Wichtig war nur, dass der Umsatz möglichst hoch war. Je höher der Umsatz, desto mehr schwarzes Geld konnte man durch ihn hindurch schleusen und zu schneeweißem Kapital machen, mit dem sich ganz legale Geschäfte machen ließen. Und genau darauf waren sie alle aus, die mit illegalen Geschäften ihr Geld machten. Die Drogenbarone ebenso wie die Paten der Müll-Mafia oder Falschgeldhändler, die mit dem Export von falschen Dollar-Noten nach Südamerika oder in die ehemaligen GUS-Staaten ein Vermögen machten.
Das Problem blieb immer dasselbe - und Männer wie James Gutierrez hatten die Lösung dafür.
Die Drogenhändler, die allabendlich im Club herumhingen und ihren Stoff an Rechtsanwälte, Yuppies aus der Wall Street und andere Kunden verhökerten, die bereit waren, für guten Koks etwas mehr auszugeben, als man an den Straßenecken der Bowery oder in der South Bronx dafür hinblättern musste, nahm Gutierrez eigentlich nur in Kauf. Im Grunde stellten sie eine Gefahr für sein Geschäft dar - wenn auch nicht ihn persönlich, denn im Zweifelsfall musste sein Strohmann für alle rechtlichen Folgen den Kopf hinhalten.
Gutierrez waren diese schmierigen Typen, die allabendlich an den Tresen herumhingen oder ihre Hüften zu den Latino-Rhythmen wiegten, die im Buena Vista gespielt wurden, zuwider.
Aber da es die Leute von Benny Duarte waren, dem Koks-König von East Harlem, der es geschafft hatte, so etwas wie der Generalvertreter eines kolumbianischen Drogensyndikats im Big Apple zu werden, konnte James Gutierrez die Koksdealer nicht aus dem Buena Vista und anderen seiner Clubs verbannen. Schließlich war Benny Duarte einer seiner wichtigsten Kunden. Davon abgesehen hatte er mehr Männer unter Waffen als sonst irgendjemand in East Harlem, dem Latino-Viertel von New York, in dem Puertoricaner, Exil-Kubaner, Kolumbianer und Mexikaner lebten. Die Puertoricaner stellen dabei die weitaus größte Gruppe dar. Gutierrez’ Eltern waren auch von der Insel gekommen. Er selbst war allerdings bereits in East oder auch Spanish Harlem geboren worden, das im Süden an Yorkville, im Westen an das schwarze Harlem und im Osten an den East River grenzte.
Richtung Norden trennte es der Harlem River von der South Bronx, die inzwischen ebenfalls eine sehr starke puertoricanische Gemeinde besaß.
Für Gäste hatte das Buena Vista um diese Zeit noch gar nicht geöffnet. Aber bevor der Publikumsverkehr losging, wolle der Boss sich noch etwas amüsieren. Eine Champagnerflasche stand auf dem Tisch. Die Gläser schäumten über und die beiden Girls, die Gutierrez im Arm hielt, schienen bester Laune zu sein.
Rex Hueldez, Gutierrez’ Strohmann stand hinter dem Schanktisch und beobachtete misstrauisch die Szene. Hueldez war Mitte dreißig, hatte dunkel gelocktes Haar und sehr hager. Er hatte bei Gutierrez als Türsteher angefangen. Jetzt konnte er sich Clubbesitzer nennen, auch wenn ihm durchaus klar war, dass er seine Existenz auch jetzt noch zu hundert Prozent Gutierrez verdankte.
„Auf die Zukunft, Muchachas!“, rief Gutierrez, der bereits mehrere Champagnergläser gelehrt hatte.
Die Girls kicherten.
Aber dieses Kichern erstarb von einem Augenblick zum anderen, als die Eingangstür um Buena Vista zur Seite flog.
Ricky Balbo, der breitschultrige und fast zwei Meter große Türsteher des Buena Vista, taumelte durch den Raum und flog der Länge nach zu Boden. Mit einem Fluch auf den Lippen wischte er sich das Blut von der Nase.
Ein unglaublich dicker Mann Anfang vierzig und in einen schneeweißen Maßanzug gekleidet, betrat den Raum. Das blauschwarze Haar war nach hinten gekämmt.
