Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
Скачать книгу
sich Emilia zu Wort. »Willst du weiterarbeiten oder machst du auch Schluss für heute? Dann könnten wir doch alle zusammen zu uns nach Hause gehen.«

      »Ich denke, ich arbeite weiter«, entschied die Restauratorin. »Wir sehen uns dann heute Abend.«

      Nachdem sich die Kirche geleert hatte und wieder Ruhe eingekehrt war, suchte die junge Frau das nötige Material zusammen und begann behutsam, den Farben des Engels auf der Wand neues Leben einzuhauchen. Sie arbeitete mit höchster Konzentration und gleichzeitig bemerkte sie, dass etwas in ihr abgelenkt war, auf etwas zu warten schien. Es dauerte eine Weile, bis sie wusste, was es war: Sie lauschte.

      Bisher hatten Klänge ihre Arbeit begleitet. Oftmals war es nur ein einzelner Ton gewesen, den Leander so lange bearbeitete, bis er wieder rein und klar durch das Kirchenschiff hallte. Manchmal hatte es so schräg geklungen, dass sie die Arbeit des Orgelbauers verwünschte und nur ihre Ruhe haben wollte.

      Nun schwieg die Orgel, und Sophia wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Leander dort oben wäre und sie im Gleichklang mit ihm arbeiten könnte.

      *

      »Was für ein Tag!«, seufzte Sebastian Seefeld, als er es sich nach dem Abendbrot in seinem Lieblingssessel auf der Terrasse gemütlich machte. »Zwei Runden Hausbesuche, der übliche Praxisalltag, der Wirbel um das kleine Kletteräffchen und dann noch der Notruf zum Hartung-Hof, Blinddarmdurchbruch! Es ist ja schön und gut, wenn die Leute nicht wegen jedes Wehwehchens gleich zum Doktor rennen, aber der Hartung-Bauer muss tagelang schon furchtbare Bauchschmerzen gehabt haben.«

      »Lass mich raten: Es musste noch Heu gemacht werden, ehe man Zeit für einen Arztbesuch hat?«, mischte sich Benedikt Seefeld ins Gespräch.

      »Du sagst es, Vater!«, seufzte Sebastian und ließ sich das wohlverdiente Feierabendbier schmecken.

      »Kommt es denn häufig vor, dass Patienten hier zu spät zum Arzt gehen?«, erkundigte Sophia sich.

      »Nicht gerade häufig, aber wir kennen dieses Verhalten schon. Die Arbeit vieler Menschen hier ist vom Wetter abhängig, da überlegt man es sich zweimal, ob und wann man zum Arzt gehen kann.«

      Sophia musterte den älteren und den jungen Doktor, die ihr gegenüber saßen. Sie wirkten so ausgeglichen und in sich selbst ruhend. Obwohl sie schwere Berufe hatten, liebten sie ihre Arbeit.

      »Die Menschen hier können glücklich sein, von solchen Ärzten versorgt zu werden«, sagte Sophia aufrichtig.

      »Das Kompliment können wir von ganzem Herzen zurückgeben!«, erwiderte Benedikt Seefeld charmant. »Was wäre unsere Kirche ohne Ihre Arbeit. Und wenn Sie schon längst abgereist sind, wird etwas von Ihnen hier bleiben und die Zeit überdauern.«

      So lange, bis der nächste Depp auf die Idee kommt, das Wandgemälde zu übertünchen!, dachte Traudel im Stillen. Ihr Blick hing an Benedikts Gesicht, während er mit Sophia sprach. Jede feine Lachfalte um die dunklen Augen unterstrich die Wärme seines Blickes, und sein Lächeln war so liebenswürdig, dass Traudels Herzschlag sich auch nach vierzig Jahren stiller Liebe noch beschleunigen konnte.

      Beruhigenderweise schien sein Charme auf die italienische Malerin eine andere Wirkung zu haben, sie lächelte nur freundlich und etwas zerstreut. Ihr Blick glitt über den Garten, über dem die Abenddämmerung heraufzog. »Es ist noch so schön draußen, ich glaube, ich werde noch einen Spaziergang machen.«

      »Dann können wir zusammen gehen«, sagte Emilia freudig. »Wir nehmen Nolan mit und drehen eine Abendrunde.«

      »Das ist nett von dir, Emilia, aber ich möchte lieber allein gehen«, antwortete Sophia freundlich.

      »Oh! Entschuldigung!« Das Mädchen wurde dunkelrot. »Ich …, ich wollte nicht aufdringlich sein!« Sie wirkte so verlegen wie nur eine Vierzehnjährige sein kann, die meint, in ein dickes Fettnäpfchen getreten zu sein.

      »Du bist überhaupt nicht aufdringlich, Emilia«, beruhigte die Künstlerin sie, »sondern sehr freundlich. Nur würde ich heute eben lieber ohne Begleitung spazieren gehen.« Mit einem freundlichen Kopfnicken wünschte sie gute Nacht und verabschiedete sich.

