Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rahaman Ali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903183827
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dies damals allerdings noch nicht. Wir waren der Meinung, dass unser Verhältnis auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierte.

      Elijah Muhammad wiederum machte sich nichts aus Sport und anderen Spielereien, sein Interesse und Ziel lagen darin, es Farbigen zu ermöglichen, in einem vom weißen Mann bestimmten „weißen Amerika“ zu leben. Er freute sich über jedes Mittel, mit dem er seine Idee transportieren konnte, und als laute, charismatische Berühmtheit war mein Bruder ein ideales Medium. So betrachtet stimmt es schon, dass er Muhammad ausnutzte, doch in gewisser Weise funktionierte dies in beide Richtungen. Als Muhammad eine persönliche und berufliche Verbindung zu Herbert aufbaute, hatte mein Bruder durch ihn auch Zugang zum Anführer der Nation of Islam.

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      Während Nebensachen wie Religion eine wichtige Rolle in Muhammads Leben spielten, arbeitete er weiter daran, zum König der Schwergewichtsklasse zu werden – und an einer besseren Zukunft. Außerdem hatte er weiterhin Zeit für seine Freunde. Einen Tag vor dem Kampf gegen Liston, der am 25. Februar 1964 angesetzt war, besuchten Muhammad und ich den damals erst zehn Jahre alten Jimmy Dundee im Krankenhaus, wo er sich einer Leistenbruchoperation unterziehen musste und somit nicht zum Kampf kommen konnte. Jimmy hatte, seit er fünf war, jeden Kampf von Muhammad live gesehen und war nun verständlicherweise traurig darüber, dass er es diesmal nicht schaffte. Zufälligerweise war die Kinderabteilung des Spitals damals so voll, dass das Personal Jimmy gefragt hatte, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er in der „Negerabteilung“ untergebracht werden würde. „Warum sollte mir das etwas ausmachen?“, fragte er irritiert.

      „Nun, weil dort die Neger behandelt werden“, antwortete der Doktor.

      Jimmy meinte, dass ihn das nicht störe, und so war er der einzige weiße Patient in der Abteilung für Afroamerikaner, lag gleich neben einem Jungen seines Alters. Eines Tages, als er mit diesem Jungen darüber sprach, wie traurig er darüber sei, Muhammads Titelkampf nicht sehen zu können, hörte er jemanden im Korridor rufen: „Junger Boss, wo bist du?“

      Muhammad nannte Angelo immer „Boss“.

      „Kleiner Dundee, wo bist du!?“, hallten die Rufe durch den Korridor. Als Nächstes platzten mein Bruder und ich zusammen mit einigen von Muhammads Freunden aus dem Camp herein – Bundini, Howard Bingham und Patterson, der Bodyguard, alle in Jeansjacken. Sie müssen sich einmal die Gesichter der Schwestern und Pfleger vorstellen! Wir haben ihnen einen ziemlichen Schrecken eingejagt.

      Auf jeden Fall betraten wir das Zimmer, und da lag Jimmy. Muhammad gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Als sich seine und die Blicke des anderen Jungen trafen, der im Bett neben Jimmy lag, sagte Muhammad zu ihm: „Was tust du denn hier? Du liegst hier nur rum und tust gar nichts.“

      Dann setzte er Jimmy in einen Rollstuhl. Darauf nahmen wir seinen Bettnachbarn, setzten ihn in einen zweiten Rollstuhl und schoben die beiden unter Lachen und Gejohle den Korridor hinunter, während die anderen Patienten uns dabei zusahen. Wir verbrachten viel Zeit mit Jimmy, und alle anderen in der Kinderabteilung bekamen ein Autogramm von Muhammad. Mein Bruder zeigte seinen Ali Shuffle, führte ein paar Zaubertricks und Parodien vor und zauberte diesen Kindern für einen Nachmittag ein Lächeln ins Gesicht.

      Trotz des skurrilen Humors meines Bruders hatte er wichtigere Dinge zu erledigen, wenn er den Titel holen wollte. In jenen Jahren hatte das organisierte Verbrechen großen Einfluss auf das Boxgeschäft. Die Mafia hatte einige Boxer fest in der Hand, und der Weltmeistertitel im Schwergewicht – als der prestigeträchtigste im Sport – zog immer wieder das Interesse dieser Organisation auf sich. Und es gab den einen oder anderen, dem das nicht unrecht war. Manche Leute fanden sogar großen Gefallen an der Idee, dass diese kriminelle Vereinigung den Boxsport beherrschte. Ich denke, gewisse Geschäftsleute und Spieler kamen gut damit zurecht, da sie wussten, woran sie an der Mafia waren. Doch in den 1960er-Jahren hatte die Mafia ein Problem: Sie sah sich dem erheblichen Widerstand durch die Black Muslims gegenüber. Schon früh in seiner Karriere, noch bevor Herbert der Louisville Group die Kontrolle komplett entreißen konnte, stand Muhammad unter dem Schutz der Nation of Islam. So sehr sich die Mafia auch darum bemühte, die Kontrolle zu übernehmen, so war es dank der Präsenz der Nation of Islam nicht so leicht möglich, das Trainingscamp zu infiltrieren, wie es sonst bei anderen Boxern der Fall war. Und so war mein Bruder, verglichen mit anderen Boxchampions jener Zeit, ein freier Mann, der tun und lassen konnte, was er wollte. Wer weiß, wie das Schicksal meines Bruders ohne den Schutz der Nation of Islam verlaufen wäre.

