On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
Скачать книгу
Wagen und beginnt eine Wäscherei zu betreiben; Er heiratet Rebecca Schechtman, deren Eltern 1870 aus der Ukraine in die Vereinigten Staaten eingewandert sind.

      Während Louis von klein auf Sozialist ist - als Kind hat ihn sein Vater zu den Vorträgen von Eugene Victor Debs, dem Gründer der IWW (Industrial Workers of the World) mitgenommen -, ist seine Frau Naomi Kommunistin. Naomi stammt ebenfalls aus einer jüdischen Familie. Ihr Vater Mendel Livergang - sein Name wird bei seiner Einreise in die USA in Morris Levy abgeändert - hat sich in Russland der Einberufung zum Militär dadurch entzogen, dass er aus seinem Heimatdorf in die Großstadt Witebsk übersiedelt ist, in der damals die Juden ein Drittel der gesamten Bevölkerung ausmachten. Während die Juden im Süden eher einem sozialistisch getönten Zionismus zuneigten, wurde die Judenschaft von Witebsk durch Einflüsse aus dem Deutschen Kaiserreich marxistisch. 1905 war es in der Stadt, in der als junger Mann auch der Maler Marc Chagall gelebt hat, zu einem Pogrom gekommen. Mendel hatte sich daraufhin entschlossen, mit seiner Familie nach Amerika auszuwandern. Dort ließ, er sich in der Orchard Street, in einem alten jüdischen Viertel von Manhattan, nieder und eröffnete einen Laden, in dem man Eiscreme und süßes Gebäck kaufen konnte. Später zog die Familie Naomis aus den Slums der Lower Eastside nach Newark. Noch auf der High-School mit siebzehn begegnete Naomi ihrem späteren Mann, der wie sie selbst auch Lehrer werden wollte.

      Von Anfang an gibt es zwischen Louis’ Familie und Naomi Konflikte, bei denen die unterschiedlichen politischen Ansichten zumindest das auslösende Moment sind. Naomi ist inzwischen in die Kommunistische Partei eingetreten. Die Sozialisten befürworten einen Kriegseintritt der USA, die Kommunisten sind dagegen.

      1918 stirbt Naomis Mutter Judith, als Opfer der Grippeepidemie, die damals von Europa nach Amerika übergreift. Naomi erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie ist überempfindlich gegen Licht und muss drei Wochen in einem abgedunkelten Raum liegen, ehe sie ihre Tätigkeit an einer Schule für geistig behinderte Kinder wieder aufnehmen kann.

      Louis und Naomi beschließen, trotz Widerstands der Eltern des Bräutigams zu heiraten. 1919, nach ihrer Eheschließung, ziehen sie nach Newark. Das junge Paar gibt sich betont fortschrittlich. Louis schreibt Gedichte, und es gelingt ihm, seine ersten Verse zu veröffentlichen. Zusammen mit seiner Frau tritt er der Poetry Society of America bei.

      1921 wird ein Sohn geboren, der den Namen Eugene erhält, 1926 ein zweiter, Allen. Der Vorname ist von dem seines Urgroßvaters abgeleitet, der S’rul Avrum hieß.

      1929 muss sich Naomi einer Operation an der Bauchspeicheldrüse unterziehen. Abermals hat sie einen Nervenzusammenbruch und kommt vorübergehend in ein Sanatorium. Louis übersiedelt zunächst ohne seine Frau nach Paterson in New Jersey, wo er eine Stellung als Englischlehrer annimmt. Die Ginsbergs wohnen in einem heruntergekommenen jüdischen Viertel. Vor dem Haus kreuzt eine Eisenbahnlinie die Straße, auf der anderen Seite des Schienenstrangs steht das Backsteingebäude einer Seidenfabrik.

      Allen, der auf der Straße im Sand Murmeln spielt, fürchtet sich vor Geistern. Als er in die Schule kommt, ist die Mutter immer noch im Sanatorium. Am ersten Schultag macht das Kind ein solches Geschrei, dass man den Vater rufen muss, der es mit heimnimmt. Es ist nicht leicht für Louis, neben seiner Tätigkeit als Lehrer auch noch für die beiden kleinen Jungen zu sorgen.

      Den Sommer verbringen Eugene und Allen mit Naomi in einem Ferienlager der Kommunistischen Partei bei Monroe Lake im Staat New York, einem paradiesischen Ort für Stadtkinder, die hier draußen nackt in den Wiesen herumtollen und in den Bächen Fische fangen.

      Louis, der seine Frau und die Kinder jeweils am Wochenende besuchen kommt, ist unangenehm berührt von den Propagandamalereien im Speisesaal, auf denen die Kapitalisten mit bluttropfenden Händen dargestellt werden. Weil es aber Naomi und den Kindern in der ländlichen Umgebung so gut gefällt, erhebt Louis keine Einwände, als seine Frau auch im zweiten Jahr mit ihren beiden Söhnen in dieses Lager fährt.

      Nach Ende der Ferien stürzt sich Naomi mit einem Eifer, der nichts Gutes vermuten lässt, in die Parteiarbeit und wird vorübergehend sogar Sekretärin des Ortsvereins. Louis muss deswegen um seine Anstellung als Lehrer fürchten; Zu Parteiversammlungen nimmt Naomi häufig ihre beiden Söhne mit.

