»Susanne Gärtner«, stellte Susanne sich vor und zuckte zusammen, als sie in Veronika die Raserin vom Zebrastreifen erkannte.
»Ja, ich weiß, es war nicht korrekt von mir, es tut mir leid. Es war natürlich nicht Ihre Schuld, sondern meine. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«, fragte Veronika mit einem unschuldigen Augenaufschlag. Sie wollte sich nicht in Leonhards Beisein mit ihrer Konkurrentin anlegen, und bestimmt war es auch von Vorteil, sie erst einmal in Sicherheit zu wiegen, bevor sie sich mit ihr anlegte.
»In Ordnung, ich nehme Ihre Entschuldigung an«, sagte Susanne. Es war nichts passiert, und Veronika Mittermeyer hatte offensichtlich ihren Fehler eingesehen. Es gab also keinen Grund, sie zurückzuweisen.
»Würde mich jemand aufklären, um was es hier geht?«, bat Leonhard.
»Ich hätte Frau Gärtner vorgestern beinahe angefahren, aber sie hat glücklicherweise schnell reagiert und sich in Sicherheit gebracht. Ich gelobe hier und jetzt Besserung. Es war mir eine echte Lehre. Sind Sie eine Kundin von Leonhard?«, stellte sie sich unwissend.
»Ich bin die neue Imkerin«, entgegnete Susanne höflich.
»Ach, das ist ja interessant, dann werden wir uns in Zukunft öfter sehen. Meine Familie beliefert die Brauerei Schwartz schon seit ewigen Zeiten mit Hopfen. Leonhard und ich sind gute Freunde, beinahe wie Geschwister«, erklärte Veronika zu Leonhards Überraschung.
»Sie bluten.« Susanne machte sie auf das Blut aufmerksam, das auf ihre Schulter tropfte.
»Oh, Gott«, stöhnte Veronika, »das muss passiert sein, als ich gerade im Treppenhaus ausgerutscht bin«, sagte sie, weil ihr auf die Schnelle nichts anderes einfiel.
»Zeig mal.« Leonhard schob ihr Haar vorsichtig zur Seite. »Das sieht nach einer Platzwunde aus, die muss behandelt werden.«
»Gut, dann bring mich zu Doktor Seefeld.«
»Das würde ich gern tun, aber ich habe in zehn Minuten eine Besprechung.«
»Ich könnte Sie fahren«, schlug Susanne vor. Sie hatte am Morgen noch das Reformhaus in der Nachbargemeinde mit Honig beliefert und war mit dem Auto zur Arbeit gekommen.
»Das nehme ich gern an«, sagte Veronika. Sehr gern sogar, dachte sie.
»Schließt du noch das Lager ab?«, wandte sich Susanne an Leonhard.
»Das mache ich«, versicherte er ihr.
»Ich fühle mich auf einmal ein bisschen wacklig. Darf ich mich bei Ihnen unterhaken, Frau Gärtner?«, fragte Veronika.
»Aber ja«, antwortete Susanne freundlich.
»Gehört Ihnen die Imkerei?«, erkundigte sich Veronika und spielte die Erstaunte, als sie sich auf den Beifahrersitz des gelben Twingos setzte, auf dessen Türen ›Imkerei Gärtner‹ geschrieben stand.
»Ich habe die Imkerei vor kurzem geerbt«, antwortete Susanne, während sie den Parkplatz der Brauerei verließen.
»Eine kleine Imkerei, die nicht viel abwirft, nehme ich an. Ich meine, weil sie doch für Leonhard arbeiten.«
»Im Moment wirft sie nicht viel ab, das stimmt.«
»Sie wollen sie vergrößern?«
»Ja, vielleicht, irgendwann.«
»Vielleicht klingt, als wäre es kein festes Vorhaben.«
»Ich will einfach abwarten, wie sich alles entwickelt.«
»Alles? Sie meinen geschäftlich und privat?«
»Ich meine, wie mein Leben sich entwickelt«, sagte Susanne und bog in die Auffahrt zur Praxis Seefeld ein. »Geht es?«, erkundigte sie sich, als sie Veronika, die sich ein Taschentuch gegen ihre Wunde presste, aus dem Wagen half.
»Es tut schon ein bisschen weh«, erklärte Veronika und hakte sich wieder bei Susanne unter.
