»Och Gottchen, da sind wir aber jetzt traurig«, höhnte Veronika, die im Biergarten darauf gelauert hatte, bis Leonhard zurückkam, und sich nun davon überzeugen wollte, dass ihr Plan funktioniert hatte.
»Verschwinde«, forderte Anna sie auf. Auf der Suche nach Susanne hatte sie gleichzeitig mit Veronika das Treppenhaus betreten.
»Ich bin schon weg, ich habe ohnehin Besseres zu tun, als mir die kleine Schlange anzusehen«, erwiderte sie mit einem herablassenden Lächeln.
Nachdem sie gegangen war, setzte sich Anna neben die Freundin auf die Treppenstufe, legte den Arm um sie und tröstete sie erst einmal, ohne ihr weitere Fragen zu stellen.
Draußen im Biergarten sah sich Leonhard nur von gut gelaunten Menschen umgeben. Er wurde für das Honigbrot gelobt, das Jubiläumsbier schmeckte allen ausgezeichnet und offensichtlich hatten alle seine Erklärung angenommen, warum das Honigbrot Susannes Namen trug.
»Setz dich einen Moment zu uns«, bat Sebastian, als Leonhard an ihren Tisch kam, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
»Wenn du sie verteidigen willst, das wird dir nicht gelingen«, sagte Leonhard.
»Würdest du es nicht hören wollen, wenn ich es könnte?«
»Was meinst du?«, fragte Leonhard, und ein Funken Hoffnung, dass das Ganze vielleicht doch nicht Susannes Werk gewesen war, keimte in ihm auf.
»Erzähle mir, was sie gesagt hat«, bat Sebastian.
»Wir hören«, sagte Emilia und sah Leonhard an, während Benedikt und Traudel sich den beiden älteren Ehepaaren zuwandten, die mit ihnen am Tisch saßen, und sie geschickt in ein Gespräch verwickelten, damit sie nichts von Leonhards Kummer mitbekamen.
»Wenn das mit dem Bienenstock stimmt und er vielleicht von einem nächtlichen Eindringling umgestoßen wurde«, sagte Sebastian, als Leonhard Susannes Bemerkung erwähnte.
»Aber wer außer Susanne sollte denn ein Interesse an diesem Honigbrot haben?«
»Es muss eine Erklärung gebe, Susanne würde so etwas niemals tun«, versicherte ihm Emilia.
»Wir können einen Menschen nicht durchschauen.«
»Aber sie ist in dich verliebt, Leonhard. Warum sollte sie dich verletzen wollen?«
»Vielleicht hat sie geglaubt, ich würde es mit einem Lächeln hinnehmen und es in Ordnung finden, dass sie auf diese Weise für ihre Imkerei wirbt.«
»Nein, das wäre unter ihrer Würde.«
»Ich bin auch sicher, dass Susanne nichts damit zu tun hat«, schloss sich Sebastian der Meinung seiner Tochter an.
»Danke, dass ihr beide mir helfen wollt, aber leider spricht einfach alles gegen sie«, stellte Leonhard traurig fest.
»Du könntest ihr einfach glauben«, sagte Emilia.
»Das einzige, was ich tun könnte, wäre, ihr zu verzeihen«, entgegnete er.
»Du weißt doch was, Papa«, flüsterte Emilia, als Leonhard gleich darauf ihren Tisch verließ.
»Du hast recht, Sherlock.«
»Du hast meine volle Aufmerksamkeit, Doktor Watson«, antwortete Emilia mit verschwörerischem Lächeln.
Sebastian nahm das Glas Orangensaft, das vor Emilia stand, und erhob sich, gerade in dem Moment, als Veronika, die Leonhard im Blick hatte, an ihrem Tisch vorbeirauschen wollte. »Verzeihung, das tut mir wirklich sehr leid«, entschuldigte er sich, als er ihr den Orangensaft wie aus Versehen über den rechten Arm kippte.
Es war nur ein kurzes Aufblitzen in Sebastians Augen, das niemand außer Emilia wahrnahm und das außer ihr auch niemand deuten konnte. Das Mädchen aber wusste genau, was sie nun zu tun hatte. Während alle am Tisch auf Veronikas Bluse starrten, stand sie leise auf und eilte unbemerkt davon.
