Herr Erlings Magd. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518441
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Das Abenteuer mit dem Meer lag auch ihm im Blute, wie allen Menschen, die an dieser einsamen Küste leben ... Ohne Unterlass steigt und fällt das grosse Wasser und ist unmässig im Nehmen und im Geben ...

      Mit milder Geduld und Würde hörte Autun seines Herrn drängende Worte, wiegte seinen kleinen Kopf und sagte weder geradezu ja noch nein. Doch handelte er hernach nach eigenem Gutdünken.

      Autun liess zwei Heringsnetze instand setzen, nahm es ernst und äusserst wichtig; warb Mannschaft unter der alten Garde, alles verständige, zuverlässige Männer ...

      „Zwei Heringsnetze ...“, sagte Herr Erling voll Hohn und Bitterkeit zu sich selber.

      Ein paar offene Boote, eine Handvoll alter Fischer — welch kläglicher Versuch ... Glaubte Autun wirklich, damit Kongshaugen wieder in die Höhe zu bringen? — Was wohl der selige Herr Nikolaj zu solchem Anfang sagen würde?

      „Dampfer und Aufkäufer auf den Lofoten“, sagte dagegen Herr Erling. „Aufkäufer in Island, Welthandel ... Gott verzeihe dir, guter, allzu weiser Autun ... Was kann Grosses hereinkommen mit ein paar elenden Netzen?“

      „Ohne genügend Kapital kann man so etwas nicht wagen“, sagte Autun bündig. „Schritt um Schritt, heisst es jetzt.“

      Dies und jenes dachte Herr Erling bei sich selber; seine Kräfte waren noch unverbraucht. Aber sein Herz blieb dennoch voll Dankbarkeit. Sie waren doch gar zu ungleiche Naturen, der alte Autun und sein Herr. So verschieden waren sie wie Wasser und Feuer.

      Einst legte Herr Erling aus purem Unverstande den Betrieb nieder; und da legte er ihn auf einmal ganz nieder. Nun aber, da er aus seinem Traum aufgeschreckt worden, raste er förmlich von Auftrieb und kühnen Entschlüssen. Er zählte zwanzig und einige Winter; Autun aber zählte mehr als siebzig Winter. Und dennoch war es Autun und kein anderer, der das Verhängnis über Kongshaugen herbeirief.

      Er forderte von Asbjörn, dem Pächter von Mykja, die schuldigen Pachtschillinge. Auf diese Weise kam Bertina nach Kongshaugen.

      Diese junge Dame ...

      Bertina, die Tochter des Pächters Asbjörn auf Mykja — hoch, dunkel und wunderbar von Wuchs, wie eine Göttin aus unchristlicher Vergangenheit. Leicht war ihr Schritt, und sie wiegte sich sanft in den Hüften. Ihr Mund aber war rot und glich einem gespannten Bogen; in jedem Winkel der Oberlippe schimmerte ein feines Flöcklein schwarzer Flaum. Und Bertinas Stimme — Gott verzeihe ihr — aber Bertinas Stimme war keine gewöhnliche Menschenstimme, so voll und weich und tief, wie sie klang.

      Bertina erschien also eines Morgens mit der Pracht ihres dunklen Haares und ihrem gefährlich gespannten Lippenbogen auf Kongshaugen, schritt gelassen über den Hof und auf das Mädchen Marlene zu. „Was willst du hier?“ fragte Marlene unbehaglich.

      „Sage deinem Herrn, dass ich ein kleines Wort mit ihm sprechen möchte.“

      Marlene wies mit dem Daumen über die Schulter auf die schmale Tür des Verwaltungsgebäudes. „Dein Wort, liebe Bertina, musst du an den alten Autun richten.“

      Aber Bertina schritt unbekümmert auf das Herrenhaus zu. Sicherlich hatte sie keine schlimmen Hintergedanken. Sie war ausgesandt worden vom Pächter Asbjörn, der durch Autuns scharfen Brief ausser Rand und Band geriet.

      Man muss wissen, dass das Geschlecht Asbjörn auf Mykja lebte, so weit die Menschen in dieser Gegend überhaupt zurückdenken konnten; zuweilen bezahlten sie ihren Pachtschilling, zuweilen bezahlten sie ihn nicht; sie hielten das eine so gut wie das andere. „Was meint er damit?“ rief Asbjörn, als er Autuns Brief gelesen. „Hat er denn keine Scham im Leibe, der alte Kormoran? Augenblicklich musst du mit Erling selber reden.“

      Dagegen sträubte Bertina sich lange, doch schliesslich gehorchte sie ... Ins Privatkontor tritt jetzt die Tochter Bertina und erfüllt den Raum sogleich mit einem geheimnisvollen Leuchten. Herr Erling lässt die Feder sinken. Ahnungslos blickte er auf, nickte leicht mit dem Kopf, zum Zeichen, dass er höre. Und da gleitet ihm also die Feder aus den Fingern. Herr Erling zieht seine buschigen Brauen hoch.