      Was Angelo betraf, so war er ein Mensch, der es mochte, wenn alles legal ablief. Damals war es Teil des Schwergewichtsboxens, sich zumindest bis zu einem gewissen Grad mit dieser kriminellen Vereinigung auseinanderzusetzen, doch im Falle der Dundees munkelte man, dass Angelos Bruder Chris Kontakte zum organisierten Verbrechen hatte, aber nicht unbedingt Angelo selbst. Also warum sollte Angelo mit der Mafia zu tun haben? Immerhin hätte er alles über seinen Bruder regeln können, wenn er gewollte hätte. Es war also Chris, der die wirklichen Kontakte zur Mafia hatte, doch im Endeffekt kontrollierten sie keinen der beiden Brüder. Zur Zeit des Liston-Kampfes verhandelte Angelo mit den berüchtigten Gangstern, den Nilon-Brüdern (Jack und Bob), und bemühte sich, sie davon abzuhalten, Einfluss auf die Kampfrichter und den Ringrichter zu nehmen. Angelo war clever. Bis 20 Minuten vor dem Kampf hielt er die Namen der Kampfrichter geheim. Das führte zu einem ordentlichen Streit. Die Nilon-Brüder und Persönlichkeiten des organisierten Verbrechens wie Frankie Carlo und sein Partner Blinky waren fest entschlossen, sich den Kampf unter die Nägel zu reißen. Das waren gefährliche Männer. Doch Angelo half ihnen weder direkt noch über seinen Bruder Chris. Muhammad und sein Coach standen für einen sauberen Boxsport und gaben ihr Bestes, um sich dafür einzusetzen.

      Es war naheliegend, dass die Mafia Liston unter Kontrolle hatte. Vom Beginn seiner Profikarriere im Jahr 1953 an „gehörte“ Liston einem Gangster namens Joe Vitale aus St. Louis. Ab 1959 besaß Frankie Carlo, der einst als Auftragsmörder für die Mafiagruppierung Murder Inc. tätig war, einen Mehrheitsanteil an Sonny Listons Vertrag, zusammen mit seinem Geschäftspartner in Palermo. Gemeinsam mit einer Gruppe anderer Promoter, die die „Combination“ genannt wurden, hatten sie die komplette Kontrolle über ihn und waren bekannt dafür, wichtige und profitable Boxkämpfe zu manipulieren. Dankenswerterweise war Muhammad bei den Dundee-Brüdern in sicheren Händen. Sie hielten das ganze Mafiagerede von ihm fern, damit er sich mit so wenig Ablenkung wie möglich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren konnte. Ich half meinem Bruder beim Training, war aber gleichzeitig auch seine moralische Unterstützung. Mein Bruder hielt sich aus allem heraus und überließ die Sache mit den Gangstern einfach den Dundee-Brüdern. Vor dem ersten Kampf gegen Liston bekamen wir einige Drohanrufe, sogar zu Hause, am Morgen des Kampfes, doch wir nahmen sie nicht besonders ernst. In unseren Köpfen dachten wir, dass Gott uns beschützen würde, und wenn er es nicht tat, dann war da noch die NOI, die uns helfen würde.

      Schließlich kam es zum Aufeinandertreffen zwischen meinem Bruder und Liston in Miami, doch bevor Muhammad in den Ring stieg, musste er noch eine Sache über sich ergehen lassen. Am gleichen Abend gab ich mein Debut als Profiboxer in einem harten Schlagabtausch gegen Chip Johnson. Mein Gegner hatte bereits sechs Profikämpfe bestritten und damit einiges mehr an Erfahrung als ich. Er hatte sogar mehr Amateurkämpfe als ich auf dem Buckel. Es war ein harter Kampf, und ich musste einige deftige Schläge einstecken. Wie ich später herausfand, hatte sich Muhammad während meines Kampfes aus seiner Umkleidekabine geschlichen, um mir vom Korridor aus zuzusehen. Der immer besorgte ältere Bruder, er wollte, dass ich mit so wenig Schaden wie möglich aus diesem Kampf herauskam. Das bedeutete mir sehr viel mehr als der Kampf selbst. Das Gefühl, zu wissen, dass mein Bruder sich mehr Sorgen um meine Gesundheit machte als um seine eigene – und das am wichtigsten Abend seiner Karriere, habe ich niemals vergessen.

      Wie auch immer, ich bekam ordentlich was ab, doch ich schaffte es bis ans Ende der vier Runden und wurde sogar zum Sieger erklärt. Meinen ersten Kampf als Profi zu gewinnen, versetzte mich in einen Glücksrausch, der allerdings nicht lange anhalten sollte. Der Ringsprecher stellte mich als Muhammads Bruder vor, worauf die Menge mich ausbuhte. Sie waren noch immer nicht besonders angetan von Muhammad und drückten dieses Gefühl jedem gegenüber aus, der seinen Namen mit ihm teilte. Während das Publikum mich weiter auspfiff,