Der achte Beauftragte. Renato Baretic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Renato Baretic
Издательство: Bookwire
Серия: editionBalkan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943941395
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      Renato Baretić

      Der achte Beauftragte

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      Renato Baretić

      Der achte Beauftragte

      Roman

      Aus dem Kroatischen von

      Alida Bremer

      Herausgegeben von

      Nellie und Roumen Evert

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      Die edition Balkan im Dittrich Verlag ist eine Gemeinschaftsproduktion mit CULTURCONmedien

      Die Übersetzung dieses Buches wurde unterstützt von:

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      Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Kultur-Kontakt Austria, das Goethe-Institut, die Slowenische Buchagentur JAK und die S. Fischer Stiftung angehören.

      DIESES BUCH ERSCHEINT MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG DES MINISTERIUMS FÜR KULTUR DER REPUBLIK KROATIEN

      Bibliografische Information der Deutschen

      Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-943941-10-4

      eISBN 978-3-943941-39-5

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2013

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

      »Osmi povjerenik«, Zagreb 2003

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      www.dittrich-verlag.de/www.culturcon.de

      »Tolle Kumpels hast du!« Dieser Satz war das erste, was Siniša Mesnjak bei seiner Rückkehr unter die Lebenden hörte.

      Neben dem Bett in dem kleinen, aber angesichts der Umbruchszeiten im Land ziemlich luxuriösen Krankenhauszimmer saß Željka, seine Kollegin aus dem Parteisekretariat. Genau genommen war Željka nicht nur seine Parteikollegin, sondern mit ziemlicher Regelmäßigkeit auch ein – wie er es für sich selbst gern definierte – »Kollektor für überschüssige Energie«. Manchmal ahnte sie, dass sie für ihn nur das war und nicht mehr, und das war nicht leicht für sie. Während sie ihm jetzt in nicht eben gewählten Worten erklärte, was eigentlich geschehen war, zupfte er unter dem Laken an seinen Schamhaaren herum, um wach zu werden, um diesen Schrecken in einen gewöhnlichen Albtraum zu verwandeln, ähnlich jenem, den er immer wieder träumte und in dem ihn irgendwelche Zöllner bei dem Versuch ertappten, hinter dem Lenkrad eines Riesenschleppers acht Tonnen Schmelzkäse aus Ungarn einzuschmuggeln.

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      Siniša mied – nicht gerade typisch für einen aufstrebenden Politiker – die Medien, wo er nur konnte. Er verglich sie meist mit der Schaufel eines Totengräbers: Sie heben dich ein bisschen an, nur um dich daraufhin mit einem gezielten Schlag zwei Meter unter die Erde zu rammen. Doch wie sehr er die Medien auch mied, sie wollten ihn nicht meiden.

