Der Vulkan. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066384098
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„böhmischen Gefreiten” – so soll Hindenburg den Hitler genannt haben – hat er im Grunde nicht viel Vertrauen. Aber er sagt: Man muß es zugeben – es weht ein neuer Geist in Deutschland. Niemand weiß noch, was draus werden soll; aber es könnte etwas Großes draus werden. Die jungen Menschen haben plötzlich ganz andere, neue, strahlende Gesichter – findet mein alter Herr. „Du mußt hier bleiben, Junge!” sagte er. – Du weißt ja, ich überschätze seine Intelligenz keineswegs; aber es hat mir doch Eindruck gemacht. – Ich erzähle Dir das alles, damit Du siehst: ich habe es reiflich erwogen.

      Diesen Brief gebe ich dem Kurt B. mit, der morgen auch nach Paris fährt. Man kann sich schon nicht mehr trauen, einen solchen Brief mit der Post zu schicken … Der Kurt B. sagt, hier wird es bald nicht mehr auszuhalten sein, und nächstens werden auch noch die Grenzen gesperrt, da ist es schon besser, man macht sich rechtzeitig auf und davon. Aber der Kurt ist ja Jude, da beurteilt er die Dinge natürlich von einem etwas anderen Standpunkt als wir; von seinem Standpunkt aus, finde ich, hat er recht.

      Vielleicht hast auch Du recht, Karl. Ich will nicht mit Dir streiten, und ich will Dir keine Vorwürfe machen. Ich will Dir nur erklären, wie ich denke und fühle.

      Ich denke und fühle: Unser Platz ist hier. Hier müssen wir uns bewähren, hier müssen wir kämpfen, hier braucht man uns. Draußen braucht man uns nicht.

      Ich bin gegen die Emigration.

      Viele, die heute rausgehen, werden es bald bereuen. Sie werden ein bitteres Leben haben und außerdem auch noch schlechtes Gewissen. Wie die Zigeuner werden sie von einem Land ins andere ziehen; man wird sie nirgends behalten wollen; sie werden entwurzelt sein, sie werden den Boden unter den Füßen verlieren, viele werden elend zu Grunde gehen. Ich sehe das alles kommen. – Ich hoffe von Herzen, daß es Dir gelingen wird, Dir draußen eine neue Existenz aufzubauen. Es wird schon gehen, Du bist ja ein tüchtiger Mensch. Mich würde es schrecklich freuen, wenn ich nächstens erfahre, daß Du eine gute Stellung gefunden hast, in Paris oder sonst irgendwo. Noch froher würde es mich allerdings machen, wenn Du mir morgen telegraphierst: Ich habe meinen Fehler eingesehen. Ich komme zurück.

      Aber das passiert wohl nicht. Du bist ja so verdammt eigensinnig, altes Haus!

      Alles Gute!

      Dein Kamerad

      Dieter

      … Dieter war ziemlich erschöpft, nachdem er dies alles geschrieben hatte. Einen so langen Brief – schien ihm – hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht abgefaßt. Er lehnte sich in den Sessel zurück.

      Er war ein hübscher, hoch aufgeschossener Junge, mit blondem Haar, einem langen Schädel, blanker Stirn, blauen Augen und einem weichen, kindlichen Mund. Es gab in seinem Gesicht keine Falten.

      Draußen zog ein Trupp von S.A.-Leuten vorbei. Sie sangen. Dieter trat ans Fenster, um ihnen zuzuhören. Das Lied gefiel ihm nicht. Auch ihre Stimmen klangen nicht angenehm. Er machte das Fenster zu.

      Erster Teil

      1933-1934

       Inhaltsverzeichnis

      Doch uns ist gegeben

      Auf keiner Stätte zu ruhen,

      Es schwinden, es fallen

      Die leidenden Menschen

      Blindlings von einer

      Stunde zur andern,

      Wie Wasser von Klippe

      Zu Klippe geworfen,

      Jahrlang ins Ungewisse hinab.

      Hölderlin

      Hyperions Schicksalslied

      Erstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Das kleine Restaurant, Ecke Boulevard St. Germain- rue des Saints Pères, war um halb neun Uhr schon beinahe ganz leer. Die Stunde des Diners dauert in Paris von halb sieben bis acht Uhr; später sitzen nur noch Wahnsinnige oder Ausländer bei Tisch. Die beiden letzten Gäste, ein amerikanisches Ehepaar, waren eben dabei, ihren Kaffee zu trinken; da machte die Kellnerin ein erschrockenes Gesicht: es kamen noch vier Leute von der Straße – zwei junge Männer, ein Fräulein und eine ältere Frau.

