Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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fest im Griff.

      Sie aß das Sandwich im Stehen am Küchenfenster und schaute auf die Einfamilienhäuser gegenüber, die versetzt an einen Hang gebaut waren und genau wie ihr Haus zur Bergmoosbacher Neubausiedlung gehörten. Alle waren im alpenländischen Stil erbaut, weißer Verputz, rote Dachschindeln und aus Kiefernholz gedrechselte Balkongeländer. Die Gärten waren terrassenförmig angelegt, aber kleiner als die auf ihrer Seite der Straße, die an der Rückseite der Häuser an einen Feldweg grenzten.

      Manchmal beobachtete Fenja das Treiben draußen vor ihrer Tür und wünschte sich, noch einmal ein Kind sein zu dürfen, ohne Sorgen und ohne diese Ängste, die sie schon so lange daran hinderten, am Leben außerhalb ihrer Sicherheitszone teilnehmen zu können. Hin und wieder wechselte sie ein paar Worte über den Gartenzaun hinweg mit den Hindelangs, ihren Nachbarn von gegenüber. Die Hindelangs waren erst vor einiger Zeit aus Hannover ins Allgäu gezogen, was gerade ihrer Tochter Doro am Anfang nicht gefiel.

      Inzwischen hatte sie viele neue Freunde gefunden und war froh darüber, dass ihr Vater damals die Stelle als Filialeiter der Sparkasse in der Kreisstadt angenommen hatte. Ihre Mutter hatte vor einigen Wochen die von ihr heißersehnte Stelle als Kindergärtnerin in Bergmoosbach bekommen, was die Verbundenheit der Hindelangs mit dem Dorf noch weiter stärkte. Würde ich mich nach draußen wagen, hätte ich mir sicher auch einen neuen Bekanntenkreis aufbauen können, dachte Fenja. Es machte sie traurig, dass es nicht so war.

      Als sie zurück in ihr Arbeitszimmer ging, dachte sie wieder daran, dass sie Pascal zum Krankenwagen begleitet hatte, und fragte sich, ob sie vielleicht schon weiter war, als sie bisher angenommen hatte. Immerhin hatte sie das Grundstück verlassen, ohne es überhaupt zu bemerken. Offensichtlich war ihr das Gespräch mit Pascal in diesem Moment so wichtig gewesen, dass ihre Ängste keine Chance hatten. Vielleicht sollte ich mich öfter mit ihm unterhalten, dachte sie lächelnd. »Unsinn, von was träume ich denn«, sagte sie leise. Pascal war ein unternehmungslustiger Mann, er würde sich nicht für eine Frau interessieren, die es nicht einmal schaffte, allein einkaufen zu gehen.

      So wie sie es mit ihm ausgemacht hatte, schickte sie ihm eine SMS: »Gute Besserung, Fenja«, schrieb sie. Sie war gespannt, ob er ihr antworten würde.

      *

      Kendra fuhr im Schritttempo durch die abgemähten Weizenfelder hinter dem Haus der Kirchners. Sie bremste das Fahrrad immer wieder ab und schaute sich um. Aber die Drohne war nirgendwo zu sehen. Mit dem Fernglas, das sie bei sich hatte, konnte sie die stoppeligen Felder gut überblicken. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welche Anstrengungen sie die Suche ein paar Wochen zuvor gekostet hätte, als der Weizen noch hoch auf den Feldern stand.

      »Ich brauche ein System«, flüsterte sie und setzte das Fernglas wieder ab. Sie legte es in den Einkaufskorb, der auf dem Hinterrad des türkisfarbenen Rades befestigt war, und zog ihr Handy aus der Jeanstasche. Sie loggte sich in das Internet ein, ließ sich eine Karte des Gebietes anzeigen und markierte die Strecke, die sie die Drohne hatte fliegen lassen. Wenn sie nicht ganz falsch lag, musste die Drohne genau über einem Waldstück in Pascals Schirm geflogen sein. Vielleicht war sie aber auch in den Bach gestürzt, der an den Feldern entlang in Richtung Dorf rauschte, oder in einen Garten in der Nachbarschaft.

      Bei dem Gedanken, jemand könnte die Drohne vor ihr finden, wurde ihr ganz heiß. Einen Absturz auf einen weichen Boden würde sie auf jeden Fall überstanden haben. Ihre einzige Hoffnung war, dass sie auf einem Felsen aufgeschlagen war und zerstört wurde, dann konnte niemand mehr das Filmmaterial sichten.

      Dass ein Paraglider über Bergmoosbach abgestürzt war, würde sich schnell herumsprechen. Ein Fluglehrer kannte viele Leute, die wieder viele Leute kannten. Falls jemand die Drohne fand und sie noch funktionierte, würden die Filmaufnahmen verraten, wo sie gestartet war. Die Spur würde unweigerlich zu Fenja und schließlich zu ihr führen.