      Nur einen einzigen Schritt macht Bertina von der Tür her. Nun steht sie auf dem weichen, indischen Teppich. „Mein Vater, Asbjörn auf Mykja, kann seinen Pachtschilling unmöglich zahlen. Er bittet Sie um ein wenig Geduld ...“

      „Was für etwas Verrücktes ... Pachtschilling?“ murmelt Herr Erling, aus den Wolken gefallen. „Bist du die Tochter von Mykja? Du milde ...“

      „Wie Sie wohl selber wissen, steht es nicht am besten auf Mykja. Asbjörn konnte auch den vorjährigen Pachtschilling nicht zahlen ...“

      „Wer? — Nein, schweig endlich vom Pachtschilling“, murmelt Herr Erling betreten. Auf einmal war er wieder ganz Kavalier.

      „Autun fordert ihn und droht den Vertrag zu kündigen ...“

      „Autun!“ ruft Herr Erling. „Komm nur näher. Wie ruft man dich? — Bertina? Ich habe dich nie gesehen — wie kommt das?“

      „Nein“, sagt Bertina. „Der Weg ins Städtchen ist sowohl weit und schlecht, für uns auf Mykja.“

      „Sieh, Bertina, das grosse Buch dort auf dem Regal — willst du es mir bringen?“

      Als Bertina das Buch vor ihn auf den Tisch legt, betrachtet Herr Erling staunend ihre Hände — schmale Hände, schlanke, biegsame Finger ... sinnliche Hände. „Und so etwas lebt auf Mykja ...“, murmelt Herr Erling, mit einem sonderbaren Schwindel im Kopf.

      In dieser Stunde gleicht Herr Erling einem gepflügten Acker — die Saat fällt in die Furchen, und eine strahlende Sonne geht darüber auf ... Nun beginnt es mächtig zu spriessen. Ja, auf einmal geht es heiss und toll zu in Herrn Erlings Brust.

      Auf seinem verwirrten Gesicht ruhn still Bertinas Augen. Bertinas Augen — schimmernde Abgründe. Den Blick dieser Augen kann Herr Erling nicht ertragen, er bückt sich tief über das Buch. „Hier haben wir es“, sagt er mit schwingender Stimme. „Schluss damit; kein Wort mehr darüber ... Bertina? Tritt näher; überzeug dich selber — ich mache einen Strich durch alles ...“ Herr Erling macht drei unnötig dicke Striche.

      Dann wird es plötzlich still im Privatkontor — eine ereignisgeladene Stille. Bertina steht vor Herrn Erlings Stuhl; irgendwie muss sie wohl um den Tisch herumgeschritten sein. Es ist nichts Besonderes. Sie will ihm doch nur danken für seine Milde. Ihre Hand liegt zwischen seinen fieberheissen Händen. Ihre Hand ist weich und kühl. Die Kühle ihrer weichen Hand erregt ihn noch mehr ... Wie ist dieses Mädchen doch unbewegt und sicher, wundert sich Herr Erling.

      In diesem Augenblicke gleicht Bertina einer heidnischen Priesterin. Herr Erling aber gleicht dem Opfer. Ihre weichen, runden Knie berühren sachte seine Knie. Herrn Erlings Knie beben.

      Das alles wird verrückt und fast unglaubhaft; doch muss es wohl so und kann nicht anders kommen. Herr Erling, der schon viele Frauen kannte, da er als strahlender Prinz auf diese Welt gesetzt worden, Herr Erling, der bis dahin weder bei den Mädchen der Heimat, noch bei den ausländischen Damen schüchtern war und zögerte — vor dieser Pächterstochter zögert er und wird demütig ...

      Marlene, die Magd, erzählte die Begebenheit allerdings etwas anders. Woher nahm Marlene ihre Kenntnisse? Was wusste sie von dieser geheimnisvollen Viertelstunde? Vielleicht stand Marlene vor der Tür, vielleicht träumte sie nur, denn sie war doch selber so masslos aufgeregt. Marlene ging am Abend ins Städtchen hinunter und erzählte es ihren Freundinnen. „Sie ist eine Zauberin“, erzählte Marlene. Und nun hiess es, die Pächterstochter sei überaus kundig im Umgang mit Männern ...

      Geschwätz und Lüge, alles zusammen: Bertina stand schlicht und einfach vor Herrn Erlings Stuhl, neigte ihr Haupt und dankte. „Aber Sie sollen durchaus keinen Strich im Buch machen“, sagte sie lächelnd. „Nein, deshalb stehe ich nicht vor Ihnen. Und Sie sollen niemals glauben, dass ich deshalb zu Ihnen kam ...“

      „Tu mir den einzigen Gefallen“, bittet Herr Erling. „Erwähn’ es nicht mehr ...“

      Aber Bertina erklärt: „Nur um ein paar