Der Vulkan. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066384098
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leuchtend rot-braun blieb. Sie war es, die das Schweigen brach, indem sie schallend zu lachen begann. „Das ist wunderbar!” brachte sie unter großem Gelächter hervor, wobei sie mehrfach dröhnend auf die Tischplatte schlug. „Ausgerechnet uns muß das passieren! Das ist köstlich! Nein, sowas!” Die beiden Jungen versuchten mitzulachen; aber das Resultat ihrer Bemühung war kümmerlich, nur die bittere Andeutung eines Lächelns kam zustande. Das Mädchen schaute vor sich hin auf den Teller und sagte leise: „Ich finde es gar nicht komisch”. – Warum nicht komisch? Wieso nicht? – wollte die Alte wissen. Aber nun gestand der zweite junge Mann – der blond und stattlich war, mit einem hellen, großflächigen, hübschen, etwas weichen und müden Gesicht –: „Ich kann mich eigentlich auch nicht besonders darüber amüsieren. Mein Gott, bin ich erschrocken!” Dabei führte er die Hand ans Herz und blickte aus großen, entsetzten Augen, kokett um Mitleid werbend, von einem zum anderen. Der hagere Schwarze betrachtete grüblerisch den Speichelpatzen, der noch neben seinen Füßen auf dem Boden lag. „Vor zwei Wochen”, sagte er leise, „vor genau zwei Wochen hat in Berlin, auf dem Kurfürstendamm, ein S.A.-Mann mich angespuckt. Auch aus ziemlicher Entfernung. Er traf noch etwas besser als diese Lady: sein Speichel klebte an meinen Schuhen …” In eine kleine Stille hinein, die diesem Bericht folgte, sagte die Grauhaarige „Armer David …” Die Kellnerin stellte, mit einem demonstrativen Mangel an Höflichkeit, die zwei Portionen Poulées, das Schnitzel Viennois und ein Omelett auf den Tisch.

      „Man hätte die Leute ja aufklären können,” sagte der blonde junge Mann mit dem schönen, weichen Gesicht – er hatte eine schleppend melodiöse Art zu sprechen; seine Worte kamen zögernd und einschmeichelnd daher. „Man hätte Ihnen auseinandersetzen können, daß wir zwar vielleicht ‚des sales boches’, aber sicher nicht ‚des sales nazis’ sind. Nur scheint mir ungewiß, ob die Herrschaften sich für solche Nuancen überhaupt interessiert hätten; für sie ist das alles wohl das gleiche …” Er zuckte die Achsel und lächelte resigniert. „Außerdem ließen sie uns keine Zeit zu ausführlichen Konversationen”.

      Das Mädchen mit der schönen, grollenden Stimme schob die Zeitungen fort, die immer noch aufgeschlagen zwischen den Weingläsern und den Tellern lagen. „Sowas muß man sich gefallen lassen! – Ich war gleich dagegen, daß man sich mit dem Schmutzzeug” – sie gab den Papieren noch einen wütenden Stoß – „in ein öffentliches Lokal setzt. Es ist eben einfach zu kompromittierend!” Sie sah reizvoll aus in ihrer Empörung. Aus ihren Augen, die eine merkwürdig dunkelgrüne, ins Schwarze spielende Färbung hatten, schlugen schöne Flammen des Zornes. Der blonde junge Mann – er hieß Martin Korella – legte ihr den Arm um die Schulter und bat mit der schleppenden Schmeichelstimme: „Ärgere dich nicht Marion! Wir sind ja eigentlich gar nicht gemeint gewesen. Im Grunde war es doch ein recht erfreulicher kleiner Zwischenfall: er beweist, wie unbeliebt die Nazis draußen sind. In Amerika scheint ja eine nette Stimmung gegen sie zu herrschen. – Die freundlichen Herrschaften sind doch Amerikaner gewesen?” fragte er. Das Mädchen Marion indessen wollte sich nicht beruhigen lassen. „Es ist grauenvoll!” klagte sie. „Wie schrecklich schnell ist es diesem Hitler gelungen, die Deutschen in der Welt wieder derart verhaßt zu machen, daß man es riskiert, angespuckt zu werden, wenn man sich als Deutscher zu erkennen gibt!”

      Martin, dessen Arm immer noch um Marions Schulter lag, sagte nachdenklich: „Die Frage ist nur, ob diese Welt-Empörung lange anhalten wird. Die Menschen vergessen so schnell, und es kommen andere Sensationen. In fünf Jahren würden wir uns vielleicht freuen, wenn die Leute noch beim Anblick von Berliner Zeitungen in Wut geraten …”

      Die Grauhaarige schlug vor: „Jetzt wollen wir aber zunächst mal was essen, Kinder! Das gute Zeug wird ja kalt. Mein Schnitzel sieht wundervoll aus!” Sie sagte „mein Schnitzel”, obwohl doch noch gar nicht die Rede davon gewesen war, wie die Gerichte verteilt werden sollten. – „Mutter Schwalbe hat immer recht” konstatierte Martin Korella, und beschenkte die resolute Alte mit einem langen, zärtlich siegesgewissen Blick aus den schläfrig verhangenen Augen. „Essen wir also!” – David erklärte geschwind: „Ich bin nicht sehr hungrig und nehme das Omelett, wenn ich darf”. – Er hatte eine seltsame Manier, sich beim Sprechen mit einem schiefen Ruck der rechten Schulter seitlich zu verneigen; dabei verzerrten sich seine ungesund bläulich gefärbten Lippen zu einem liebenswürdig angstvollen Lächeln. Es war eine rührende und etwas groteske, zugleich mitleiderregende und erheiternde kleine Höflichkeitspantomime.

