Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rahaman Ali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903183827
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er selbst kein besonders guter Boxer und gab den Sport schließlich auf. Mein Bruder und ich blieben aber weiter dabei.

      Ich erinnere mich noch deutlich an Muhammads ersten Tag im Studio. Er sprang sofort ins kalte Wasser und stieg mit einem älteren Jungen in den Ring, da er dachte, er könne locker mit ihm mithalten, auch ohne Boxerfahrung. Doch mein Bruder brauchte keine Minute, um festzustellen, dass es nichts half, einfach wild um sich zu schlagen. Muhammad versuchte alles, um den anderen Jungen k. o. zu schlagen. Doch die überlegene Erfahrung seines Partners und dessen Schlagkraft bescherten Muhammad einige Sterne vor den Augen und eine blutige Nase. Martin gefiel die Begeisterung meines Bruders – dieser erste, schiefgegangene Ausflug in die sogenannte „süße Wissenschaft“ zeigte die Leidenschaft und das Herz, das mein Bruder besaß.

      In Martins Boxstudio, dem Columbia Gym, trainierten sowohl schwarze als auch weiße Boxer unter einem Dach. Trotz der Rassenprobleme in Louisville zu dieser Zeit brachte der Boxsport Menschen unterschiedlicher Hautfarbe auf eine Art und Weise zusammen, die es sonst nur selten wo gab. In diesem Keller wurden alle gleich behandelt und trainierten unvoreingenommen miteinander. Als Muhammad in Martins Studio trainierte, zog er die Aufmerksamkeit eines Boxtrainers namens Fred Stoner auf sich. Stoner hatte selbst ein Boxstudio auf der anderen Seite der Stadt, wo eigentlich nur farbige Boxer trainierten. Auch wenn Muhammad loyal zu Martin war, so waren mein Bruder und ich bei unserem ersten Turnier, an dem wir teilnahmen, sehr von Stoners Schützlingen beeindruckt – ihre Schuhe und Shorts passten zu ihren Mänteln, und überhaupt sahen sie so aus, als ob gut für sie gesorgt wurde.

      Trotzdem wollte Muhammad sein Verhältnis zu Martin nicht belasten, und so fand er einen Weg, mit beiden zu arbeiten – ohne dass einer der beiden etwas davon mitbekam. Wie üblich folgte ich meinem Bruder – etwas, in dem ich damals bereits sehr geübt war. Ich überließ Muhammad die Führung und klebte an ihm wie ein Magnet. Wir trainierten am frühen Abend zusammen in Martins Studio und fuhren dann in Stoners Keller für noch mehr körperliche und mentale Torturen. Aber es machte sich bezahlt. Jeder Trainer hat so seine Eigenarten, und verschiedene Stile und Tricks zu lernen, war am Anfang sehr hilfreich für unsere Entwicklung.

      Meine Größe und Stärke und Muhammads schnelle boxerische Entwicklung halfen uns dabei, rasch die Rangliste in beiden Studios hochzuklettern. Wir trainierten beide sehr hart, doch ich muss zugeben, dass meine Selbstdisziplin im Vergleich zu der meines Bruders zu wünschen übrig ließ. Boxen wurde zu Muhammads Lebensinhalt: Er rannte neben dem Schulbus her und verzichtete auf Softdrinks in seinem Streben nach Erfolg. Ich machte mit, denn er war mein Bruder, und ich hing mit ihm ab, aber seine Leidenschaft fürs Boxen war um einiges stärker als meine. Er wollte es wirklich bis ganz oben an die Spitze schaffen und war gewillt, die nötigen Opfer dafür zu bringen. Er verschlang alles, was mit Boxen zu tun hatte. Er hatte sich in die „süße Wissenschaft“ verliebt und prahlte vor mir damit, wie er der Allergrößte sein und damit das Leben unserer Familie verändern würde. Das spielte von Anfang an mit. Muhammad, dem die Geldprobleme unserer Familie immer bewusst waren, wollte von Anfang an berühmt werden.

      Dieser Traum vom vielen Geld sollte später einmal beinahe ironisch erscheinen – denn als er es schließlich zu Reichtum gebracht hatte, war ihm das alles ziemlich egal, und er verschenkte sein Geld, so als ob Reichtum etwas Unanständiges wäre. Doch in jener Zeit waren das Streben nach Reichtum und der Aufstieg unserer Familie aus der Armut eine wichtige Motivation für meinen Bruder. Andererseits, welcher Teenager wäre nicht davon inspiriert, ein Sportheld zu werden, berühmt zu sein und so viel Geld zu haben, wie er wollte? Meine Motivation war mehr das Geld und der Ruhm als das Streben nach Perfektion.

