»Wirklich, aber gut, dann war es ein Nagel in der Treppenstufe. Ich muss die Wunde nähen. Wollen Sie eine Betäubungsspritze?«, fragte Sebastian, nachdem er die Verletzung gesäubert hatte.
»Nein, das halte ich auch so aus.«
»Sind Sie gegen Tetanus geimpft?«
»Im letzten Jahr.«
»Ich fange jetzt an«, sagte er, nachdem er Nadel und Faden vorbereitet hatte und sich über Veronika beugte, die auch tapfer die Zähne zusammenbiss und keinen Laut von sich gab, bis er seine Arbeit beendet hatte.
»Bin ich fertig?«, fragte sie, als er sich wieder aufrichtete.
»Ich würde gern noch sicherstellen, dass Sie keine Gehirnerschütterung haben.«
»Mir geht es gut, aber bitte, untersuchen Sie mich.«
»Es scheint alles in Ordnung«, sagte Sebastian, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ihr offensichtlich sonst nichts fehlte. »Sollte Ihnen schwindlig oder übel werden, oder sollten andere Beschwerden auftreten, melden Sie sich bitte.«
»Sicher, das mache ich, auf Wiedersehen, Doktor Seefeld.«
»Ich habe einen Bronzesplitter in der Wunde gefunden. Soweit ich weiß, gibt es weder in der Brauerei noch im Wohnhaus Haken aus Bronze. Allerdings steckt so ein Haken in der Wand neben dem Honiglager«, sagte Sebastian, als Veronika schon fast zur Tür draußen war.
»Der Nagel in der Treppenstufe wird aus diesem Material sein. Hören Sie, Herr Doktor Seefeld, ich gehe davon aus, dass Sie über meine Verletzung gegenüber Dritten nicht sprechen dürfen, richtig?«
»Sie müssen sich darum keine Sorgen machen, Frau Mittermeyer, gute Besserung«, sagte Sebastian und ging an ihr vorbei zurück in sein Sprechzimmer. Wenn Veronika lieber erzählte, sie sei auf der Treppe ausgerutscht, statt zuzugeben, dass sie sich an einem Wandhaken gestoßen hatte, dann würde er sie nicht daran hindern können.
»Auf Wiedersehen«, sagte Gerti, als Veronika an ihr vorbeistolzierte.
»Auf Wiedersehen«, entgegnete Veronika, während sie an ihr Gespräch mit Sebastian Seefeld dachte, der mit seiner Vermutung, woran sie sich verletzt hatte, genau richtig lag.
»Aufklebern würde ich nicht unbedingt trauen. Die können auch gefälscht sein«, hörte sie ihn wieder sagen, und auf einmal hatte sie eine großartige Idee, wie sie Susanne aus Leonhards Leben wieder vertreiben könnte.
»Das ist aber nett, dass Sie auf mich gewartet haben«, sagte sie, als sie die Praxis verließ und Susanne auf der Bank unter der Ulme saß.
»Geht es Ihnen besser?«, erkundigte sich Susanne mitfühlend.
»Doktor Seefeld hat die Wunde genäht, aber ich habe es kaum gespürt.«
»Er ist eben ein guter Arzt.«
»Und äußerst attraktiv.«
»Ja, das auch«, entgegnete Susanne lächelnd, als sie und Veronika wieder in ihr Auto stiegen.
»Hallo, Susanne!«, rief Emilia, die ihnen auf dem Fahrrad entgegenkam, als sie kurz darauf im Schritttempo zur Straße hinunterfuhren.
»Wie war die Schule?«, fragte Susanne und hielt den Wagen an.
»Ich habe einen Vortrag über Bienen gehalten und eine eins bekommen«, verkündete das Mädchen stolz.
»Gratuliere.«
»Danke. Markus und ich waren gestern mit dem Fahrrad unterwegs, wir waren auch oben an der Imkerei, du warst aber nicht da.«
»Ich war mit Leonhard in den Bergen.«
»Aha«, entgegnete Emilia lächelnd, während sie Veronika mit einem skeptischen Blick streifte.
»Sie waren wandern?«, fragte Veronika.
»Ja, wir waren wandern«, antwortete Susanne lächelnd. »Wir sehen uns sicher am Samstag. Ihr kommt doch zur Jubiläumsfeier in die Brauerei?«, wandte sie sich wieder an Emilia.
