Der Vulkan. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066384098
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der Reichstagsbrand-Katastrophe, das terroristische Regime begann. Was Marion betraf, so war für sie die Emigration eine Selbstverständlichkeit. Es hätte der Überlegung gar nicht bedurft, daß nun in Deutschland ihre Freiheit, vielleicht sogar ihr Leben gefährdet waren: der Ekel, der Haß, der Abscheu trieben sie fort. „Leider sehe ich ja zu auffallend aus, und zu viele Leute kennen meine ulkige Visage, als daß ich mich unter die Illegalen hätte mischen können”, bedauerte sie. „Übrigens hätte ich in Berlin beim Anblick einer S.S.-Standarte – oder wie sie die Banden nennen – auf offener Straße einfach vor Wut gebrüllt. Das wäre mir ja dann wohl kaum sehr gut bekommen.”

      Martin Korella war auch einmal Schauspieler gewesen; hatte aber mit maßvollem Bedauern feststellen müssen, daß sein darstellerisches Talent nicht hinreichend war. Er entschied sich für die literarische Laufbahn. Jetzt war er fünfundzwanzig Jahre alt, und hatte noch nichts veröffentlicht, außer ein paar Gedichten und kurzen Stücken lyrischer oder essayistischer Prosa, in Zeitschriften und Anthologien. Diesen Arbeiten aber eignete eine solche Schönheit der Form, eine so innig-seltsame Dichtigkeit und Lauterkeit des Gefühls, daß sie ihrem jungen Autor fast so etwas wie Ruhm einbrachten – einen Ruhm freilich, der nur von ein paar hundert Menschen getragen und gewußt wurde. Es gab Leser in Berlin oder in Heidelberg, in München, Wien, oder sogar in Paris, die sich in der Überzeugung einig waren, daß Martin Korella ein begnadeter Dichter sei. Martin war hochmütig genug, um ordinären Ehrgeiz gründlich zu verachten. Übrigens war er auch träge. Er schlief bis zum Mittag und verbrachte dann Stunden auf ziellosen Spaziergängen durch die Stadt. Er las wenig, und immer wieder nur die gleichen Autoren. Es gab Wochen, Monate, während derer er keine Zeile schrieb. Dafür durfte er sich rühmen: „Etwas Mittelmäßiges ist von mir niemals gedruckt worden.” Seine Eltern machten ihm, so luxuriöser Faulheit wegen, beinahe täglich die bittersten Vorwürfe; waren aber doch heimlich stolz auf ihr originelles Kind und zahlten, unter viel Klagen und Schimpfen, die Monatsrente von 200 Mark. Das war keineswegs üppig; aber es ermöglichte Martin, in einer eigenen Stube zu leben, getrennt von Herrn und Frau Korella, die ihm auf die Nerven gingen.

      Als Marion ihm mitgeteilt hatte, daß sie Deutschland verlassen werde, war seine Antwort gewesen: „Natürlich komme ich mit.” Sie war erstaunt, übrigens froh im Grunde, über die nachlässige Selbstverständlichkeit, mit der er seinen Entschluß äußerte – wenn vielleicht auch nicht erst im Augenblick faßte. Sie hielt es für ihre Pflicht, ihn zu erinnern: „Eigentlich sollte nur Weggehen, wer muß. Ein paar anständige Leute müssen auch hier bleiben. Du hast dich politisch nie exponiert. Glaube nur nicht, daß wir es draußen so besonders einfach haben werden.” Woraufhin er nur die Achseln zuckte. „Wenn die Deutschen verrückt werden – ich habe keine Lust, da mitzumachen. Warum sollte ich abwarten, bis es zum Schlußeffekt dieser ganzen macabren Veranstaltung kommt? Bis die berühmte ‚Apokalypse’ endlich da ist, auf die alle braven Spießer sich so herzlich zu freuen scheinen? … Übrigens wird diese ‚Apokalypse’ in der Realität genau so mittelmäßig und langweilig ausfallen, wie alles, was man uns bisher geboten hat … Das Ganze is eine Farce; leider keine harmlose. Aus einem Menschen mit so einer Fresse macht man keinen Halbgott.” Er deutete auf das Hitlerbild in einer Zeitung. „Das ist abgeschmackt. Es kann nicht gut enden.” – Das war jetzt ungefähr drei Wochen her.

      David Deutsch gehörte zu den Bewunderern Martins. Übrigens war es in Berlin zwischen den Beiden über eine flüchtige Bekanntschaft, die Mutter Schwalbe vermittelt hatte, nicht hinausgekommen. Der junge Philosoph und Soziologe, die Stille kleiner Universitätsstädte gewohnt, fühlte sich unsicher, gehemmt, oft sehr unglücklich im Berliner Betrieb. Es gab dort nur wenig Menschen, die ihn kannten und seine intellektuellen Gaben zu schätzen wußten. Seine Doktorarbeit hatte in Fachkreisen ein gewisses Aufsehen gemacht; aber die Berliner Literaten wußten weder von ihr, noch von den Studien über die Vorsokratiker, über Kierkegaard, Nietzsche und Marx, die David in einer Heidelberger philosophischen Revue publiziert hatte. – In Wahrheit verhielt es sich so, daß Martin den jungen Gelehrten damals ein wenig von oben herab zu behandeln pflegte. Im Exil aber begegnete man sich zunächst ohne jene Voreingenommenheiten, durch die in Berlin die verschiedenen Zirkel und Cliquen voneinander separiert worden waren. Eine neue Herzlichkeit stellte sich her, so etwa wie nach Naturkatastrophen; die Bewohner eines brennenden Hauses, die sich auf der Straße vor den Trümmern ihrer Habe zusammenfinden, oder die Passagiere eines sinkenden Schiffes im Rettungsboot, vergessen Unterschiede, die noch vor Stunden bedeutsam waren.