      Das erste Lied, das Allen lernt, ist das Kampflied der amerikanischen Kommunisten The Red Flag. Er selbst hat die Atmosphäre dieser Zeit in einem Gedicht mit dem Titel ›Amerika‹ so beschrieben: ›... als ich sieben war nahm mich meine Mama mit zu den Versammlungen der Kommunistischen Zelle sie verkauften uns Garbanzos, für jedes Ticket bekam man eine Handvoll, der Eintritt kostete fünf Cents und die Reden gabs umsonst. Alle waren engelhaft und hatten ein Herz für die Arbeiter. Es war alles war so aufrichtig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine gute Sache die Partei 1935 war. Scott Nearing war ein großer alter Mann ein richtiger Mensch. Mother Bloor rührte mich zu Tränen einmal sah ich den Israel Amter ganz aus der Nähe. Das müssen wohl alles Spione gewesen sein.‹2

      1934 ziehen die Ginsbergs wieder einmal um. In der Haledon Avenue mieten sie nun ein ganzes Haus. Die beiden Brüder schlafen in einem Bett. Wenn Allen sich bei Gene ankuscheln will, gefällt das dem Bruder nicht.

      In der Nacht wacht Allen manchmal plötzlich von Straßengeräuschen auf und versucht, sich die riesigen Entfernungen von der Erde zu den Sternen vorzustellen.

      Er hat Tagträume, ist in Earl, den blondhaarigen Anführer einer Jungenbande, verliebt, steht manchmal vor dessen Haus. Er denkt sich aus, wie herrlich es wäre, eine Zauberformel zu kennen. Er wünscht sich Dollars, ein weißes Pferd, ein Schloss mit einem Kerker: ›Ich inspiziere meine nackten Opfer/gefesselt und verkehrt herum aufgehängt/meine Fingerspitzen fordern Zustimmung an ihren Hüften/während ich ihre unbehaarten Wangen küssen kann, soviel ich will... ich gehe mit meinen starken Wächtern vorbei, gebeugt/den Hintern herausgestreckt, damit sie mir zustimmend draufklatschen.‹3 Häufig hat er solche Unterwerfungsphantasien.

      In der Familie gibt es jetzt immer öfter Streit. Die Schwiegereltern machen Naomi dafür verantwortlich, dass ihr Sohn Schulden hat. Naomis Misstrauen gegen ihre Schwiegermutter wächst.

      Naomi läuft daheim nackt durch die Wohnung. Louis ist nicht prüde, aber dieses Bedürfnis bei ihr wird immer mehr zu einem neurotischen Exhibitionismus, der auch die Kinder verschreckt.

      Immer deutlicher zeichnen sich bei ihr Symptome einer paranoiden Schizophrenie ab. Sie hört Stimmen, macht überspannte Bemerkungen, reagiert übertrieben misstrauisch.

      Bald muss sie wieder in eine Anstalt. Louis’ Geldmittel sind erschöpft, deswegen kommt diesmal ein Privatsanatorium nicht in Frage. Louis lässt sie in das Staatliche Krankenhaus Greystone in New Jersey einweisen.

      Greystone ist ein riesiger Bau, eine Kaserne, anonym, unheimlich. Die dort bei Geisteskrankheiten angewandte Therapie besteht in der Verabreichung von Insulin und in Elektroschocks. Vierzigmal wird Naomi Stromstößen ausgesetzt, die ihre Phantasien dämpfen, aber sie gleichzeitig zutiefst verängstigen.

      Im Vertrauen auf die Sachkenntnis der Ärzte lässt Louis die Behandlung seiner Frau mit Elektroschocks weiter zu. Erst 1936 kehrt Naomi wieder zu der Familie heim.

      Allen trägt jetzt eine Brille mit dicken Gläsern und eine Zahnspange. Ein hässlicher Junge - weich, schwammig, unbeholfen. Sein Lieblingsschriftsteller ist Edgar Allan Poe, sein Lieblingsbuch Dr. Doolittle. Als sein Motto gibt das Jahrgangsbuch der Schule an: ›Tu, was du willst, wenn du es willst.‹4 Sein Freund Morton vertraut ihm an, wenn er in der Schule Mädchen sähe, würde er sich am liebsten auf sie stürzen. Ob auch Allen solche Wünsche überkämen? Nein, solche Empfindungen sind Allen fremd.

      Im Haus von Mortons Eltern gehen vier Jungen ins Badezimmer. Allen ist auch mit dabei. Morton setzt sich auf die Toilette, einer der Jungen kniet sich vor ihn hin und küsst Mortons Penis.

      1937, Allen ist jetzt elf, verdüstert sich die Atmosphäre daheim immer mehr. Naomi hat erneut einen Schub. Sie beschuldigt ihre Schwiegermutter, ihr ständig nachzuspionieren; das Geld für ihren Aufenthalt in der Anstalt habe Louis in Wahrheit seiner Mutter gegeben.

      Wenn Louis auf solche Anschuldigungen nicht reagiert, macht Naomi dunkle Anspielungen auf eine Liebesaffäre mit einem anderen Mann in den ersten Jahren ihrer Ehe.