hingegen sind Küsse selten wie ›Napoléon-Cognac‹12, und sie lässt ihn wissen, dass sie ganz gestrichen würden, wenn nicht bald ein Verlobungsring an ihrem Finger funkele.

      Der einzige Ausweg aus dem Dilemma zwischen den Forderungen der damals gültigen Moral und ihren Wünschen wäre eine Heirat gewesen. Aber als er ihr einen Antrag macht, lehnt sie ab. Er hat keinen Beruf, seine Zukunft liegt nicht in Lowell. Als Mary sich darauf besinnt, doch ja zu sagen, ist für Jack der Traum schon ausgeträumt.

      Ende Juni 1939 feiern Jack und seine Klassenkameraden ihre Graduationsfeier in der Stadthalle und erhalten aus der Hand des Bürgermeisters ihre Zeugnisse.

      Im September bricht Jack nach New York auf. Von der Columbia University hat man ihn wissen lassen, dass er zunächst für ein Jahr die Horace Mann Prep School, eine Art Vorkurs zur Universität, besuchen muss. Weder entsprechen seine Noten in Mathematik und Französisch den Anforderungen, die Columbia stellt, noch ist sein Gewicht derart, dass man ihm zutraut, in der Universitätsmannschaft erfolgreich zu spielen, und wer die Universität mit einem Sportstipendium besucht, muss sich solchen Anweisungen wohl oder übel fügen.

      Jack wohnt bei Gabrielles Stiefmutter in Brooklyn. Die Horace Mann School liegt in der nördlichen Bronx. Das bedeutet, rechnet man die Hin- und Rückfahrt zusammen, dass er fünf Stunden täglich mit der Subway unterwegs ist. Abfahrt um 6 Uhr morgens von der Fulton Street IRT Station. An der 34th Street in Manhattan werden gewöhnlich Sitzplätze frei, und er erledigt seine letzten Hausaufgaben zum Geratter der Räder und Gleisstränge der D-Linie.

      In den Tagebucheintragungen der ersten Tage in der großen Stadt werden noch große Pläne entworfen. Jack will sich weiterbilden. Latein, Mythologie, spanische Literatur und Geschichte. Mit der Ausführung solcher guten Vorsätze ist es bald vorbei. Das anstrengende Football-Training beginnt. Nach dem ersten Spiel ist er völlig deprimiert. In Lowell hat er es schließlich zum Star gebracht. Aber hier in der neuen Mannschaft scheinen ihm alle himmelhoch überlegen. Luigi Piccolo, genannt Lou Little, ist einer der ersten modernen Trainer des American Football, die so etwas wie eine psychologische Strategie zu entwickeln versuchen. Jack erfüllt seine Aufgabe, die linke Seite der gegnerischen Verteidigung aufzureißen, gut und trägt entscheidend zum Gewinn vieler Spiele und somit auch dazu bei, dass Horace Mann die inoffizielle Prep-School-Meisterschaft erringt.

      Die meisten von Jacks Klassenkameraden kommen aus ausgesprochen reichen, häufig jüdischen Familien. Jack schreibt für einige von ihnen die Englischaufsätze und kassiert dafür pro Arbeit zwei Dollar. Häufig versorgen sie ihn, dessen Schulbrote meist nur mit Erdnussbutter beschmiert sind, mit Truthahnbrust-Sandwiches, mit teurem Gebäck oder mit Milchschokolade.

      Mit manchen Jungen aus diesen Kreisen freundet er sich an.

      Da ist Pete Gordon, der Sohn eines Börsenmaklers in der Wall Street. Zu ihm wird Jack häufig übers Wochenende eingeladen. Beim Frühstück legt einem in diesem Haus ein Butler die Grapefruit vor. Mr. Gordon macht Jack das Kompliment, er sehe aus wie ein griechischer Athlet. Wichtiger ist es für ihn, dass Pete etwas für seine literarische Bildung tut und ihm erklärt, seinen Prosastil könne er gewiss verbessern, wenn er sich zukünftig die Kurzgeschichten von Hemingway und nicht Conan Doyles Romane zum Vorbild nähme. Pete lädt ihn auch in moderne Filme ein, und bei ihm hört er zum ersten MalDixieland-Jazz.