      Schließlich überzeugte sie sich davon, dass die wahrscheinlichste Absturzstelle im Wald zu vermuten war. Um in das Waldstück zu gelangen, musste sie die Straße zur Jugendherberge hinauffahren, die sie nur über die Brücke hinter dem Rathaus erreichte. »Also dann«, murmelte sie und machte sich auf den Weg.

      Ziemlich protzig für ein Dorf, dachte sie, als sie an dem imposanten Gebäude mit seinem prächtigen Portal und dem hochaufragenden Turm vorbeikam. Sie zuckte verächtlich mit den Schultern, als sie auf den bevölkerten Marktplatz gegenüber schaute. Die Häuser mit ihren Lüftlmalereien, der alte Brunnen, die historischen Straßenlaternen, alles erschien ihr künstlich und nur für Touristen erschaffen. Das Messingschild, das am Brunnen befestigt war und darauf hinwies, dass er 1759 von einem Johannes Schwartz gestiftet wurde, ignorierte sie.

      Hätte sie nicht diese Mission mit der Drohne erfüllen wollen, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, länger als einen Tag in diesem Dorf zu verbringen. Ein Dorf hatte einfach nichts zu bieten. Obwohl, wenn man hier einen Grund hat, zum Arzt zu gehen, dann hat es schon etwas zu bieten, dachte sie schmunzelnd.

      »Geht’s noch?!«

      »Verzeihung«, entschuldigte sie sich und machte einen Schlenker um die Frau in dem weißen Hosenanzug, die sie beinahe mit ihrem Fahrrad gestreift hätte, weil sie an Sebastian Seefeld gedacht hatte.

      »Alles gut, Miriam?«, erkundigte sich der Mann in dem eleganten Anzug, der aus dem Rathaus kam und die Treppe hinuntereilte.

      »Es ist mir nichts passiert, Harald«, sagte Miriam Holzer, die Erbin des Bergmoosbacher Sägewerks, und warf ihre langen blonden Locken zurück.

      »Manche Leute kennen nur sich«, schimpfte Harald, als Kendra sich noch einmal umdrehte, bevor sie in den Weg neben dem Rathaus einbog.

      »Lass es gut sein, gehen wir weiter«, bat Miriam ihren Assistenten, der ihr beruflich und privat immer zur Seite stand.

      »Irgendwo habe ich diese Frau schon gesehen«, sagte Harald und fuhr sich nachdenklich durch sein stufig geschnittenes rotes Haar.

      »Da wir sie nicht kennen, ist sie vermutlich eine Touristin, und die begegnen dir überall hier im Dorf.«

      »Ich denke, ich habe sie nicht in Bergmoosbach gesehen. Es war woanders.«

      »Ist es wichtig für dich herauszufinden, wo das war? Willst du sie gern wiedersehen?«

      »Nein, will ich nicht, vergiss es einfach wieder.«

      »Dann lass uns weitergehen«, sagte Miriam und hakte sich bei Harald unter.

      Eine halbe Stunde später hatte Kendra den Teil des Waldes erreicht, in dem sie die Drohne vermutete. Sie hatte das Fahrrad den halben Weg den Berg hinaufgeschoben, weil es nur ein Dreiganggetriebe besaß und sich für einen steilen Anstieg nicht eignete. Warum sollte sich jemand, der nie das Haus verlässt, auch Gedanken über die Gangschaltung machen, dachte sie und lehnte das Rad an einen Baum neben der schmalen Straße, die zur Burgruine hinaufführte.

      Das wird nicht leicht, dachte sie, als sie auf den bewaldeten Hang schaute, in dem sie nach der Drohne suchen wollte. Die Tannen standen dicht beieinander und ließen nur wenig Licht hindurch. Zusätzlich erschwerte der Farn, der dort überall wuchs, die Suche. »Hilft ja nichts«, murmelte Kendra und stapfte in ihren Wanderschuhen, die sie zu Jeans und Pullover trug, in den Wald.

      *

      Fenja verfiel immer wieder ins Träumen, während sie an ihrem Computer saß und nach sinnvollen Sprüchen suchte, die sich als Glückskeksweisheiten eigneten. Sie stellte sich vor, wie es wäre, Pascal wieder zu sehen, vielleicht sogar mit ihm ausgehen zu können. Bisher hatte er sich noch nicht bei ihr gemeldet, vielleicht war das auch das Beste für sie. Sie würde sein Leben nur komplizieren.

      Später am Nachmittag holte ein älterer Mann, der als Mechaniker am Flugplatz in Garmisch arbeitete, Pascals Gleitschirm ab. Er versicherte ihr, dass es Pascal gutging. Sie wollte sich schon damit abfinden, dass sie von ihm nichts mehr hören würde, als kurz darauf ihr Handy läutete und der Name Pascal auf dem Display aufleuchtete. »Hallo, Pascal, wie geht es Ihnen?«, fragte sie ihn und sah hinaus in den Garten auf die Hecke, auf der er gelandet war.

      »Mir geht es schon wieder ganz gut. Doktor Seefeld hatte recht. Ich habe nur eine