Herr Erlings Magd. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518441
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keine Lust verrät, diese Unterhaltung fortzusetzen. Aber Herr Erling bleibt der Sohn seines Vaters, des mächtigen Herrn Nikolaj, dessen Wille in dieser Gegend als ungeschriebenes Gesetz bestand. Durfte er, abgewiesen, vor dieser Tür stehenbleiben?

      Hatte Bertina es wirklich darauf angelegt, den jungen Herrn durch ihre sanfte Zurückweisung toll zu machen, so wählte sie die richtigen Mittel und war auf dem besten Wege. Der junge Herr scheut sich nicht, sondern bindet den Vollblüter Jarl kurz entschlossen am Türpfosten an, bückt sich und folgt Bertina in den Kuhstall, tritt nahe an sie heran und sagt: „Ich will dich zu jeder Stunde behandeln wie eine vornehme Dame. Das glaube mir ... Du sollst es niemals bereuen — im Gegenteil ...“

      Aber wie heiss er ihr auch in die Augen blickt und wie blass er immer werden mochte vor Sehnsucht und Ergriffenheit, Bertina bleibt standhaft. „Warum quälen Sie mich?“ fragt sie nur sachte und lässt langsam den Kopf sinken. Den Melkkübel hatte sie zu Boden gestellt, sie hat also beide Hände frei, aber sie hebt keine Hand zur Abwehr, sie steht nur stumm und weint.

      „Du weinst!“ ruft Herr Erling bestürzt. „Jetzt glaube ich aber ... Weine nicht ... Ich will dir wahrlich nicht weh tun ...“

      „Aber mein Herz ist nicht mehr frei“, flüsterte sie, indem sie mit dem Handrücken ihre Augen trocknet.

      Darauf war Herr Erling sicherlich am allerwenigsten gefasst. „Oho!“ ruft er aufgebracht. „Das sagst du wohl nicht. Nein, davon kann gar keine Rede sein ... Wer in dieser Gegend wäre deiner je würdig?“ Gleichzeitig versteht er jedoch, dass Bertina die Wahrheit sagt.

      Auf einmal ändert er den Ton, wird weise und väterlich: „Du darfst dich nicht wegwerfen an den ersten besten“, sagt er grossartig.

      Und da sie darauf nur schweigt und fortfährt, ihre Augen zu trocknen, ruft er hitzig: „Natürlich wird es nur ein gewöhnlicher Bauernbub sein. Aber dazu bist du viel zu gut, Bertina!“

      „Nein.“

      „Nein?“

      „Wie Sie mich plagen, Herr Erling ... Aber schauen Sie sich nur um ... Hier bin ich zu Hause. Der Gaard heisst Mykja. Der Pächter heisst Asbjörn — er ist der Herrschaft den Pachtschilling schuldig. Kann man das vergessen?“

      „Ja gewiss, das kann man“, erwidert er bestimmt. Das bringt ihn auf einen neuen Gedanken: „War es nicht deine Absicht, in die Stadt zu reisen, nach Bergen oder Oslo? Was willst du dort unten?“

      „Was weiss ich — es wird sich schon etwas finden ...“

      „Siehst du! Weshalb solltest du also nicht auf Kongshaugen einen Dienst antreten?“

      „Das ist etwas anderes.“

      „Du darfst auf keinen Fall reisen!“ ruft er erbittert und zum äussersten gebracht. „Denn die Stadt ist voller Gefahren. Du kennst das Leben dort unten nicht.“

      Da lächelte sie nun wieder auf ihre eigene Weise. „Nein. Aber ich fürchte mich nicht vor dem Leben.“

      Nun aber wird es zuviel. Wie sie so nahe vor ihm steht, mit demütig gesenktem Scheitel, ein wenig lächelt und ein wenig weint, übersteigt es seine Kraft; er muss die Arme um sie schlingen und sie küssen.

      Bertina erwidert Herr Erlings Liebkosungen nicht; nein, sie ist nicht hingerissen und überwunden; doch sie wehrt sich auch nicht dagegen. Sie empfängt seine Küsse mit geschlossenen Augen, und ihre Lippen sind kühl und weich. Ihre Lippen sind leicht geöffnet ... Eine ganz tolle Sache.

      „Und jetzt darfst du dich nicht länger dagegen sträuben, Bertina ... Ich erwarte dich morgen. Wegen dem Gaard hier mach dir keine Sorgen; ich werde an deiner Statt zwei gute Mägde nach Mykja schicken. Was sagst du?“

      „Es ist unmöglich ... denn Sie sind nicht in meinem Herzen. Darum will ich nicht.“

      Herr Erling liess die Arme sinken. Er war nicht eigentlich verdorben, nicht einmal richtig leichtsinnig. Aber nun hatte er die süsse Kühle ihrer Lippen gekostet. „Komm heute abend“, bat er. „Komm so, wie du bist“, drängte er. „Ich sehne mich nach dir ...“ Sein Mund berührte ihr Ohr, und sein Atem ging hastig und heiss. Er wartete eine Weile. Aber da sie stumm und reglos blieb, ging er schnell davon.

