Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rahaman Ali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903183827
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er nach San Francisco, um dort an einer Vorausscheidung für einen Platz im Nationalteam teilzunehmen. Dabei schaltete er überlegen eine Handvoll Gegner aus, bevor er dann einen harten Kampf gegen Allen Hudson gewann und sich somit einen Platz im Team für die Olympischen Spiele in Rom sicherte.

      Ich fuhr nicht nach Rom. Meine Eltern und ich sahen die Kämpfe meines Bruders im Fernsehen. In den Kämpfen sah er wie gewohnt unbesiegbar aus und schlug seine Kontrahenten mit Leichtigkeit. Die schienen noch nie ein Schwergewicht gesehen zu haben, das so beweglich war, ausweichen konnte und tänzeln. Doch wir wussten, dass das Finale viel härter werden und er dort auf einen sehr erfahrenen Gegner stoßen würde.

      Es war der 5. September 1960, als er gegen den Polen Zigzy Pietrzykowski in den Ring stieg. Beide Boxer wogen etwa 81 Kilo. Der Pole war ein harter Linkshänder und mit seinen sieben Jahren mehr auf dem Buckel deutlich erfahrener als mein Bruder. Nichtsdestotrotz triumphierte Muhammad nach einstimmiger Entscheidung und gewann damit die Goldmedaille im Halbschwergewicht. Es war ein Traum, der Realität geworden war, ein Tag, den ich niemals vergessen werde. Bei seiner Ankunft am Flughafen von Louisville wurde er von einer großen Menschenmenge empfangen. Meine Eltern und ich, der Bürgermeister von Louisville, der Stadtrat, einige lokale Geistliche sowie Schüler, Direktoren und Lehrer der Central High School waren gekommen, um ihn zu begrüßen. Zahlreiche Fotografen der örtlichen Presse warteten, um einen Schnappschuss vom neuen Champion machen zu können. Mein Bruder, unsere Eltern und ich wurden mit einer Eskorte vom Flughafen durch die Straßen von Louisville bis zur Central High School gefahren. Dort tummelten sich bereits die Schüler und viele andere Menschen mit Transparenten, auf denen stand: Willkommen zu Hause Cassius Marcellus Junior, Olympiasieger im Halbschwergewicht. Als unser Wagen sich der Schule näherte, liefen Schüler und Gratulanten herbei, um ihren Lokalhelden aus Louisville persönlich zu sehen, und Muhammad genoss jeden Moment. Wir folgten Muhammad in die Aula, wo bereits zwei Sessel auf der Bühne für unsere Eltern bereitstanden. Unsere bescheidene Familie wusste natürlich, dass dies ein großer Moment war, doch er war sogar noch größer, als wir uns je hätten vorstellen können.

      Als dann alle ihre Plätze eingenommen hatten, trat der Direktor der Schule, Mr. Alwood S. Wilson, nach vorne und begann mit seiner Rede. Er erzählte dem Publikum, wie furchtbar stolz er, die Lehrerschaft und die Schüler auf einen ehemaligen Schüler waren, der die Goldmedaille errungen hatte. Nach einer emotionalen Ansprache bat er Muhammad vor das Mikrofon, um von seinen Erlebnissen bei den Olympischen Spielen zu erzählen. Das Publikum stand auf und feierte ihn minutenlang mit stehenden Ovationen.

      Muhammad erhob sich von seinem Sessel und begann, zur versammelten Menge zu sprechen. Er lobte seinen polnischen Kontrahenten, einen Mann, der ihm, wie er zugab, einen harten Kampf geliefert und ihn mit Schlagsalven eingedeckt hatte. Allerdings war mein Bruder nicht so bescheiden, dass er es sich verkneifen hätte können, zu sagen, dass er zu schnell und zu klug für den Polen gewesen war, und er schrieb seinen Sieg seiner Entschlossenheit und seinem boxerischen Können zu, das er jahrelang perfektioniert hatte. Er erzählte uns, wie stolz er darauf war, die Medaille nach Amerika geholt zu haben. Er sprach darüber, wie er davon geträumt hatte, dass er es eines Tages nicht nur zu den Olympischen Spielen schaffen würde, sondern dort auch triumphieren würde, und dass, nachdem dieser Traum wirklich geworden war, er das olympische Podium als Plattform nutzen würde, um sich Gehör zu verschaffen. Die Olympischen Spiele, so sagte er vor allen Anwesenden, seien der goldene Schlüssel zu vielen Wahrheiten: Es war eine Wortwahl, die viele im Publikum verwirrte, da zu diesem Zeitpunkt kaum jemand wusste, dass mein Bruder sein Interesse an der Rassenpolitik der Vereinigten Staaten entdeckt hatte. Als Muhammad dann fertig war, stand das Publikum erneut auf und applaudierte lautstark. Danach fragten ihn aufgeregte Schüler, ob sie die Medaille sehen und berühren dürften. Einfach nur einen Blick darauf werfen, war nicht genug. Alle wollten das Gold mit ihren Händen anfassen. Muhammad stieg von der Bühne und stand mit einem Lächeln da, und die Schüler kamen zu ihm, um die Früchte seiner harten Arbeit mit ihren eigenen Händen zu berühren.