      Ihre Gedanken waren im Laufe des Nachmittags immer öfter zu Leander gewandert, und sie musste ihn ganz einfach sehen. Es war nicht nur ihre Sorge um ihn, die sie jetzt aus der netten Gesellschaft hinausgetrieben hatte, es war Sehnsucht, erkannte Sophia. Sehnsucht nach seinen dunklen Augen, dem Drei-Tage-Bart, dem Lächeln, das sein stilles Gesicht aufleuchten ließ. Sehnsucht nach seiner Stimme, die sanft und einfühlsam klingen konnte.

      Nachdem die junge Frau zunächst ziellos und in Gedanken versunken durch den Ort gegangen war, schlug sie jetzt die Richtung zu Leanders Hotel ein, höchstwahrscheinlich würde sie ihn dort antreffen. Ungeduldig beschleunigte sie ihre Schritte, aber an der Rezeption des Hotels erlebte sie eine Enttäuschung.

      »Herr Florentin ist nicht im Haus«, teilte ihr Shakira Plaschke mit. Das Donnerwetter ihrer Chefin schien gewirkt zu haben, denn dieses Mal war die junge Frau freundlicher und auskunftsbereiter. »Herr Florentin ist am frühen Nachmittag hier gewesen und hat kurze Zeit später das Hotel wieder verlassen.«

      »Danke.« Sophia überlegte. Sie erinnerte sich, wie ausgelaugt Leander gewesen war. Vielleicht hatte er geduscht, sich umgezogen und dann das Zimmer wieder verlassen? Sie hoffte, dass er nicht zu einem weiten Spaziergang oder einer Wanderung aufgebrochen war, dann würde sie ihn nicht finden. Es fiel ihr nur ein Ort ein, an dem sie ihn vielleicht antreffen konnte.

      Leanders alter Wagen war abseits des Pfarrhauses, geschützt durch eine Hainbuchenhecke, auf einer Wiese abgestellt. Langsam näherte sich Sophia dem Gefährt. Sie sah, dass alle Fenster unbeleuchtet waren, und neue Enttäuschung stieg in ihr auf. Sollte Leander nicht hier sein, an diesem sehr persönlichen Rückzugsort? Die junge Frau umrundete die Hecke und atmete unbewusst erleichtert auf. Auf dem hölzernen Treppchen, das zur geöffneten Eingangstür führte, saß Leander. Die Dunkelheit wurde nur vom Licht einer einzelnen Laterne erhellt, die ein wenig abseits im Gras stand.

      »Guten Abend, Leander«, grüßte sie leise.

      Er schaute auf; nicht überrascht, sondern eher so, als hätte er sie erwartet. »Guten Abend, Sophia.«

      »Störe ich dich oder kann ich mich zu dir setzen?«

      Als Antwort rutschte der Mann zur Seite und deutete einladend mit der Hand neben sich.

      »Danke!« Die Stufen waren nicht sehr breit, und Sophia saß so dicht neben dem Mann, dass sich ihre Schultern leicht berührten. Wieder war da sein Duft nach Sandelholz, so seltsam vertraut nach dem ersten Abend, an dem sie sich das Bad geteilt hatten.

      »Geht es …, hast du den heutigen Tag gut verkraftet?«, fragte die junge Frau behutsam.

      Leander nickte wortlos und griff nach einer Flasche, die auf einem Tischchen in der Dunkelheit neben ihm stand. Er schenkte samtigen Rotwein in einen Silberbecher und reichte ihn der Künstlerin. »Ich hatte gehofft, dass du kommst«, sagte er leise.

      Sie trank einen Schluck und überließ sich dem weichen, fruchtigen Geschmack des Weines. Es war ein edler Tropfen, und er passte in seiner dunklen Weichheit zu der warmen Sommernacht.

      »Ich …, ich wollte mich bei dir entschuldigen«, fuhr Leander fort. »Ich war vorhin in der Kirche nicht gerade freundlich zu dir, das tut mir leid.«

      »Das ist schon in Ordnung. Bei uns allen lagen die Nerven blank, mach dir deswegen keine Gedanken.«

      »Ich weiß, es ist lächerlich, sich davor zu fürchten, auf ein Gerüst zu klettern, das noch nicht einmal besonders hoch ist. Wenn du in einer Kathedrale arbeitest, bist du doch ganz andere Höhen gewohnt.«

      »Es ist niemals lächerlich, sich vor etwas zu fürchten!«, antwortete Sophia ernst. »Und hat nicht jeder Mensch irgendwelche Ängste? Ich werde zum Beispiel niemals tauchen! Der Gedanke, unter Wasser nicht wie gewohnt durch die Nase atmen zu können, jagt mir furchtbare Angst ein. Ich habe deswegen schon Streit mit guten Freunden gehabt, die begeisterte Taucher sind und auch leidenschaftlich gern schnorcheln. Wir haben zusammen Urlaub in Ägypten verbracht,