      Herr Erling ritt nach Hause, liess Jarl über Hecken und Gräben springen. Nicht als Sieger ritt er über sein Land hin, doch in seinem Herzen war klingender Jubel. In froher Unruhe ging er durch die Räume von Kongshaugen, öffnete da eine Tür und dort eine Tür und sagte zu Marlene: „Richte ein Gastzimmer, Marlene. Heute abend wird die Tochter von Mykja eintreten — Bertina; du kennst sie wohl?“

      „Bertina?“ fragte Marlene mit einem Riss in der Stimme. „Ich kenne sie nur allzu gut ...“

      Für Herrn Erling hatte Kongshaugen und die ganze Welt sich wiederum verändert; alles war aufs neue froh und leicht geworden; Sonnenschein innen und Sonnenschein aussen. Das grosse Haus schwieg nicht länger in düsterer Drohung. Überwunden war die harte Prüfung; Goldstaub erfüllte die Luft.

      Der Abend kam; aber nicht Bertina.

      Die grosse Standuhr im Saal schlug die neunte Stunde — tickte träge weiter und schlug die zehnte Stunde. Was mochte das bedeuten? Herr Erling klingelte und bestellte Whisky und Sodawasser; er sass in seiner reichverzierten Rauchjacke in einem braunen Lederstuhl gleich einem andern General. Die Zigarette hing ihm an der Unterlippe, er blätterte in einem Buch und war ungeheuer vornehm. Aber nichts von Bertina.

      „Das Mädchen von Mykja soll das Zimmer neben der Treppe haben.“

      Marlene antwortet und gibt sich kaum Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen: „Bertina hat sich noch nicht gemeldet. Und ich kann es ebenso gut gradeheraus sagen: Bertina wird sich hier nicht zeigen.“

      „Das meinst du wohl nicht im Ernst.“

      „Ob ich es meine? Hab’ ich vielleicht nicht gleich daran gezweifelt, als Sie heute morgen davon sprachen?“

      „Nein, wie du prahlen kannst!“ ruft Herr Erling ärgerlich.

      „So? Ich kenne Bertina seit jeher. Ist sie vielleicht nicht sonderbar und unnatürlich? Leif von Sudalen gilt als ihr Liebster ... Schon als kleines Mädchen war sie ein wenig verrückt ...“

      „Nein, du Marlene — war sie verrückt?“

      „Wurden wir, ich und Bertina, denn nicht am gleichen Tage und im gleichen Wasser getauft? Aber sie war alle ihre Tage steif im Nacken und lang im Stroh. Niemals zeigte sie sich abends auf der Landstrasse, wenn die Jugend tanzte ...“

      Voller Unwillen sagt Herr Erling: „Und dann hängte sie sich also an einen ganz gewöhnlichen Burschen — wie nanntest du ihn?“

      „Leif — ja, das ist genau so mystisch wie alles übrige. Ein rabiater Kerl ist dieser Leif. Er betreibt den Gaard von Sudalen — ein Rattengaard: vier Kühe, ein Schwein, sechs Schafe, und Schulden mehr als genug ...“

      „Nun ja“, nickte Herr Erling. „Es ist gut.“

      „Soll ich heisses Wasser auf ihr Zimmer stellen?“ fragte Marlene, die grosse Lust hatte, das Gespräch fortzusetzen.

      Doch Herr Erling winkte nur mit der Hand; Marlene warf den Kopf in den Nacken und ging. Bei der Tür zögerte sie, blickte über die Schulter zurück. Nein, Herr Erling machte kein Zeichen; er blätterte wieder in seinem Buch, und die Zigarette baumelte an seiner Unterlippe. Sicherlich sass er in andern Gedanken.

      Hatte Marlene sich verplappert und zuviel gesagt? Keine Spur. Marlene hätte weit mehr verraten können, und sie bereute kein Wort ...

      Zu dieser Stunde erhob sich der Bauer Asbjörn hinter dem Küchentisch auf Mykja, fuhr mit seinen grossen Händen über sein struppiges Gesicht, gähnte laut. „Was wollte er eigentlich heute morgen von dir, Herr Erling?“

      Die Tochter antwortete leichthin: „Er wollte im Grunde gar nichts.“

      Darauf ging der Pächter in die Kammer und legte sich ins Bett. Bertina holte ein feines Tuch