      Einer der jungen Männer – er war auffallend bleich und mager; über seinem Gesicht, das wie aus Wachs gebildet schien, stand das schwarze harte Haar aufrecht, wie in ständigem Entsetzen gesträubt – erkundigte sich, ob man noch etwas zu essen bekommen könne. Die Kellnerin war schon im Begriff zu verneinen, als die Patronne, von der Theke her, ihre Stimme vernehmen ließ: aber gewiß doch, es seien noch zwei Portionen Poulées da, außerdem ein „Schnitzel Viennois”, und für eine der Damen könnte man ein Omelette machen. Die Vier schienen es zufrieden; während sie sich um einen Tisch in der Ecke niederließen, erklärte der junge Mann, der vorhin mit der Kellnerin verhandelt hatte: „Ich habe neue Berliner Zeitungen besorgt!” Dabei legte er den Stoß von Papieren vor sich hin. Das junge Mädchen schnitt eine Grimasse und sagte: „Pfui!”

      Sie redeten deutsch – was das Ehepaar am Nebentisch aufhorchen ließ. Nun war es die Amerikanerin, die eine angewiderte Grimasse schnitt. Gleichzeitig zuckte sie die Achseln und sagte etwas zu ihrem Gatten, was sich wohl in einem kränkenden Sinn auf die Deutschen im Allgemeinen und die Vier am Nebentisch im Besonderen bezog. Der Gatte schien ihr in allen Punkten recht zu geben; er nickte empört und rief dann schallend: „L’addition, Mademoiselle!”

      Die Deutschen inzwischen hatten ihre Zeitungen vor sich ausgebreitet. Das Mädchen sagte, mit einer schön sonoren, etwas grollenden Stimme: „Auch noch Geld ausgeben für das Dreckszeug! Eine Schande!” Während ihr Gesicht vor Ekel verzerrt blieb – als läge etwas Stinkendes, eine kleine Tierleiche etwa oder Erbrochenes, auf dem Tischtuch, zwischen den Gedecken – streckte sie ihre langen, unruhigen, muskulösen Hände gierig nach den Papieren aus. „Laß gleich das Scheußlichste sehen!” rief sie und lachte finster. „Die Berliner Illustrirte!” Der schwarze Hagere hielt ihr mit melancholischer Neckerei das Titelblatt der Illustrierten hin: es zeigte den Führer und Reichskanzler in idyllischem tête-à-tête mit einem kleinen blond-bezopften Mädchen, das ihm einen enormen Blumenstrauß überreichte. „Ist er nicht schön?” fragte der Bleiche, wobei sein Lächeln säuerlich war. Die ältere Frauensperson – sie fiel durch kurzgeschorenes, hartes graues Haar und ein rotbraunes Kapitänsgesicht auf – stemmte die Arme in die Hüften und machte dröhnend: „Hoho!”

      Die amerikanische Dame sagte, ziemlich laut: „Disgusting!” und stand auf. Die vier Deutschen, in den Anblick des Bildes versenkt, überhörten den Ausruf; sie sahen auch nicht, was für ein furchtbar drohendes Gesicht die Amerikanerin hatte, als sie nun, vom Gemahl gefolgt, das Lokal durchquerte, um die Ausgangstür zu erreichen. „Er bekommt einen Bauch!” stellte animiert der zweite junge Mann fest, und meinte den „Führer”.

      Als die Amerikaner an dem Tisch vorbeikam, wo deutsch gesprochen und das Hitler-Bild betrachtet wurde, blieb sie eine Sekunde lang stehen, und sagte sehr deutlich: „En bas les boches!” Ihr französischer Akzent war leidlich; jedenfalls viel besser, als der des Gatten, der noch breit hinzufügte: „En bas les Nazis!” Dabei hatte er sich der Türe genähert. Die Dame aber wandte sich noch einmal um, und nun spuckte sie aus. Auf eine Entfernung von mindestens zwei Metern spuckte sie recht kräftig und geschickt – man hätte es der respektabeln, keineswegs jungen Person kaum zugetraut –, sodaß eine nette, saftige Portion Speichel direkt neben den Schuhen des hageren jungen Mannes auf den Fußboden klatschte. Dann fiel die Türe hinter der Amerikanerin zu.

      Die Kellnerin und die Patronne des Lokals hatten den Vorgang wortlos beobachtet; die Kellnerin mit einem kaum sichtbaren, hämischen Grinsen, die Chefin mit einem Achselzucken, als wollte sie sagen: ‚Wozu soviel Aufregung wegen dieser Deutschen? Solange sie ihre Zeche