»Wir haben auch noch gar nicht genug getanzt«, gurrte Lisa, schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich schamlos an seinen Körper. Sie wiegte sich im Takt der Musik und beobachtete Ben aus halb geschlossenen Augenlidern.
Jetzt gelang es ihm kaum noch, seinen Ärger zu beherrschen. Mit einem harten Griff befreite er sich aus Lisas Umarmung und schob die Frau ein gutes Stück von sich weg. »Es reicht!«, sagte er böse. »Du gehst jetzt besser!«
Lisa kicherte und schwankte leicht in dem harten Griff, mit dem er ihre Handgelenke umfasst und sie auf Abstand hielt.
»Ist alles in Ordnung?« Wie aus dem Boden gewachsen stand Traudel plötzlich neben der jungen Frau in ihrem billigen Fummel.
»Upsi, das war wohl ein bisschen zu viel Sekt für mich«, kicherte Lisa.
»Scheint so!«, antwortete Ben. Er wollte eine Szene auf seiner Hochzeit vermeiden, aber es war deutlich, dass er Lisas Benehmen nicht weiter höflich umgehen würde. Wenn es sein musste, würde er sie vor die Tür setzen!
Die lebenserfahrene Traudel hatte die Situation sofort richtig eingeschätzt. Sie nickte Ben zu und fasste energisch nach Lisas Arm. »Du gehörst ins Bett!«, sagte sie entschieden.
Lisa kicherte wieder. »Da sagst du was, ehrenwerte Traudel. Was meinst du, hier gibt’s doch bestimmt ein Gästezimmer? Ob ich vielleicht hier ins Bett gehen kann?« Ihr Blick glitt von Ben zu Marie, die mit einem der Freunde tanzte, und blieb provozierend an dem gewölbten Bauch haften. »Eure Hochzeitsnacht würde ich ja nicht mehr groß stören!«, fügte sie anzüglich hinzu.
Am liebsten hätte Traudel ihr einen Klaps auf ihr loses Mundwerk gegeben! »Es reicht!«, sagte sie scharf. »Du fährst sofort!«
»Ja, wie denn, du selbst ernannter Wachhund!«, erwiderte Lisa mit ätzendem Spott. »Du willst doch nicht verantworten, dass ich mich jetzt hinters Steuer setze?«
»Ich fahre!«, antwortete Traudel knapp.
Sie verstaute Lisa auf dem Rücksitz ihres Wagens und setzte sich vorn neben Emilia, die müde, aber mit glänzenden Augen von der Hochzeit schwärmte. »Ach, Traudel«, seufzte das Mädchen, »glaubst du, wenn ich mal heirate, wird es auch so schön wie bei Marie und Ben?«
Ehe Traudel antworten konnte, meldete sich Lisa von der Rückbank zu Wort. »Was, du willst nicht die ganz große Show? Mit weißem Kleid, das mit Strass bestickt ist, und meterlanger Schleppe und Schleier und einem Blumengebinde, das dir bis zu den Füßen reicht?«
»Nee! Ich will doch keine Glitzershow, ich will eine richtig schöne Hochzeit! Eine mit Herz und Stil, eben in der Art wie heute«, antwortete Emilia verträumt.
Gutes Kind!, dachte Traudel und griff liebevoll nach der Hand des Mädchens. »Du wirst deine Traumhochzeit bekommen, Emmchen, verlass dich drauf!«
Der Rest der Fahrt verlief schweigend, jede der drei Frauen hing ihren eigenen Gedanken nach. Vom Streckenverlauf her hätte Traudel eigentlich Lisa zuerst bei sich absetzen können, aber sie fuhr einen kleinen Umweg über das Doktorhaus. »Leg dich schon schlafen, Emmchen, in ein paar Minuten bin ich wieder da. Ich bringe nur eben noch Lisa nach Hause«, sagte sie.
»Ist gut, Traudel, bis gleich. Nacht, Lisa!« Emilia verschwand im Doktorhaus, hinter dessen Fenstern freundliches Licht auf die Heimkehrende wartete.
Schweigend fuhr Traudel das kurze Stück zu Lisas Wohnung.
Lisa stieg aus und schwenkte lässig ihre unglaublich hochhackigen, goldenen Riemchenschuhe durch die Luft.
»Tschau, tschau, Traudel!« Lisa winkte ihr grinsend zu und schwebte hinüber zu ihrer Haustür.
Traudel fand Lisas Verhalten unentschuldbar.
Sie musste sich einen Augenblick sammeln, ehe sie ins Haus gehen konnte. Dort traf sie auf Vater und Sohn, die inzwischen ebenfalls das Fest verlassen hatten.
