Der achte Beauftragte. Renato Baretic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renato Baretic
Издательство: Bookwire
Серия: editionBalkan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943941395
Скачать книгу
fort, »aber Sie brechen das Gesetz. Vielen geht es gut, wenn sie Gesetze brechen, aber früher oder später werden sie erwischt und bestraft. Wir wollen doch vermeiden, dass Ihnen das widerfährt.«

      »Si, dis is no noutig.« Bart Nassfuß trat nun energisch aus der zweiten Reihe vor. »Aba es is also no noutig tu meik a Streit, to meik Parties, Lists, to meik an Erger con i nostri Nachbari, to dividere nostro Dourf! Ma che! Un wourum? To sit onli togeder con questi von Zweitchen, dat is veri matsch biga denn Drittchen, end de Loit meik alweis Kroch.«

      »Warten Sie mal«, legte der Beauftragte los, noch bevor Tonino zu Ende geflüstert hatte. »Wir können hier auch bis heute Abend diskutieren, ohne etwas zu beschließen und zu tun. Ich verstehe, dass es Ihnen so besser gefällt, mit dieser Foundeischn und all diesen australischen Begünstigungen, die Ihnen die Italiener hierher schmuggeln, aber Sie müssen wissen, dass ich gekommen bin, um das Gesetz durchzusetzen, ein ganz gewöhnliches, banales Gesetz, das außer Ihnen in Kroatien niemand als störend empfindet. Ganz im Gegenteil, alle sind glücklich, dieses Gesetz zu haben und es umsetzen zu können. Also lassen Sie mich dieses Gesetz mit Ihnen gemeinsam umsetzen und fertig, dann können Sie leben wie bisher, nur zwei von Ihnen werden, nachdem wir lokale Wahlen durchgeführt haben, einmal im Monat nach Erstchen fahren und sich an der Arbeit des Gemeinderates Erstchen-Zweitchen beteiligen. Das ist alles.«

      »Ma wat bringt for ous questo Gemeinderat?«, hörte man aus der Menge.

      »Herrgott noch mal!« Siniša war der Verzweiflung nahe. »Sie haben doch sicher ein Infrastrukturproblem. Wasser, Strom, Kanalisation …«, zählte er auf, wobei ihm mit jedem Augenblick bewusster wurde, dass diese Eingeborenen kein einziges dieser Infrastrukturprobleme hatten.

      »Und was für eine Anbindung ans Festland haben Sie hier? Haben Sie etwa eine Fähre? Und was, wenn einer von Ihnen plötzlich krank wird? Wäre es nicht toll, wenn Sie zum Beispiel einen Hubschrauberlandeplatz auf der Insel hätten?«

      »Iven on Erstchen is no sowat, come soll es da noi? Wouzu dis? Noi hoben hier Muona, la Dottoressa of all Malaise! De Fähre is no gud!« Mehrere Stimmen hatten sich sofort zu Wort gemeldet.

      »Half Zweitchen would kam tu ouns. Zweitchen gegen Drittchen – siks to to. Zero Points for ouns!«, meldete sich wieder Bartul.

      »Mal langsam … Wenn ich es richtig verstehe, liegt das Problem in Ihrer Beziehung zu den Bewohnern von Zweitchen. Ich habe schon bei meiner Ankunft verstanden, dass Sie die nicht mögen und umgekehrt. Woran liegt das? Erklären Sie es mir bitte, und dann werden wir eine politische Lösung finden, die für beide Seiten annehmbar ist.«

      »Ich habe es noch nicht geschafft, dir das zu erklären. Das ist nicht so einfach, es gibt unzählige Gründe für das Misstrauen«, sagte Tonino leise und mit besorgter Miene.

       C:My Documents/PRIVAT/Bonino und Tonkica.doc

      Tonino sagt, dass es folgendermaßen gelaufen ist: Bonino Langfuß und Tonkica Jeronimić hatten sich auf den ersten Blick verliebt, an jenem weit zurück liegenden Tag, an dem sie ins Meer gesprungen war, und zwar vom Deck des kleinen Dampfers »Obilić«, nicht einmal eine Minute, nachdem dieser sich, überfüllt mit armen Menschen, im Hafen von Erstchen auf den Weg nach Griechenland gemacht hatte, von wo sich damals viel größere Gruppen armer Menschen mit viel größeren Dampfern nach Australien aufmachten. Tonkica war erst zehn Jahre alt: Sie war mit ihren Eltern von Zweitchen nach Erstchen gekommen, um ihren älteren Bruder Zorzi zu verabschieden, und dann hatte ihr Vater von hinten ihre Hüften gepackt, sie auf den Hinterkopf geküsst, angehoben und, ohne sie oder die Mutter zu fragen, buchstäblich in die Höhe geworfen, und zwar in dem Moment, als die Seeleute schon die Taue an Deck zogen, direkt in die Arme des verwirrten, weinenden Zorzi, der sich weit über die Reling gelehnt hatte. So waren die Zeiten, es gab Eltern, die selbst viel kleinere Kinder im letzten Moment auf ähnliche Schiffe warfen, nicht selten in die Arme von irgendjemandem, der an der Reling stand. Der Hunger und das Elend trieben die verzweifelten Menschen zu solchen Taten, die unerträglich schmerzhaft, aber auch grausam rational waren. Egal, wie viel sie auch litten, sie wussten, dass es das Beste war, was sie ihren Kindern zu bieten hatten. Ja, solche Zeiten gab es.