»Die schöne Bluse«, sagte Traudel und schaute auf den zarten Baumwollstoff, der sich allmählich verfärbte.
»Ich bezahle Ihnen natürlich die Reinigung, Frau Mittermeyer«, versicherte ihr Sebastian.
»Schon gut, vergessen Sie es«, entgegnete Veronika. Missmutig machte sie sich auf den Weg zu den Toilettenräumen, um den Orangensaft auszuwaschen.
»Seit wann bist du so ungeschickt, mein Sohn?«, fragte Benedikt, der den Zwischenfall beobachtet hatte.
»Ehrlich gesagt, ich hoffe, dass ich mich in diesem Fall geschickt angestellt habe.«
»Du und Emilia, ihr habt wohl wieder etwas ausgeheckt«, flüsterte Traudel.
»Leider wird uns das aber nicht zu einer umfassenden Lösung führen«, sagte Sebastian. Die Stiche an Veronikas Arm deuteten zwar darauf hin, dass sie in der Nähe der Imkerei war, aber es war keine Erklärung dafür, wie sie in das Lager hineingekommen war.
Wie alle Räume in der Brauerei waren auch die Wände der Toilettenräume rot verklinkert und die Böden grau gefliest. Die modernen Waschbecken mit den dunkelroten Armaturen, die Leonhard vor ein paar Monaten hatte einbauen lassen, verliehen dem historischen Ambiente einen eleganten Anstrich.
»Der Mann sollte statt Orangensaft Wasser trinken, wenn er so ungeschickt ist«, schimpfte Veronika, die an dem hinteren der fünf Waschbecken stand, ihre Bluse ausgezogen hatte und den Ärmel unter kaltes Wasser hielt.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Emilia, die sich hinter einer Toilettentür verborgen hatte und sich nun erst zeigte.
»Nein, danke, vermutlich bist du ebenso ungeschickt wie dein Vater.«
»Papa ist alles andere als ungeschickt, das wird Ihnen bald klar sein«, erwiderte Emilia und schaute auf Veronikas Arm. Auch wenn der nicht mehr geschwollen war, die Stiche waren noch deutlich zu sehen.
»Geh einfach!«, fuhr Veronika sie an.
»Bis gleich«, sagte Emilia und machte sich auf die Suche nach Susanne und Anna. »Es wird alles gut werden«, verkündete sie den beiden, die noch immer auf der Treppe in der Brauerei saßen.
»Wie sollte das gehen?« Susanne trocknete ihre Tränen mit dem Taschentuch, das Anna ihr gegeben hatte.
»Ich muss los«, sagte Emilia, als sie Veronika gleich darauf wieder im Biergarten entdeckte.
»Was hat sie vor?«, fragte Susanne und schaute dem Mädchen verblüfft nach.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Anna und zuckte die Achseln, als Susanne sie fragend anschaute.
»Es tut mir so leid für dich.« Veronika war gleich auf Leonhard zugesteuert, als sie ihn abseits des Geschehens im Biergarten an der Hauswand lehnen sah.
»Was tut dir leid?«
»Dass du dich in dieser Frau getäuscht hast. Ein unschuldiges Gesicht lässt leider nicht auf ein unschuldiges Wesen schließen. Ich bin sicher, du wolltest dieses Brot deiner Mutter widmen, und sie hat es dir verdorben.«
»Darüber will ich nicht mit dir reden.« Leonhard senkte den Blick. Irgendwie musste er diesen Tag herumbringen und sich dabei nichts von seinem Kummer anmerken lassen.
»Sie sollten im Umgang mit den Bienen ein bisschen vorsichtiger sein, Frau Mittermeyer. Ich habe auch gerade erst mit dem Imkern angefangen, aber so wie Sie habe ich noch nicht ausgesehen«, sagte Emilia, die aus der Brauerei kam.
»Von was redest du?« Unwillkürlich überprüfte Veronika den Sitz ihres rechten Ärmels.
»Diese Stiche an Ihrem Arm, das sieht nach einem kleinen Angriff aus.«
»Welche Stiche?«, fragte Leonhard und wandte sich Veronika zu.