Esmeraldas Geheimnis. Karoline Toso. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karoline Toso
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956691386
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junge Duchesse etwas verspätet erschien. Diener standen wie Statuen neben den Anrichten. Schon wollte Madame Veronique wegen der Verspätung zu einer Bemerkung ansetzen, doch bald würden die Gäste eintreffen. Es war Madame Agnès zuzutrauen, dieser wichtigen Gesellschaft in letzter Sekunde fernzubleiben, würde sie sich jetzt aufregen. Bereits den Unterricht durch eine Dominikanerin durchzusetzen war ein harter Kampf gewesen. Erstaunlich, wie dominant dieses zierliche Geschöpf sein konnte und wie milde sich der Duc an ihrer Seite gab.

      Madame Agnès knickste vor ihrer Schwiegermutter, nickte de Bonarbre und de Bouget grüßend zu und küsste ihren Gemahl vertraut auf die Lippen. Wie so oft verschlug es Madame Veronique dabei kurz den Atem. Sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass ihre Schwiegertochter absichtlich dermaßen ungeniert agierte. Anscheinend legte sie es darauf an, alle Welt zu brüskieren.

      Plötzlich schwang die Tür auf. Claudine hing am Türgriff, weil sie ihn nur durch einen Sprung erreichte.

      »Die Bibel ist für heute fertig. Wollt ihr mit zur Linde kommen?«, rief sie und blickte an der Tür schaukelnd alle Anwesenden an.

      »Nachdem die Gäste noch nicht eingetroffen sind …«, freute sich Agnès, nun doch mit ihrer Tochter ein wenig auf die Wiese gehen zu können.

      »Als gäbe es im Augenblick keine anderen Pflichten«, ärgerte sich Madame Veronique.

      Agnès blickte ihren Gemahl fragend an.

      »Kommt bitte bald zurück, Madame, und grüßt mir die Linde«, lächelte Raphael. Claudine war längst vorausgelaufen. Anouk wagte gar nicht erst hereinzublicken, denn es war ihr wieder einmal nicht gelungen, das Kind fernzuhalten. Etwas sehnsüchtig blickte Julien in Richtung Tür.

      Mit ausgestreckten Armen drückte sich das Kind an den Baum. Wange und Ohr an die raue Rinde gepresst, schien es mit geschlossenen Augen zu lauschen.

      »Komm und höre, was Gott mir zu sagen hat«, flüsterte es, ohne die Augen zu öffnen, als sich Anouk näherte. Sie umarmte die Linde neben ihrem Schützling. So verharrten sie eine Weile.

      »Dauert es noch lange?«, wollte Anouk endlich wissen.

      »Pst!«

      Es blieb der Zofe nichts anderes übrig, als dem prächtigen Konzert der Vögel zu lauschen, den frischen Morgenwind zu spüren, das warme Holz und den betörenden Duft der Linde, die in diesem Jahr besonders früh blühte. Als sich jemand neben ihr ebenfalls an den mächtigen Stamm lehnte, öffnete Anouk die Augen. Es war Madame Agnès in prächtiger Robe und edlem Geschmeide. Lächelnd lauschten die drei, bis Claudine meinte, Gott habe ihr Freude für den ganzen Tag geschenkt. Dann umarmte das Kind seine Mutter.

      »Du duftest fast so gut wie die Linde«, meinte es. Agnès lachte laut auf.

      »Verbring einen wunderschönen Tag, vielleicht sogar bei den Hühnern«, antwortete sie und küsste ihre Tochter auf die Stirn.

      »Was für ein besonderer Tag, heute grüßen wir die Linde bereits zum zweiten Mal. Vor dem Unterricht mit Baron de Bonarbre und jetzt mit Euch«, wunderte sich Anouk.

      »Ihr wart mit de Bonarbe so früh da draußen?« Anouk nickte. Nachdenklich ging Agnès wieder hinauf.

      Monsieur Ruben Jardinverde war bereits anwesend und erhob sich, als Agnès den Empfangssaal aufs Neue betrat. Er verneigte sich tief.

      »¡Bienvenido, Señor Jardinverde! Me alegro poder saludaros aquí!«

      »¡El honor es de mi parte, Madame!«

      »¡Levantense por favor!«

      Lächelnd richtete sich Monsieur Jardinverde auf und blickte die junge Duchesse vertrauensvoll an. Seine Augen wirkten sanft, ein wenig schwermütig, goldbraun und mandelförmig. Er war nur um wenig größer als sie und somit bedeutend kleiner als der Duc, dennoch ging von ihm eine Autorität aus, die bezwang. Doch sie erdrückte nicht. Vielmehr hatte Agnès das Gefühl, als würde sie sich diesem Mann jederzeit anvertrauen können. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ihr war, als seien sie einander bereits früher einmal begegnet. Sein Gewand war kunstvoll bestickt, edle Stoffe in elegantem, aber dezentem Schnitt. Auch die Farben und der Faltenwurf seines Mantels zeugten von Reichtum und Geschmack, ohne dabei eine Etikette zu verletzen, die nur der Aristokratie vorbehalten war, wie etwa goldene Schnallen, diamantbesetzte Knöpfe oder ein Siegelring. Was er ausstrahlte war Freiheit und Selbstbestimmung. Agnès beneidete ihn fast ein wenig darum.