      Vier Tage vor den außerordentlichen Wahlen zum Zagreber Stadtparlament war auf der Titelseite einer rechts-orientierten Boulevardzeitung eine schockierende Collage erschienen: Auf dem größten Foto sah man, wie ein Polizist den bewusstlosen Siniša vom Fahrersitz seines Dienstwagens zog, während auf den kleineren Fotos zwei weitere Polizisten den bekanntesten Befürworter der Legalisierung leichter Drogen sowie eine halbnackte, kaum volljährige anonyme Blondine, »von der man begründet annimmt, dass sie eine Prostituierte weißrussischer Herkunft ist«, aus demselben Auto zerrten. Genauso wie Siniša schienen auch diese beiden um sich herum nichts wahrzunehmen. »Wohin gehst du, Zagreb?!«, stand als Überschrift über dem Artikel, und in einem kurzen Text wurde erklärt, dass »unser Nachtreporter bei seiner Heimfahrt von der skandalösen Modeschau (siehe Seite 16) auf dem Parkplatz in Gajnice den Dienstwagen des angeblich angesehenen jungen Politikers erkannte, der sich in äußerst suspekter Gesellschaft befand. Nachdem er festgestellt hatte, in welchem Zustand Siniša M. (33 Jahre) und seine Beifahrer waren, rief er sofort die Polizei und die Ambulanz herbei, ohne dabei seine journalistische Professionalität zu vergessen.« Neben diesem Text stach eine schwarze Spalte hervor, die die Überschrift trug: »Er liebt all das, was junge Leute lieben?!« Unter dieser Überschrift stand ein Kommentar des Chefredakteurs, der die bisherige politische Karriere von Siniša Mesnjak beschrieb, »dieses Hoffnungsträgers der regierenden Dreierkoalition, dieses billigen Illusionisten, der es – so hoffen wir – nur für kurze Zeit geschafft hat, junge kroatische Wähler zu betrügen und zu verführen. Indem er mit ihrer jugendlichen Revolte und ihrer Ungeduld kokettierte, gelang es ihm, diese jungen Menschen auf die Seite seiner verblühenden Partei und noch verwelkteren Koalition zu ziehen, um sich gleich nach der Eroberung der Macht entspannen zu können und – wie wir hier sehen – sein wahres Gesicht zu zeigen: das Gesicht eines Drogensüchtigen und verlotterten Individuums. Sollten die Bürger der Hauptstadt aller Kroaten bei den Kommunalwahlen am Sonntag tatsächlich Mesnjak und seine Kumpanen aus Partei und Koalition wählen (davon überzeugt, dass von denen nur Mesnjak abartige Neigungen hat – dass wir nicht lachen!), dann bleibt uns allen wirklich nur noch der Aufschrei: Wohin gehst du, Zagreb?!«

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      Er mochte an seinen Schamhaaren herumzupfen, wie er wollte – die Wirklichkeit sah so aus: Nach den Tageszeitungen von heute zeigte ihm Željka die Abendausgaben der morgigen Zeitungen, die ohne Ausnahme auf den Titelseiten über den Ausbruch des Premierministers auf der außerordentlichen Pressekonferenz berichteten: »Eine Falle der nachrichtendienstlichen Unterwelt!«

      »Der Chef sagt, dass du dein Handy und alle Telefone ausschalten sollst, keine Aussagen machen und dich bei niemandem melden, nicht mal bei ihm. Nach dem Motto: Don’t call us, we call you. Bis auf Weiteres bin ich für dich zuständig, und wir haben zwei Bodyguards zugeteilt bekommen, um die Journalisten fernzuhalten«, schloss Željka, faltete die Zeitungen zusammen und warf sie auf den Boden.

      Am nächsten Tag wurde Siniša heimlich von der Intensivstation in die Lungenabteilung verlegt und von dort am Nachmittag in einen unscheinbaren Golf verfrachtet, mit dem man ihn nach Dubrava brachte, in ein kleines gepflegtes Häuschen; dass es sich im Immobilienbestand der Partei befand, hatte er bisher nicht gewusst. Am Sonntag, dem Wahltag, übergab er sich siebenmal, das letzte Mal eine halbe Stunde nach Mitternacht, als im Fernsehen verkündet wurde, dass seine Partei weniger Stimmen bekommen hatte, als selbst die pessimistischsten Prognosen vorausgesagt hatten.

      Am Montagmorgen, während Željka noch tief in dem aufgeklappten Sessel schlief, immer noch in der Kleidung von gestern Abend, zog Siniša sich leise an. Er beabsichtigte, in die Parteizentrale zu gehen, um dort alles aufzuklären und weitere Schritte auf kommunaler und staatlicher Ebene vorzuschlagen. Im Hof des Nachbarhauses krähte ein Hahn wie auch schon an den vorherigen drei Tagen – laut und verzweifelt, als wäre es sein letztes Mal. Kurz bevor Siniša die Türklinke berührte, jagte ihm eine Stimme aus der Küche einen Schreck ein:

      »Herr Mesnjak, wir haben schon genug Probleme. Sowohl Sie als auch ich.«

      Ein großer, dünner Typ mit zerfurchtem Gesicht lehnte mit seinem Hintern an der Spüle, sah ihn irgendwie