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      Es dauerte nicht lange, bis wir regelmäßig an Wettkämpfen teilnahmen. Die anderen Kinder in der Schule wussten, dass wir boxten, denn sie sahen uns im lokalen Fernsehen in der Sendung Tomorrow’s Champions, die Amateurkämpfe übertrug. Für jeden Kampf, die meistens von Joe Martin organisiert wurden, bekamen wir vier Dollar. Wie sich herausstellte, verfolgten auch die Leute aus der Nachbarschaft unsere Karriere als Amateurboxer, und nach nur wenigen Kämpfen waren wir so etwas wie lokale Promis in unserer kleinen Welt – speziell in der afroamerikanischen Community in der Umgebung. Was uns allerdings mehr überraschte, war die Tatsache, dass weiße Kinder, mit denen wir Kontakt hatten, sich nun freundlicher gegenüber Muhammad und mir verhielten, da sie wussten, wie beliebt wir waren. Als weißes Kind mit Vorurteilen warst du damals trotzdem beeindruckt, wenn du über Muhammad gelesen hast oder ihn kämpfen sahst.

      „Hey, ich habe deinen Kampf gestern Abend im Fernsehen gesehen“, sagten die Kinder zu ihm auf der Straße, die gleichen Kinder, die ein oder zwei Jahre davor nicht einmal in unsere Richtung geblickt hatten.

      Dadurch kam mein Bruder schon früh auf den Geschmack von Ruhm, lange bevor er dazu auserkoren wurde, unser Land bei den Olympischen Spielen zu vertreten, was ihn schließlich weit über die Grenzen unserer lokalen Gemeinde hin berühmt machte.

      Wie in den anderen Bundesstaaten des Südens waren die Schulen in Louisville auch nach Rassen getrennt – von der Grundschule bis zum Ende der High School. Muhammad und ich schlossen eine Schule, an die nur Farbige gingen, ab. Dort waren alle ziemlich gleich, da sie aus ähnlich bescheidenen Verhältnissen kamen. Viele der jungen Burschen und Mädchen, die in der Gegend aufwuchsen, bekamen staatliche Beihilfen für ihr Schulessen, und keiner hatte besondere materielle Besitztümer. Die Rassentrennung und die Armut lehrten uns schnell, dass schwarz sein bedeutete, dass man anders war. Doch meinem Bruder und mir wurde auch schon früh bewusst, dass dies furchtbar ungerecht war. Wenn wir den Fernseher einschalteten, sahen wir immer wieder Horrorgeschichten: Hunde, die auf Schwarze losgelassen wurden, und Lynchmorde – alles begleitet von Bildern, die sich für immer in unser Gedächtnis einbrannten. Als zwei junge farbige Männer dachten sich Muhammad und ich: Warum werden Afroamerikaner hier in Amerika anders behandelt? Als Kinder und Jugendliche konnten wir nichts dagegen tun, doch ich glaube, dass Muhammad schon damals den Plan hegte, die Welt zu verändern.

      Andererseits nahm Muhammad die Schule aber nicht so wichtig. Er war der Klassenclown. Er war von vornherein nicht gerade der beste Schüler und bemühte sich auch nicht wirklich in der Schule, selbst noch bevor er mit dem Boxen begann. Bildung und Lernen waren nicht gerade etwas, dem er viel Bedeutung oder Wert beimaß, und als er dann in der High School mit dem Boxen begann, stellte er den Boxsport über die Schule. Muhammad musste sich manchmal sogar richtig motivieren, um nicht die Schule zu schwänzen, doch da seine Chancen, aufgrund von Bildung erfolgreich zu sein, eher dünn waren, fokussierte er seine Bemühungen auf andere Dinge.

      Damit war er nicht allein. Wenn es eine Person gab, die der treibende Motor hinter meinem Bruder war, dann war das unser Vater. Unsere Mutter hatte nichts dagegen, aber Cash Clay stieg aufs Gas. Weder Mutter noch Vater hatten einen wirklich sicheren Job, und als mein Bruder und ich ein gewisses Talent fürs Boxen zeigten, sah unser Vater darin einen Weg, unseren Sorgen zu entkommen. Nicht nur einen Weg aus unseren Geldproblemen und der Armut heraus, sondern auch einen Weg zu Ruhm und Reichtum. Unser Vater bildete sich ein, dass beide seiner Söhne Weltmeister werden würden. Er hatte großes Vertrauen in uns. Vater war es ernst damit, und er saß bei allen unseren Kämpfen in der vordersten Reihe. Er war ein stolzer Vater. Er war einer unserer größten Fans. Und ich möchte es noch einmal wiederholen: Vater dachte wirklich, dass wir beide groß rauskommen würden – nicht nur Muhammad.

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      Ich denke, nicht einmal mein Bruder wüsste, wie viele Kämpfe genau er im Alter zwischen 12 und 18 Jahren unter Joe Martins Führung bestritt. Ich weiß, dass er sehr oft kämpfte – mehr als einmal im Monat, und ich ebenso – und selten einmal aussetzte. Schon in den ersten Kämpfen konnte man erste Hinweise auf sein großartiges Können, das er später entwickelte, entdecken, als er lernte, um die Gegner herumzutänzeln, Schlägen auszuweichen und sich den Schwingern seiner Kontrahenten so zu entziehen, dass einige Traditionalisten dabei Albträume bekamen. Er gewann sechs Kentucky Golden Gloves und zwei nationale Meisterschaften und bestritt dabei sicherlich über 100 Kämpfe, von denen er bloß acht verlor. Im Jahr 1960 nahm er im Halbschwergewicht an den Golden Gloves teil, um zu vermeiden, dass wir während des Turniers