»Ich geh‘ schlafen; gute Nacht, alle miteinander!«, rief Sebastian in den Flur und ging dann nach oben in sein Schlafzimmer.
In der Küche brannte noch Licht, und Traudel hörte das vertraute Geräusch der Kaffeemaschine. Sowohl sie als auch Benedikt Seefeld gehörten nicht zu den Menschen, die spätabends durch eine Tasse Tee oder Kaffee um den Schlaf gebracht wurden. Sie ging hinüber in die gemütliche Wohnküche, die nur noch vom warmen Schein einer Tischlampe erhellt wurde. Zwei dampfende und herrlich duftende Kaffeebecher standen auf dem Holztisch, und Doktor Benedikt Seefeld lehnte sich behaglich in einen der Korbstühle zurück. Er hatte das Jackett ausgezogen und die Krawatte abgenommen. Sein warmherziges Lächeln begrüßte Traudel, und er reichte ihr ihren Lieblingsbecher, den mit den grünen Punkten und dem Rosenmuster.
»Was für ein schöner Tag!«, sagte er zufrieden.
Die hübsche ältere Frau setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und schaute ihn über den Rand ihres Bechers hinweg an. »Ja, ein sehr schöner Tag«, antwortete sie.
Benedikt griff nach dem Teller mit Walnusskeksen, die niemand so gut backen konnte wie Traudel, der gute Geist des Doktorhauses. »Mit einem sehr gemütlichen Ende in vertrauter Gesellschaft«, lächelte er.
*
Auch die allerletzten Gäste hatten nun den Ebereschenhof verlassen, und tiefe Stille breitete sich aus. In den gläsernen Windlichtern erloschen die Kerzen, benutzte Gläser und Teller standen zwischen den Blumenvasen auf den Tischen und erzählten von einer fröhlichen Feier.
Benjamin umfasste Hof und Garten mit einer weit ausholenden Geste und sagte zu seiner Frau: »Weißt du, was, Frau Lauterbach? Das Aufräumen verschieben wir auf morgen. Ich meine, wir sollten unseren Hochzeitstag nicht in der Spülküche beenden.«
Sehr glücklich und sehr müde lehnte Marie ihren Kopf an seine Brust. »Das ist ein sehr guter Gedanke, Herr Lauterbach. Ich merke, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann.«
»Das musst du auch nicht, meine Liebste«, sagte Benjamin zärtlich. Er hatte schützend die Arme um seine Frau gelegt und barg sein Gesicht in ihren seidigen Haaren. Sie duftete nach den winzigen Rosenblüten, die in ihre Zöpfe eingeflochten waren. »Du hast ja noch ein Paar Beine, die für dich laufen, wenn es zu schwer für dich wird. Und ein Paar starke Hände, die für dich arbeiten, wenn du es nicht mehr kannst.« Er legte seine Hand unter ihr Kinn und hob es sanft zu sich empor, sodass sie in seine Augen schauen konnte. Im Licht der Sterne schimmerten sie grünlich und so klar wie ein Bergsee.
Ich liebe ihn! Ich liebe ihn so sehr, dachte Marie atemlos.
Sein Blick hüllte sie ein wie ein wärmendes Tuch, das gegen die Kühle der Nacht um ihre bloßen Schultern gelegt worden war. »Und außerdem …«, fuhr Ben leise fort, und nun waren seine Lippen nur noch einen Hauch von ihren entfernt, und sie zitterte vor Sehnsucht nach ihm, »… außerdem hast du ein Paar Arme, die dich tragen werden; wenn du es willst, bis ans Ende der Welt.«
Sein Kuss war ein sanftes, lockendes Versprechen, und dann hob Benjamin seine Frau in seine Arme und trug sie ins Haus hinein.
*
Marie saß an ihrem Schreibtisch und war in die Gestaltung des Albums mit den wunderschönen Hochzeitsfotos versunken. Sie schien nicht bemerkt zu haben, dass die lauten Hammerschläge, die über den Hof hallten, seit einiger Zeit verstummt waren. Konzentriert klebte sie einige der getrockneten Rosenblätter ihres Brautstraußes in das Album, als ihr Mann seinen Kopf durch die Tür streckte.
»Hallo, Frau Lauterbach, wo bleibst du?«, fragte er erstaunt.
Marie schaute hoch, stutzte und sprang dann hastig auf. »Meine Güte, der Termin mit der Hebamme bei Doktor Seefeld wegen des Ultraschalls! Den hab ich glatt vergessen vor lauter Schwelgen in den Hochzeitsfotos.« Hastig griff sie nach dem Mutterpass und wollte ins Nebenzimmer rennen, um ihre Tasche zu holen, als Ben sie mit einer liebevollen Umarmung stoppte.
»Nicht so schnell, Mami!«, lachte