      Tonkica mochte Zorzi nicht besonders. Man könnte sogar sagen, dass es ihr irgendwie entgegenkam, dass ihr älterer Bruder irgendwohin ging, von wo er vielleicht nie wieder zurückkehren würde. Tonkica liebte ihre Mutter, ihren jüngeren Bruder und ihr zweijähriges Schwesterchen, und ihren Vater betete sie – in übersteigerter Liebe – regelrecht an. Als ihr Bruder sie aufgefangen und auf dem Deck der »Obilić« abgesetzt hatte, schrie sie heftiger und schmerzvoller auf als in der Nacht ihrer Geburt. Erschrocken sah sie, wie der Vater über den Kai in Richtung Wirtshaus eilte und sich dabei mit den Fäusten gegen den Kopf schlug. Die Mutter stand noch immer wie versteinert an derselben Stelle und presste sich die Hand vor den Mund, während die beiden Kinder tränenüberströmt versuchten, an ihr hochzuklettern. Tonkica riss sich aus Zorzis Umarmung los, rannte durch die Menge aus weinenden Männern, Frauen und Kindern und stolperte über die herumliegenden Bündel, Kisten und Koffer. Sie drehte sich kein einziges Mal um, und als sie das Heck erreichte, sprang sie über die Reling und stürzte sich ins Meer. Nicht um zum Ufer zu schwimmen, denn sie konnte gar nicht schwimmen, sondern um zu sterben.

      Der dreizehnjährige Bonino Langfuß stand auf einer Gajeta und winkte seinem Vater zu. Seine Mutter war zu Hause auf Drittchen geblieben, und er, sein Vater und sein Onkel waren einen Tag und eine Nacht lang unterwegs gewesen, mal segelnd, mal rudernd, damit Bonino der Ältere das Schiff nach Australien erreichen konnte, wo er – so hatte er versprochen – nicht einen Tag länger als drei Jahre bleiben wollte. Hals, Kiefer und das ganze Gesicht waren dem kleinen Bonino vom krampfhaften Unterdrücken der Tränen steif geworden, während er winkte und auf den Wellen schaukelte, die die »Obilić« hinterließ. Und dann bemerkte er ein Mädchen, dass über die Heckreling kletterte und ins Meer sprang. Sie fiel irgendwie ungeschickt, wie eine Leiche, und Bonino war sofort klar, dass die Kleine so etwas noch nie getan hatte und dass sie sicher ertrinken würde. Im Nu warf er seine Mütze ab, streifte die Schuhe von den Füßen und schnellte sich vom Boot.

      »Boni, no no, pass ouf, propello!«, rief der Onkel, doch der Junge hörte ihn nicht mehr. Er schwamm und weinte, tauchte und schluchzte, bis er das Mädchen erblickte, das bereits leblos auf den Hafenboden sank, langsam, als wolle es sich ausruhen. Er erwischte sie am Haarzopf, zog sie an die Oberfläche und war mit ihr zum Ufer geschwommen, bevor die Boote die beiden erreichten.

       »Tonki, Tonki, Tonki!!!«, schrie die Mutter. Und die Kleine spuckte Wasser, verdrehte zweimal die Augen und blickte dann ganz ruhig und irgendwie zärtlich in Boninos nasses Gesicht, an dem Haarsträhnen klebten:

       »Biste mio Angelo – oda biste mio Deifi?«

      Nachdem der Vater das Schiff genommen hatte, war Bonino der älteste Mann im Haus und musste arbeiten, als sei er kein Junge mehr. Er ging fischen, half der Mutter im Garten und im Weinberg, arbeitete als Tagelöhner in Weinbergen und Olivenhainen, assistierte Schiffsbauern und Maurern. Am liebsten mochte er es, wenn er eine Arbeit auf Zweitchen fand, denn dann konnte er einige Tage dort bleiben und sah Tonkica jeden Abend in der Kirche und nach der Messe. Bald waren jene drei Jahre vergangen, und der Vater war nicht zurückgekommen. Bonino wuchs zu einem knochigen, zähen jungen Mann heran. Noch einmal vergingen drei Jahre, und Tonkicas Blicke begannen, ihn immer länger, tiefer und merkwürdiger zu durchbohren. Obwohl die Bewohner von Zweitchen ein wenig steife und verschlossene Menschen waren, sahen sie mit Zärtlichkeit und Wohlwollen auf diese jugendliche Romanze, denn sie erinnerten sich an jenen Tag, an dem der mutige Bonino die verzweifelte kleine Tonkica gerettet hatte. Außerdem – darüber sprach niemand, aber alle hatten es im Sinn – konnte diese Ehe dazu verhelfen, endlich die zehnjährige Fehde um die Weinberge der Bewohner von Zweitchen auf Drittchen zu überwinden.

       »Domani io ge nach Erstchen, um Ring per te zu holn«, flüsterte eines Abends Bonino, während er Kiefernnadeln aus Tonkicas offenem Haar suchte und sie ihre Bluse zuknöpfte. »Domani Ring, e per Natale Ehring.«

      Sie blickte ihn an wie beim ersten Mal, ruhig und zärtlich.

      »Mio