On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
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erklärt ihr, er könne unmöglich länger auf der Schule bleiben, wolle mit ihr heimkommen.

      Nach langem Zögern gesteht er ihr den wahren Grund.

      Sie ist entsetzt.

      Homosexualität ist in den Augen der Gesellschaftsschicht, aus der sie stammt, ein Laster, das man nicht einmal beim Namen nennen darf. Überstürzt reisen Mutter und Sohn ab. Ein Fußleiden Billys dient als Vorwand.

      Ein Nervenarzt, an den sich die Mutter in St. Louis wendet, verweist auf die alten Griechen, bei denen das angebliche Laster weit verbreitet war, und versichert Laura, ihr Sohn befinde sich in einer Übergangsphase; die Sache werde sich mit der Zeit auswachsen.

      Als Billy seine Sachen aus der Schule nachgeschickt werden, findet er darunter seine Tagebücher. Er liest nach, was er geschrieben hat, und ist entsetzt und beschämt bei der Vorstellung, seine Klassenkameraden könnten es gelesen haben. Er verbrennt die Hefte. Ekel gegenüber allem Geschriebenen überkommt ihn. Es wird neun Jahre dauern, bis er sich dazu durchringt, wieder etwas zu schreiben.

      Für Burroughs wird die Tatsache, dass er an jenem Ort zur Schule gegangen ist, an dem später die furchtbarste aller Massenvernichtungswaffen entwickelt wird, seit deren Einsatz in Nagasaki und Hiroshima von metaphorischer Bedeutung sein. Für ihn ist die Entwicklung der Atombombe eine Art moderner faustischer Pakt, in dem Amerika seine Seele an das (teuflische) Prinzip der Macht verkauft und seine Unschuld verloren hat.

      Das Amerika der Ära vor der Bombe wird in seinem Bewusstsein nostalgisch verklärt. Vor der Bombe war sein Amerika ein sicherer und beschützter Ort, ein Land, das seine eigenen Wege ging, seine eigenen Träume verfolgte. Wozu Amerika danach wurde, davon ist in seinen Schriften und in seinen Äußerungen immer wieder die Rede. In einem Restaurant in New York wird er einmal gefragt, was er bestellen wolle. Seine Antwort: ›Einen Barsch aus dem Lake Huron, gefangen im Jahr 1920.‹12

      Ein Jahr auf einer Tutoring-Schule gibt Billy trotz der nicht abgeschlossenen High-School die Möglichkeit, sich im September 1932 in Harvard zu immatrikulieren.

      Im November dieses Jahres wird Franklin Delano Roosevelt zum ersten Malzum Präsidenten der USA gewählt. Sein vielleicht aussichtsreichster Rivale, der Populist Huey Long aus Louisiana, ist kurz zuvor einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Mit Roosevelts Amtszeit und seinem New-Deal-Programm enden für die USA die Jahre der Depression. Es geht langsam wieder aufwärts.

      Burroughs hört in Harvard zunächst Literatur, Linguistik und Anthropologie.

      Er belegt Vorlesungen über Chaucer und Shakespeare. Letzteres bei George Lyman Kittredge, einem amüsanten Mann, der, ohne den Doktorgrad zu haben, an der Universität lehrt.

      Kittredge hat die Angewohnheit, vor seinen Studenten lange Passagen aus Shakespeares Stücken zu rezitieren, die sich Burroughs, der ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis besitzt, für immer einprägen. Er hört T. S. Eliot mit einer kritischen Vorlesung über die Romantiker. Im übrigen verläuft sein Studentenleben nach dem Motto: ›Sofern Harvard sich mir gegenüber anständig verhält, gedenke ich mich gegenüber Harvard ebenfalls anständig zu verhalten.‹13

      Freilich geht das immer noch Hand in Hand mit ziemlich exzentrischen Vorlieben. So hält er sich beispielsweise, dazu angeregt durch eine Kurzgeschichte von Saki, in der ein zehnjähriger Junge ein solches Tier abrichtet, um seine ungeliebte Gouvernante zu beißen, in seiner Studentenbude ein Frettchen, über das die Putzfrau oder der Hausmeister erschrecken, wenn es plötzlich aus einer Ritze der Sofabezüge auftaucht.

      Eine gefährlichere Situation beschwört Bills Vorliebe für Schusswaffen herauf. Obwohl es gegen die Hausordnung verstößt, bewahrt er in seinem Schreibtisch einen 32er Revolver auf. Eines Tages sind einige Freunde und Bekannte bei ihm. Die jungen Männer albern herum. Billy zieht seine Waffe; er ist völlig sicher, dass sie nicht geladen ist. Er legt auf einen seiner Freunde an, der macht eine Art Ausfallbewegung. Billy drückt ab, ein Schuss löst sich und schlägt in die Wand. Erst jetzt erinnert sich Burroughs, dass er die Waffe noch in St. Louis geladen hatte, als er meinte, in der Nacht im Haus einen Einbrecher herumschleichen zu hören.