      Nach diesem aufregenden Auftritt wurde Muhammad wieder aus dem Gebäude eskortiert, und wir fuhren quer durch die Innenstadt bis zu unserem Haus. Ich genoss den Moment am Beifahrersitz, während Muhammad auf der Rückbank saß und der Menge mit seinem typischen Grinsen zuwinkte.

      Als wir dann vor unserem Haus in der Grand Avenue ankamen, waren bereits alle unsere Nachbarn da, um dem neuen Champion einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Die lokale Presse war auch da, um ein Interview und ein paar Schnappschüsse zu bekommen. Ich erinnere mich, wie ich auf die Medaille starrte und wie wundervoll sie aussah, als sie da um seinen Hals baumelte, während er zu den Anwesenden sprach. Schließlich löste sich die Menge auf, und alle waren noch ganz aufgeregt, dass sie einen Olympiahelden persönlich kennengelernt hatten. Ich dachte zurück an die Jahre, in denen wir zusammen trainiert hatten, wie wir frühmorgens gemeinsam laufen gegangen waren und uns über die besten Amateurboxer unterhalten hatten. Muhammad hatte damals immer voller Überzeugung zu mir gesagt: „Rudy, eines Tages werde ich mir olympisches Gold im Halbschwergewicht holen.“

      Und ich hatte immer an die boxerischen Fähigkeiten meines Bruders geglaubt, und es gab keinen Moment, in dem ich diesen Optimismus durch pessimistische Gedanken trüben ließ. Trotzdem gibt es kein schöneres Gefühl auf der Welt, als den Erfolg eines Familienmitglieds selbst mitzuerleben. Unsere Eltern sagten uns immer, dass wir uns im Boxen engagieren müssten, wenn wir erfolgreich sein wollten. Unser Vater erklärte uns, dass wir immer wieder Hürden auf unserem Weg zum Erfolg überwinden würden müssen. Einige Eltern unterstützen ihre Kinder so gut wie gar nicht, doch unsere ermunterten uns, und das ist etwas, an das ich mich immer erinnern werde.

      Nach dem Olympiasieg änderte sich das Leben meines Bruders – aber auch das meinige. Dank meines Bruders war ich nun eine Art Berühmtheit an meiner Schule. Meine Mitschüler lächelten mir zu und wünschten mir alles Gute, wenn ich sie am Gang traf oder mit ihnen im Klassenzimmer saß. Ich war in meinem letzten Jahr an der Central High School, und es ist mir immer noch in Erinnerung.

      Mehr als fünf Jahrzehnte später weiß jeder, dass Muhammad seine Goldmedaille in den Ohio River geworfen hat, weil er in einem Restaurant in unserer Heimatstadt nicht bedient wurde – und das sogar nach seinem Olympiasieg. Irgendwo habe ich gelesen, dass diese Geschichte von einem Unbekannten erfunden worden und nun weitverbreitet wäre. Sie schrieben, dass mein Bruder seine Medaille verloren hätte und ich ihm dabei geholfen hätte, sie wiederzufinden. Es wurde behauptet, dass wir das gesamte Haus auf den Kopf gestellt hätten, aber sie nicht fanden. Ich glaube, Sie, werter Leser, können sich vorstellen, dass diese Medaille ein Prestigesymbol darstellte, auf das mein Bruder besonders stolz war. Leider meinte irgendwer, es besser zu wissen, und verbreitete diesen Schwachsinn. Also möchte ich die Dinge an dieser Stelle geraderücken: Muhammad und ich gingen zusammen in besagtes Restaurant, und wir wurden nicht bedient.

      Muhammad sagte: „Ich hätte gerne einen Cheeseburger.“

      Die Kellnerin antwortete: „Wir mögen hier keine Neger.“

      Worauf mein Bruder sarkastisch meinte: „Ich will ja auch keinen Neger, sondern einen Cheeseburger.“

      Da es uns schnell klar war, dass wir hier nicht bedient werden würden, verließen mein Bruder und ich verärgert und angewidert das Lokal.

      Als wir dann zur 2nd Street Bridge kamen, nahm mein Bruder seine geliebte Medaille und warf sie in den Fluss. Ich versuchte, ihn davon abzuhalten, doch er sagte: „Nein, Rudy. Ich bin tief verletzt. Diese Verachtung, die mir entgegengebracht wurde, tut mir sehr weh.“

      Und dann begann ich zu weinen.

      Das war das letzte Mal, dass wir beide die Olympiamedaille gesehen haben. Also, ich war dabei und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.

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      Nach den Olympischen Spielen wechselte Muhammad ins Profilager und unterschrieb bei der Louisville Group – einem Konsortium aus zehn Millionären –, die sein Managementteam wurde. Sie waren an meinen Bruder nach seinem Sieg in Rom herangetreten und boten ihm an, für sein Training, die Reisen, Wohnen und Versorgung aufzukommen sowie ein Antrittsgeld und ein garantiertes Einkommen zu zahlen. Im Gegenzug würden sie 50 Prozent