Drei Kerle mit schwarzen Rollkragenpullovern und Bodybuilderfigur begleiteten ihn. Sie trugen Maschinenpistolen vom Typ MP 7 der Firma Heckler und Koch im Anschlag.
„Mister Duarte!“, stieß Gutierrez völlig verblüfft hervor.
Mit allem hätte er jetzt gerechnet, nur nicht damit, dass ausgerechnet Benny Duarte ihm einen Besuch abstattete.
Der Koks-König von East Harlem deutete auf den am Boden liegenden Balbo.
„Lausige Bodyguards beschäftigen Sie, Gutierrez!“, tadelte er den Mann hinter den Champagnergläsern.
Die Girls saßen jetzt auf einmal ziemlich steif da. Ihre Gesichter erbleichten.
Benny Duarte trat näher.
Hueldez machte eine unbedachte Bewegung, die damit quittiert wurde, dass gleich zwei von drei MP7-Läufen auf ihn gerichtet wurden.
„Hey, keine Panik! Am besten, wir bleiben alle ganz ruhig!“, zeterte Hueldez.
Duarte steckte sich eine Zigarre in den Mund und zündete sich an.
„Indem Sie das hier dulden, begehen Sie gerade eine Ordnungswidrigkeit, Hueldez“, lachte Duarte, blies den Rauch in die Luft und lächelte kalt. „Schließlich ist das Rauchen in sämtlichen Lokalen des Big Apple verboten – und bei Zuwiderhandlung wird der Besitzer in Regress genommen!“
„Mister Duarte, ich...“, flüsterte Hueldez, aber der Mann in Weiß bedeutete ihm mit einer kurzen, knappen Geste zu schweigen. „Gehe Sie einfach eine Weile spazieren, klar?“
Hueldez wandte den Blick in Gutierrez’ Richtung.
„Ist schon in Ordnung, Rex!“, sagte dieser.
Duarte versetzte dem am Boden liegenden Türsteher einen Tritt. „Und nehmen Sie diese Stück Scheiße mit, Hueldez! Ich will mich mit Ihrem Boss mal ungestört unterhalten.“
Ricky Balbo bleckte die Zähne wie ein Raubtier. Die obere Reihe war so gleichmäßig, dass sie falsch sein musste. Er ballte die Fäuste.
„Ist schon gut!“, schritt jetzt Gutierrez ein. „Tut, was Mister Duarte wünscht!“
„Ist das Ihr Ernst, Mister Gutierrez?“, vergewisserte sich Ricky Balbo.
„Sí, claro!“, bestätigte Gutierrez.
Balbo erhob sich. Zusammen mit Hueldez verließ er den Raum.
„Ihr verschwindet auch besser!“, knurrte Duarte die beiden Girls an Gutierrez’ Tisch an. „Tut mir wirklich leid, normalerweise habe ich nichts gegen charmante Gesellschaft, aber diesmal stören mich eure Ohren...“
Die beiden jungen Frauen ließen sich das nicht zweimal sagen und verzogen sich sofort – offensichtlich froh darüber, den Raum verlassen zu können. Gutierrez schluckte.
„Jetzt sind wir allein, Gutierrez!“
„Wollen Sie einen Schluck Champagner, Mister Duarte?“
„Was gibt’s denn zu feiern?“
„Was wollen Sie?“
Duarte setzte sich an den Tisch und ließ sich dabei von einem seiner Leibwächter den Stuhl zurechtrücken. Den Zigarrenrauch blies er Gutierrez direkt ins Gesicht.
„Unser beide Geschäfte sind – wie soll ich mich da angemessen ausdrücken? Ziemlich eng miteinander verwoben!“
„Sí, es verdad“, murmelte Gutierrez fast tonlos. „Das stimmt...“
„Und da werden Sie es doch sicher verstehen, dass ich anfange, mir Sorgen zu machen, wenn ein Kerl, der als Gutierrez’ Bluthund bekannt wurde, plötzlich ungeniert von einem Profikiller auf den Stufen des Gerichtsgebäudes niedergestreckt wird!“
„Sie sprechen von Azzaro!
„Natürlich spreche ich von Azzaro – und wie Sie hier so ruhig sitzen und Champagner schlürfen können, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich!“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Einer von Duartes Leibwächtern zapfte sich ungefragt