»Wir werden da sein.«
»Also dann, grüß deine Familie«, verabschiedete sich Susanne von dem Mädchen und fuhr weiter.
»Ein aufgewecktes Persönchen«, sagte Veronika und drehte sich noch einmal nach Emilia um.
»Wenn Sie mit aufgeweckt klug und selbstbewusst meinen, dann haben Sie recht.«
»So könnte man es sehen.« Aber es stimmt nicht, dachte Veronika, für sie war Emilia anmaßend und sie ließ den nötigen Respekt gegenüber Erwachsenen vermissen. Wenn sie mit Susanne fertig war, dann würde diese kleine Schlange an ihre Grenzen stoßen, auch sie würde Susanne dann nicht mehr helfen können.
»Alles in Ordnung?«, fragte Susanne, als Veronika mit verbissener Miene geradeaus starrte.
»Ja, es ist alles in Ordnung, es könnte nicht besser sein«, fügte Veronika mit einem zufriedenen Lächeln hinzu. Dieser Wandertag mit Leonhard würde sich für Susanne nicht wiederholen, das würde sie nicht zulassen.
»Waren das eben Susanne Gärtner und Veronika Mittermeyer?«, wollte Traudel von Emilia wissen. Sie war mit einer Kanne Kaffee und belegten Brötchen auf dem Weg in die Praxis. Sebastian und Gerti sollten wenigstens eine kleine Pause einlegen.
»Interessant, nicht wahr?«
»Ja, Kind, das ist ausgesprochen interessant. Veronika straft sonst jede Frau mit Missachtung, die sich nur auf drei Schritte ihrem Leonhard nähert. Nach dem, was dein Vater und du mir erzählt habt, sollte auch Veronika klar sein, dass sich zwischen Leonhard und Susanne Gärtner etwas anbahnt.«
»Susanne hat gerade erzählt, dass sie mit Leonhard in den Bergen war.«
»Und das hat Veronika nicht kommentiert?«
»Nein, vielleicht hat sie Leonhard ja inzwischen aufgegeben.«
»Das würde mich wundern.«
»Dann glaubst du nicht an Wunder?«
»Frechdachs«, sagte Traudel und ging lachend weiter.
»Nolan! Komm her, mein Süßer!« Emilia stieg von ihrem Fahrrad, stellte es ab und ging in die Hocke, um den Hund zu begrüßen.
Nolan hatte in den letzten Wochen seine Größe beinahe verdoppelt, aber er war noch immer verspielt und tapsig und warf sich mit seinem ganzen Gewicht in die Arme des Mädchens.
»Das ist eine Liebe, die keine Vorbehalte kennt«, murmelte Traudel und marschierte mit ihrem Tablett in die Praxis.
»Alles in Ordnung, Veronika?«, fragte Leonhard, der aus seinem Büro kam, nachdem Susanne ihren Wagen wieder im Hof der Brauerei geparkt hatte.
»Mir geht es gut, ich werde mir jetzt ein Zimmer im Hotel Wittner nehmen und mich ein bisschen verwöhnen lassen. Mein Praktikum in der Brauerei muss leider ausfallen.« Ich brauche es auch gar nicht mehr, um mein Revier zu verteidigen. Ich weiß bereits alles, was ich wissen muss, um dich und mich vor dieser Frau zu beschützen, die unsere Liebe bedroht, dachte sie und betrachtete Leonhard mit einem Blick, der an den Blick eines stolzen Besitzers erinnerte, der sein kostbares Eigentum ansah.
*
Bevor Susanne sich an diesem Abend auf den Nachhauseweg machte, traf sie sich mit Anna im Café am Marktplatz. Sie saßen draußen an einem der runden Tischchen, und Anna ließ sich von Susanne erzählen, wie ihr Wochenende verlaufen war.
»Denkst du, es geht zu schnell mit uns?«, fragte Susanne und rührte nachdenklich die Sahne in ihrem Milchkaffee um.
»Mir hat einmal eine kluge kleine Person gesagt, dass es nur den Bruchteil einer Sekunde braucht, bis wir uns verlieben. Warum sollten wir also wochenlang überlegen, ob wir dieser Liebe eine Chance geben? Wie es letztendlich ausgeht, das wissen wir ohnehin nicht. Nimm es als Geschenk, dass deine Liebe erwidert wird.«
»Du