»Madame Veronique scheint sich mit seiner Eminenz d’Illiers ganz gut auszutauschen«, schmunzelte de Sanslieu, denn die beiden älteren Herrschaften prosteten einander während ihres Gesprächs eifrig zu. Wieder erlahmte das Gespräch. Duc Raphael erhob sich und deutete eine kleine Verbeugung vor dem Marquis an: »Ich werde mich des Pater Polycarp ein wenig annehmen. Er wirkt recht niedergeschlagen.«
Erleichtert ging er zu dem Pfarrherrn, der am Fenster stand und von Baron de Bonarbre getröstet wurde. Neben seinem Freund Julien fühlte sich der Duc sofort lockerer, außerdem gab es hier nichts weiter zu tun als zuzuhören.
»Seit über zehn Jahren bin ich Pfarrherr zu Chartres und diene dem Herrn und meinen mir anvertrauten Seelen nach bestem Wissen und Gewissen. Und nun soll ich innerhalb des nächsten Mondumlaufs die Pfarre in Orléans übernehmen, um Platz für einen einsiedlerischen Mitbruder aus der Bretagne zu machen. Das verstehe, wer will. Gehorsam schön und gut, aber was soll dieser Klausner in einer so großen Pfarrgemeinde? Und warum entscheidet mein Abt in Paris über Angelegenheiten, die er gar nicht kennt?«, jammerte Pater Polycarp.
»Es fällt mir auch immer schwer, wenn ich vertraute Menschen meines Umfelds verliere und mich an neue gewöhnen muss. Ihr werdet uns fehlen, Pater Polycarp«, gestand Duc Raphael ehrlich.
»Wie ich Euch kenne, mon père, werdet Ihr mit Eurer einfühlsamen Seelsorge in Orléans bestimmt bald gute Kontakte knüpfen und die Gemeinde von Eurem Wohlwollen überzeugen«, sagte Baron de Bonarbre. Die Worte der beiden vermittelten dem Benediktiner etwas Zuversicht. Madame Veronique gab ihrem Sohn unbemerkte Zeichen, dass einer der Gäste ohne Unterhaltung war. Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Marquis de Sanslieu, der entspannt im Sessel lehnte und an die Decke starrte. Als er die kunstvollen Einlegearbeiten an den Fensterrahmen entdeckte, stand er auf, um auch diese zu betrachten. Notgedrungen stellte sich der Duc wieder zu ihm und überlegte erneut, wie er ein Gespräch in Gang bringen könnte. Sie standen abseits der anderen, schauten ihnen bei ihren Gesprächen zu, lächelten, als Madame Agnès mit Monsieur Jardinverde laut auflachte, offenbar hatten diese beiden ausreichend Gesprächsstoff gefunden. Endlich fiel Raphael wieder eine Frage ein,
»Und? Madame de Sanslieu samt Nachkommenschaft sind wohlauf?«
Der Marquis lächelte amüsiert.
»Bemüht Euch nicht, Mon Seigneur. Es macht mir nichts aus, dieser freundlichen Gesellschaft schweigend anzugehören, im Gegenteil. Und auf Eure Frage; ich hatte in meinem Leben immer viel zu erledigen, darum blieb mir die Freude, eine so liebreizende Gefährtin zu finden, wie Ihr sie an Eurer Seite wisst, leider verwehrt, denn mit weniger als wahrer Liebe hätte ich mich nicht zufriedengegeben, dazu ist mir meine Freiheit zu wichtig.«
»So lebt Ihr also abstinent wie ein Mönch?«
Der Duc wunderte sich selbst über die Dreistigkeit seiner Frage, aber der Marquis strahlte Lebenserfahrung und Güte aus, das musste ihn verleitet haben. Dieser lachte herzlich und schüttelte den Kopf.
»Oh! Von ›Mönch‹ keine Spur, wenn ich so frei sein darf, mich offen zu äußern.«
»Ich bitte darum!«
»Ich darf dankbar auf verschiedene schöne Begegnungen zurückblicken, auch auf Freundschaften mit wunderbaren Frauen. Und es kümmerte mich nie, ob diese von adeliger Herkunft stammten oder nicht. Aber eine Eheschließung kam aus verschiedenen Gründen nicht infrage.«
Raphaels Blick war eine einzige Frage. Wieder lächelte sein Gesprächspartner mit der Selbstsicherheit des weltoffenen Mannes.
»Nun ja, wenn die geliebte Freundin bereits in einer erzwungenen Ehe gefangen ist, bleibt einem nur die Freude an möglichst vielen schönen, aber heimlichen Begegnungen.«
Seine Schwägerin mit dem Neugeborenen im Arm fiel ihm ein und es kam ihm der Gedanke, als sei sie die Frau gewesen, an die er sich hätte binden wollen, wenn es denn möglich gewesen wäre. Er lächelte bei dieser Erinnerung, musste aber auch über sich selbst schmunzeln, da er nach all den Jahren noch immer an das Mädchen mit dem Säugling dachte. Sie hatte ihn verzaubert. Raphael indessen verschlug es ob so direkter Ehrlichkeit die Sprache, was Daniel sofort bemerkte.