      Bald darauf betrat Marquis Daniel de Sanslieu, begleitet vom Stadtvogt, Baron de Claireleau den Saal. Gemeinsam hatten sie zuvor im Palast de Claireleau über den möglichen Verkauf seiner geerbten Burg diskutiert. Der Pfarrherr, Pater Polycarp von den Benediktinern, wirkte bedrückt, als er gemeinsam mit dem greisen Bischof Milon d’Illiers kurze Zeit später Duc Raphael, dessen Gemahlin und Mutter begrüßte. Zunächst unterhielt man sich ungezwungen. Der Beginn konkreter Verhandlungen sollte später folgen und danach ein feierliches Bankett. Agnès sprach vorwiegend mit Monsieur Jardinverde, den sie von der ersten Sekunde an ins Herz geschlossen hatte. Außerdem freute es sie, nach so langer Zeit wieder Spanisch sprechen zu können. Die Erinnerung an ihre Kindheit in Spanien tat ihr gut. Dort waren sie und ihre Madre mit der Zigeunertruppe durchs Land gezogen, hatte ihr Siegeszug als La Esmeralda begonnen, die die Herzen der Menschen auf allen Marktplätzen im Sturm erobert hatte.

      Madame Veronique war froh darüber, ihre Schwiegertochter und Monsieur Jardinverde eine gute Konversation führen zu sehen, denn sie konnte sich nicht ausreichend um ihren langjährigen Freund aus Valencia kümmern, Bischof d’Illier suchte nämlich das Gespräch mit ihr. Als ehemals enger Vertrauter König Ludwigs XI. war er eher gegen die Ansiedlung jüdischer Familien in Chartres. Seit der Inthronisation Karls VIII. geriet er aber politisch von dessen Vormund zunehmend unter Druck und wollte sich die Gunst und Unterstützung der Duchesse sichern.

      Alle waren in mehr oder weniger bedeutende Gespräche verwickelt, nur Duc Raphael und Marquis Daniel de Sanslieu starrten Löcher in die Luft. Beide galten als zurückhaltend, wobei der Maquis erst seit wenigen Jahren wieder auf seiner elterlichen Burg residierte und zuvor nicht auffindbar gewesen war. Der wesentlich ältere Bruder, Alfons de Sanslieu, hatte sich nach dem Tod des Vaters mit ihm überworfen und ihn kurzerhand der Burg verwiesen. Die Skandale um Alfons wurden legendär und waren für ganz Chartres eine Schande. Sein Umgang mit den vier Gemahlinnen mochte zwar grausam gewesen sein, war aber Familienangelegenheit, niemand wollte sich da einmischen, auch der Pfarrherr zu Chartres nicht. Dass aber so manch anders denkende Lehensherr früher oder später auf verdächtige Weise ums Leben gekommen war, erzeugte bald eine geschlossene Gegnerschaft, die dem Despoten bei einem seiner vielen Saufgelage zum Verhängnis wurde. Vor mehr als 20 Zeugen hatte Alfons de Sanslieu einen seiner Gäste beim Streit mit dem Messer angegriffen, dieser war zur Seite gewichen, wobei der Maquis mit der Stirn gegen den Rost seines Kamins gestoßen und wenige Stunden darauf an den Folgen der Verletzung verstorben war.

      »Seit Jahrhunderten gilt Eure Burg als Wahrzeichen der Stärke und als Sinnbild Eurer langen Ahnenreihe. Warum wollt Ihr sie denn verkaufen?«, fiel Duc Raphael endlich eine dem Anlass relevante Frage ein.

      »Ich fühle mich dort nicht wohl«, entgegnete der Marquis knapp.

      Wieder vergingen mehrere Minuten gemeinsamen Schweigens. De Sanslieu betrachtete die geschnitzte Decke, der Duc beobachtete seine Gemahlin, wie gewandt sie jederzeit mit jedem ins Gespräch kam. Sie an seiner Seite zu wissen vermittelte ihm ein Gefühl der Geborgenheit, mit ihr zu regieren verlieh ihm Stärke.

      »Kennt Ihr Monsieur Jardinverde schon länger?«, wollte der Duc eigentlich nicht wissen, sondern einfach nur irgendwie die Einsilbigkeit überbrücken.

      »Ich sehe ihn heute zum ersten Mal. Es war Madame Veronique, die mich angesprochen hatte, ob ich denn auch an einen jüdischen Händler verkaufen wolle, denn dass ich die Burg loswerden möchte, ist allseits bekannt.«

      Duc Raphael räusperte sich. An ihm war diese große Entscheidung vorübergegangen. Wieder einmal bestätigte sich der Vorwurf seiner Mutter, dass ihn nämlich Angelegenheiten seines Wirkungskreises zu wenig interessierten.

      »Es