      Burroughs ist noch während seiner Studentenzeit von erstaunlicher sexueller Naivität. Er hat bis dahin weder mit einer Frau noch mit einem Mann sexuell verkehrt, abgesehen von den Spielereien mit dem von ihm bewunderten Mitschüler in Los Alamos. Er hat eine geradezu ammenmärchenhafte Vorstellung vom Geburtsvorgang: Bis ihn seine Freunde an der Universität aufklären, ist er fest davon überzeugt, Kinder kämen durch den Nabel der Mutter zur Welt.

      Da er sich nicht getraut, Kontakte zu anderen Homosexuellen aufzunehmen, besucht er, als er während der Ferien nach St. Louis kommt, dort ein Bordell, dessen Kuppelmutter ihn an Salt Chunk Mary erinnert. Er lässt sich immer von dem gleichen Mädchen bedienen, muss gewöhnlich auf sie in einem kleinen Raum warten, um nicht auf der Treppe ehrbaren Bürgern der Stadt zu begegnen, die ebenfalls hier verkehren.

      Zu Beginn des Semesters wieder in Harvard, wagt er nun endlich, eine sexuelle Beziehung einzugehen, die seinen tatsächlichen Neigungen entspricht, und bezahlt teuer dafür. Er holt sich die Syphilis, deren Symptome erst nach einer gewissen Zeit sichtbar werden.

      Im Juni 1936 legt Burroughs in Harvard sein Abschlussexamen ab, dass er damit in die gesellschaftliche Elite des Landes aufgenommen ist, bedeutet ihm wenig.

      Die Belohnung der Eltern für den graduierten Sohn besteht darin, ihm eine Reise nach Europa zu spendieren, die er zusammen mit einem Freund, Bob Miller, antritt. Sie fahren zunächst nach Paris, dann nach Wien. Sie erleben ein Österreich, in dem schon die Braunhemden marschieren. Sie bewundern die schönen jungen Männer, die sich in den Strandbädern an der Donau tummeln, und reisen dann nach Budapest weiter, wo sie in dem Hotel König von Ungarn landen, in einem Haus, in dem Frauen unerwünscht sind.

      Von Wien fahren die Freunde nach Dubrovnik und machen dort die Bekanntschaft einer fünfunddreißigjährigen Frau, die burschikos-männlich auftritt, aber auch erfreulich unkonventionell ist. Sie heißt Ilse Hertzfeld, stammt aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und war mit einem Arzt namens Klapper verheiratet. Das Aufführungsverbot für die Musik Mendelssohns war für sie Warnzeichen genug gewesen, um 1934 aus Deutschland fortzugehen. In Dubrovnik hat sie sich von Dr. Klapper scheiden lassen, der hier ohne entsprechende Niederlassungserlaubnis weiter praktiziert. Ilse bringt sich mit Englischstunden und als Fremdenführerin durch. Die Beziehung zwischen den beiden jungen Männern und ihr beruht auf gemeinsamen intellektuellen Interessen und ihrer aller Abneigung gegen gesellschaftliche Konventionen.

      Bill hat sich plötzlich entschlossen, Medizin zu studieren. Für ein Studium in den USA fehlt ihm dazu der Schein des Vorkurses. In Wien bestehen derartige Auflagen nicht. Seine Eltern schicken ihm monatlich 200 Dollar. Damit kann er bei dem günstigen Wechselkurs der amerikanischen Währung in Europa ohne Schwierigkeiten auskommen. Zu schaffen macht ihm immer noch seine Syphilis, die er weiter behandeln lassen muss. Er besucht in Wien medizinische Vorlesungen. Sein schlechter Gesundheitszustand und das von faschistischen Gewaltakten verdüsterte gesellschaftliche Klima Österreichs deprimieren ihn. Mit lautstarken Demonstrationen und Bombenanschlägen versuchen die Nazis den Anschluss des Landes ans Reich vorzubereiten.

      Im Frühjahr 1937 muss Burroughs sich einer Blinddarmoperation unterziehen. Um sich zu erholen, fährt er wieder nach Dubrovnik. Er sieht Ilse wieder. Sie ist in Panik. Ihr Visum für Jugoslawien läuft ab. Da sie Jüdin ist, wird es nicht erneuert werden. Die Kriegsgefahr in Europa wächst. Sie macht sich keine Illusionen darüber, was ihr blühen wird, wenn die Deutschen das Land besetzen.

      Bill und Ilse einigen sich auf eine Scheinehe, die für beide Teile ihre Vorteile haben könnte. Ilse wird durch die Heirat amerikanische Staatsbürgerin, ihn wird die Tatsache, dass er verheiratet ist, vor möglichen Schwierigkeiten als Homosexueller schützen. Gewiss belustigt ihn auch die Vorstellung, auf diese Weise eine bürgerliche Institution wie die Ehe zu persiflieren. Seine Eltern sind bestürzt, als sie davon hören, dass ihr dreiundzwanzigjähriger Sohn eine Fünfunddreißigjährige heiraten will. Aber Bill beharrt auf der Heirat. Er reist mit Ilse nach Athen. Die bürgerliche Trauung vollzieht der amerikanische Konsul, kirchlich getraut werden sie von einem griechisch-orthodoxen Priester. Der erste Pope, bei