»Verzeiht, Mon Seigneur, aber man sagt sich, Ihr seid einer der tolerantesten Herrscher des Landes und kein Vertreter enger kirchlicher Moral. Natürlich würde ich bestimmten Herrschaften hier nicht so offen begegnen, wie ich mir Euch gegenüber die Freiheit genommen habe.«
Bei diesen Worten verneigte sich der Marquis leicht und ließ seinen Blick für einen winzigen Augenblick zu Baron de Bonarbre wandern. Raphael fühlte sich vollkommen durchschaut und gleichzeitig zutiefst in seiner Art des Empfindens angenommen. Dieser Marquis de Sanslieu hatte eine ähnlich verständnisvolle, bejahende Art, Menschen zu begegnen, wie seine Gemahlin Agnès.
»Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Marquis, und hoffe, wir werden künftig noch oft Gelegenheit finden, uns auszutauschen.«
»Das würde mich freuen, Mon Seigneur! Allerdings weiß ich noch nicht, wo ich mich selbst ansiedeln werde, wenn ich das Anwesen an die Familie Jardinverde verkaufe.«
»Aber die Lehen solltet Ihr doch weiter verwalten, Marquis. Soweit ich unterrichtet bin, gedeihen Eure Gemeinden und Eure Vasallen dienen Euch gern. Die Familie aus Valencia wird keine Lehen bekommen und sich um hörige Bauern und deren Ernteabgaben kaum kümmern wollen, schließlich hat sie mit dem Handel genug zu tun. Es geht ihr nur um die prächtige Burg mit dem Park davor.«
»Eure Worte ermutigen mich, ich danke Euch, Mon Seigneur. Tatsächlich würde ich die Gegend ungern verlassen, obwohl ich so viele Jahre heimatlos war, aber, wie gesagt, frei. Ich strebe nicht danach, einen Palast zu bewohnen, aber einen Landsitz nahe Chartres, das wäre doch fein. Die Lehen kann ich auch von einem kleineren Besitz aus verwalten.«
»Besitz belastet, meint meine Gemahlin oft. Manchmal denke ich, sie könne auch in einem überdachten Karren leben, wenn sie nur täglich genug Sonne und Wind abbekäme.«
»Ihr seid zu beglückwünschen, eine Gefährtin wie Madame Agnès an der Seite zu haben.«
Mit bejahendem Lächeln nickte Raphael seinem Gesprächspartner zu.
Dann war der Zeitpunkt gekommen, anstehende Angelegenheiten geordnet durchzugehen. Man nahm rund um den großen Tisch Platz. Duc Raphael de Valois leitete die Besprechung mit der Aufforderung ein, Allgemeines gleich mitzuteilen, um sich anschließend nur dem Verkauf der Burg de Sanslieu zu widmen. Zunächst meldete Pater Polycarp den baldigen Wechsel in der Pfarrverwaltung zu Chartres. Außer Bischof d’Illiers hörte kaum jemand aufmerksam zu, weil die Kirche ohnehin meist unabhängig agierte. Danach kam wie so oft das leidige Thema der Forstverwaltung zur Sprache. Es ging dabei nicht nur um Jagdrechte, sondern auch darum, ob Förster ihren untergebenen Bauern Fällungen für Bauvorhaben erlauben durften. Das größte Anliegen, nämlich der Verkauf einer Burg an einen nicht adeligen und nicht einmal christlichen Käufer, wurde nur kurz umrissen, um am folgenden Tag konkrete Entscheidungen treffen zu können. Jeder Anwesende möge sich Gedanken darüber machen. So dauerte das Treffen bis zum späten Nachmittag, wo man nach dem festlichen Bankett ein wenig in den Parkanlagen lustwandelte. Weiter entfernt konnte man die Stallungen ausmachen, auch einige kleinere Gesindebauten mit Gärten und Gehegen für Kleintiere. Kinder liefen dort herum. Die Prinzessin war eines von ihnen. Man erkannte sie bloß an der Kleidung und Anouks Begleitung.
»Hoffentlich sieht meine Mutter nicht, dass unsere Tochter schon wieder mit den Kindern des Gesindes spielt«, raunte Raphael seiner Gemahlin zu.
Daniel de Sanslieu schmunzelte, als er das hörte, und beobachtete die Prinzessin, die sich gerade hinter einem Strauch versteckte. Der junge Schreiber Jean de Bouget, welcher die wichtigsten Punkte der Verhandlungen notierte, lächelte ebenfalls beim Anblick der spielenden Kinder. Auch Baron de Bonarbre versuchte unbemerkt zu beobachten, was die Prinzessin machte. Claudine wusste, dass sie nicht zu ihren Eltern laufen durfte, während diese mit den Gästen sprachen, und winkte nur von ferne.