      „Ich lasse mir den Appetit nicht verderben!” erklärte Mutter Schwalbe, schon mit ihrem Schnitzel beschäftigt. Und David, dem man das nicht sehr verlockend aussehende harte kleine Omelett überlassen hatte, bemerkte schüchtern: „Ich finde es hübsch hier … Dieses kleine Lokal gefällt mir. Und daß wir vier hier so beieinandersitzen … Ich habe es mir in Berlin oft gewünscht,” gestand er, und über sein wächsern zartes Gesicht zog eine flüchtige, helle Röte. „Manche Wünsche gehen unter recht merkwürdigen Umständen in Erfüllung – ganz anders, als man es sich ursprünglich vorgestellt hatte …” Seine rehbraunen, kurzsichtigen Augen wanderten zwischen Marion, Martin und der Mutter Schwalbe hin und her, ehe sie sich, bescheiden und ängstlich, senkten.

      Man schrieb den fünfzehnten April 1933. Die vier Deutschen – Marion von Kammer, Frau Schwalbe, Martin Korella und David Deutsch – waren alle erst im Lauf der letzten zwei Wochen in Paris eingetroffen; zuletzt die Schwalbe, für die es nicht ganz einfach gewesen war, ihren Berliner Betrieb aufzulösen. Ihr hatte ein kleines Etablissement, halb Restaurant und halb Kneipe, gehört, in dem sie als Köchin, Empfangschef und Mädchen-für-Alles tätig war. Das Lokal „Zur Schwalbe” war nicht weit von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, in einer Nebenstraße des Kurfürstendamm gelegen, und hatte sich einer starken Beliebtheit in gewissen Zirkeln der Berliner Jugend erfreut. Leute mit keinem anderen Kapital als ihrem Ehrgeiz und ihrer radikalen Gesinnung, Studenten, angehende Literaten, Maler, Schauspieler hatten sich wie in einem Klub bei „Mutter Schwalbe” zusammengefunden, um dort über Marxismus, atonale Musik und Psychoanalyse zu diskutieren und auf Kredit Frankfurter Würstchen mit Kartoffelsalat zu essen. Die Schwalben-Wirtin war, mit einer dicken Zigarre im Mund, zwischen den Tischen umhergegangen, hatte alle gekannt, allen auf die Schulter geklopft, und zuweilen einen furchtbaren Krach geschlagen, wenn jemand es sich einfallen ließ, reaktionäre politische Tendenzen zu verteidigen, oder gar zu säumig mit dem Bezahlen seiner Schulden war. Als die Hitler-Diktatur in Deutschland sich etablierte, waren die Stammgäste der Schwalbe auseinandergestoben; viele waren emigriert, andere waren verhaftet worden; wieder andere blieben zwar in Berlin, hielten es aber nicht mehr für ratsam, sich in dem berüchtigten Lokal noch zu zeigen; manche waren sogar – die Schwalbe mußte es mit Bitterkeit konstatieren – zu den Nazis übergelaufen. Im Restaurant und in der Privatwohnung der „Patronne” – zwei Dachstuben, die sich im selben Haus wie die Kneipe befanden – hatte es Razzias gegeben; durch die Protektion eines Jungen in S.S.-Uniform, der früher zu ihrer Klientel gehört hatte, war der Braven die Verhaftung erspart geblieben. „Und jetzt singen sie jeden Abend das Horst Wessel-Lied in meiner schönen Bude”, stellte die Schwalbe wehmütig fest. David Deutsch – derartig nervös und übersensibel, daß er auf bestimmte Worte reagierte wie auf die Berührung eines eisigen Windes – schauerte zusammen und bewegte gequält die Schultern. „Das Horst Wessel-Lied!” wiederholte er und blickte hilfesuchend um sich, als erbäte er von den anderen Trost oder doch mindestens eine Erklärung.

      Er war einer der treuesten Gäste der Schwalbe gewesen, während Marion und Martin, sozial entschieden höher gestellt als das eigentliche Schwalben-Publikum, sich nur zuweilen hatten sehen lassen – immer ein wenig wie große Herren, die es manchmal belustigt, in ein inferiores Milieu hinabzusteigen. Die „Patronne” hatte, trotzdem, eine entschiedene Sympathie für die Beiden; ja, sie mochte sie im Grunde lieber als den armen David, von dem sie, nicht ohne eine gewisse Verächtlichkeit, zu sagen pflegte: „Ach, der ist ja so entsetzlich gescheit! Der weiß ja alles!”

      Marion und Martin waren Jugendfreunde. Marion stammte aus einer sehr guten, Martin aus einer mittelfeinen Familie, übrigens waren sowohl die alten Korellas als auch Marions Mutter, Frau von Kammer, ziemlich verarmt. (Herr von Kammer war vor Jahren gestorben). Marion hatte als Schauspielerin zwar noch keine großen Erfolge gehabt und war mit fast allen mächtigen Berliner Theaterdirektoren verkracht; aber ihre Leistungen in einigen literarischen