      Bei der zweiten Flasche Rotwein wurde die Stimmung der Vier am Tisch lebhafter, beinahe munter. Die Schwalbe entwickelte ihren Plan, in der Montparnasse-Gegend ein kleines Restaurant aufzumachen –: „ganz nach dem Muster meiner Berliner Kaschemme. Dort sollt ihr anständig zu essen kriegen – nicht so ein kümmerliches ‚Schnitzèle Viennois’, wie man mir gerade eines vorgesetzt hat. Ich habe schon einen bestimmten Platz im Auge”, berichtete sie, und ihre blauen Kapitänsaugen leuchteten. „Aber ich sags noch nicht, welchen. Ich bin abergläubisch. Ehe der Mietsvertrag unterzeichnet ist, erfährt kein Mensch, wo die Schwalbe sich diesmal niederläßt!” Sie redete geheimnistuerisch und verheißungsvoll, wie zu Kindern, denen man die Herzen mit Sehnsuchts-Neugier nach den Wonnen eines Weihnachtsabend füllen will. In der Tat erreichte sie durchaus den gewünschten Effekt: die drei jungen Menschen wurden animiert und wollten mehr wissen. Wann Mutter Schwalbe ihren Laden zu eröffnen gedenke? Ob es auch Musik geben solle, und vielleicht gar etwas Platz, um nach dem Essen zu tanzen? – „Und eine Bar!”, rief Marion, plötzlich guter Laune. „Ich finde, eine Bar solltest du einrichten. Wir wollen es doch schließlich auch etwas pariserisch haben!” Sie sah vergnügungssüchtig aus und hatte schöne, wilde Gebärden. Ihre großen, jünglingshaft harten und sehnigen Hände formten etwas in der Luft, was die Konturen einer Flasche bedeuten konnte. Dabei stieß sie ein gefülltes Weinglas um. Marion hatte die Eigenheit, immer irgend etwas umzuwerfen und kleine Katastrophen anzurichten, wenn sie in Aufregung geriet. Sie war ebenso ungeschickt wie enthusiastisch. Nach malheurhaften Zwischenfällen solcher Art pflegte sie sich selbst zu beschimpfen – „dummes Ding! Mußte das sein! Grundalberne Kuh!” –; dazu schüttelte sie zornig den Kopf; die lockere Fülle ihres rotbraunen Haars, das einen Purpur-Schimmer hatte, fiel ihr in die Stirn, bis zu den Augen.

      Sie beschlossen, den Kaffee in Montparnasse zu nehmen. Dort würde man bestimmt Bekannte treffen. „Ich glaube die gute Dora Proskauer ist heute aus Berlin angekommen”, sagte die Schwalbe. „Sie wird uns etwas Neues erzählen können.” Marion sagte: „Vorher muß ich noch bei den ‚Deux Magots’ vorbeischauen. Marcel hat versprochen, dort auf uns zu warten.”

      Sie gingen zu viert nebeneinander, Arm in Arm, das kleine Stück des Boulevard St. Germain hinunter, das die Ecke der rue des Saints Pères vom Platz St. Germain de Prés trennt. Der Abend war milde, im glasig durchsichtigen Himmel gab es noch ein wenig Licht. Aus dem Halbdunkel, in dem die Töne eines verblichenen Rosa sich mit den unendlich vielen Nuancen des Grau vermischten, traten die Umrisse der alten, schmalen, vornehmen Häuser zart und deutlich hervor. „Wie schön Paris ist!”, sagte Martin, andächtig leise. „Man hätte sich viel früher dazu entschließen sollen, hier zu leben … Es ist, wie wenn man einen Menschen, zu dem man ganz paßt und mit dem vielleicht sehr glücklich hätte sein können, etwas zu spät, unter melancholischen Umständen kennen lernt …”

      Sie standen zu dritt an der Ecke des Boulevards und des Platzes. Marion war ins Café gegangen, um Marcel zu holen. Vor einem Zeitungskiosk, der englische, amerikanische, italienische, deutsche, holländische, spanische und dänische Blätter anbot, drängten sich Menschen: Pariser Studenten, den bunten Wollschal apachenhaft um den Hals geschlungen, auf dem Kopf die kleine runde Baskenmütze; junge Engländer und Amerikaner, barhäuptig, die Zigarette im Mund, die Hände in den Taschen der weiten Flanellhosen vergraben; bunt hergerichtete Frauen, einige schon im Frühlingskostüm, andere noch im Pelz.

      David Deutsch sagte: „Ich habe wirklich ein wenig Herzklopfen, weil ich Marcel Poiret kennen lernen soll.” Daraufhin Martin, verwundert: „Haben Sie ihn denn in Berlin nie getroffen?” Die Frage war ihm gleich etwas peinlich; er vergaß immer wieder, daß David in Berlin ja nicht ganz zum gleichen ‚Sett’ gehört hatte wie er selber und Marion. – David versetzte, nicht ohne Hochmut: „Ich habe in Berlin nur sehr wenig Menschen gekannt. – Aber ich habe alle Bücher von Poiret gelesen”, fügte