»Ach, du liebe Zeit, was ist denn mit Ihnen passiert, Frau Mittermeyer?« Gerti kam hinter ihrem Tresen hervor, als die beiden gleich darauf die Praxis betraten.
»Ich bin gestürzt, Frau Fechner«, antwortete Veronika und setzte eine Leidensmiene auf. »Du meine Güte, noch so voll«, stellte sie fest, nachdem sie einen Blick ins Wartezimmer geworfen hatte.
Obwohl es fast ein Uhr war, saßen noch einige Patienten dort und warteten geduldig darauf, an die Reihe zu kommen.
»Montags ist hier immer so viel los, da können wir die Mittagspause so gut wie vergessen«, seufzte Gerti.
»Ich muss mich aber nicht dort einreihen. Ich bin ein Notfall, ich blute, außerdem bin ich Privatpatientin«, verkündete Veronika.
»Sie sind ein Notfall, stimmt, wie sie versichert sind, spielt in einer Schicki-Micki-Praxis in der Stadt sicher eine Rolle, bei uns allerdings nicht.«
»Weil Sie vermutlich keine Privatpatienten haben.«
»Gehen Sie bitte dort in das Zimmer, Doktor Seefeld kommt dann gleich zu Ihnen«, sagte Gerti und überhörte Veronikas Anspielung.
»Ich helfe Ihnen«, erklärte Susanne und begleitete Veronika in das kleine Behandlungszimmer neben dem Sprechzimmer. Sie half ihr, sich auf die Liege zu setzen, und ließ sie dann allein. Sie wollte draußen auf sie warten. »Lassen Sie es sich schmecken«, sagte sie, als sie an Gerti vorbeiging, die sich eine Praline in den Mund steckte und genüsslich kaute.
»Das beruhigt die Nerven«, entgegnete Gerti und wandte sich wieder dem Stapel Krankenakten zu, der auf dem Schreibtisch hinter dem Empfangstresen lag. »Herr Doktor, eine Patientin mit Platzwunde«, sagte sie und deutete auf das Behandlungszimmer, als Sebastian den älteren Herrn, der in seinem Sprechzimmer gewesen war, zu Gertis Tresen begleitete.
»Herr Winter braucht einen Termin zur Blutabnahme und eine Überweisung zum Augenarzt«, sagte Sebastian und überließ Gerti seinen Patienten, nachdem er sich von ihm verabschiedet hatte.
Veronika Mittermeyer? Er wandte sich noch einmal zu Gerti um, nachdem er den Zettel gelesen hatte, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
»Nur Mut«, flüsterte Gerti und lachte in sich hinein.
»Guten Tag, Frau Mittermeyer«, begrüßte Sebastian die junge Frau, die Leonhard als arrogant und zickig beschrieben hatte und die er auch vor ein paar Tagen genauso erlebt hatte, als sie mit ihrem Sportwagen durch Bergmoosbach gerast war. Jetzt in der roten Latzhose und mit dem hochgesteckten Haar sah sie allerdings ganz bodenständig aus.
»Verzeihung, wer sind Sie? Wo ist Doktor Seefeld?«, wollte Veronika wissen und musterte Sebastian von oben bis unten. Schöne Augen, tolle Figur, ausgesprochen anziehend, dachte sie
»Mein Vater hat sich zur Ruhe gesetzt, ich habe die Praxis übernommen. Sebastian Seefeld«, stellte er sich vor.
»Das wusste ich nicht.«
»Kein Problem, darf ich mir die Wunde ansehen?«
»Bitte.« Veronika beugte ihren Kopf nach vorn.
»Wie ist das passiert?«, erkundigte sich Sebastian, während er sich die Verletzung anschaute.
»Ich bin auf der Treppe vor Leonhards Wohnung ausgerutscht.«
»Auf was sind Sie denn gefallen?«
»Auf die Stufen.«
»Diese Verletzung können Sie sich dabei aber nicht zugezogen haben. Sie müssen an einen Metallhaken oder etwas Ähnliches gestoßen sein. Das ist eindeutig zu sehen.«
»Herr Doktor Seefeld, ich habe eine Kopfverletzung, ist es nicht völlig egal, wie ich mir die zugezogen habe? Vielleicht war ja ein Nagel in der Stufe. Müssen Sie vielleicht auch wissen, aus welchem Holz die Treppe gebaut wurde? Wie das Holz behandelt wurde? Vielleicht brauchen wir noch einen Aufkleber, auf dem steht, woher das Holz stammt, welche Informationen