Die jungen Männer aber wurden in ihrem beginnenden Streit durch die Dazwischenkunft eines Dritten gestört.
Auf schlankem silbergrauem Roß, in prächtiger Jagdkleidung, ein helles silbernes Jägerhorn an der Hüfte, hielt ein edler Waidmann von jugendlich schönem Ansehn unvermutet vor den beiden. Im selben Augenblicke, wo Otto den blutenden Falken an des Fremden Brust gelehnt erblickte, ward auch dieser das Geschoß in Tebaldos Hand gewahr, und wandte sich, man konnte wohl sehen mit mühsam gedämpfter Zornesglut, von dem Reisigen weg an den Ritter, sehr höflich sprechend: »Messire, wenn es Euch gefällt, Eure Leute in meinem Forste jagen zu lassen, so mutet Ihr freilich meiner Gastlichkeit nicht minder zu, als sie ganz von selbsten geneigt ist, jeglichem edlen Reisenden angedeihen zu lassen, aber ich muß Euch sehr bitten, in Zukunft ein so ritterliches Tier zu verschonen, als dieses hier.« Dabei streichelte er den wunden Vogel sehr zärtlich, und sagte ihm zwischendurch einige schmeichelnd beruhigende Worte, worüber er auch Ottos Entschuldigungen überhörte, die freilich nicht auf das beste zusammenhingen, weil der junge Ritter sehr verstört war, sowohl durch des schönen Falken Verletzung, als durch das wunderliche Betragen Tebaldos. Diesen aber hatte der Zwiespalt mit seinem Gefährten und der nicht zu Ende gesprochene Streit nur störriger gemacht; er trat keck vor den fremden Jäger hin, und sagte: »Es hat niemand anders den Vogel geschossen, als ich, und niemand anders hat auch darum Rede zu stehn.« – »Zurück, Tebaldo!« rief Otto. »Du scheinst nicht zu wissen, was du getan hast, den Forstbann eines edlen Herrn verletzend, und obendrein an einem so herrlichen Tiere.« – »O ich weiß, ich weiß schon!« erwiderte der erhitzte Italiener. »Die Fürsten und Ritter haben die Erde sich einander in kleine Stückchen abgeteilt, die ihnen ausschließend gehören, und wo jeder andre Mensch der ihm von Gott verliehenen Rechte über die Tiere des Feldes und über noch manches andre heilige Erbgut verlustig gehn soll. Verlustig gehn soll! sagte ich, ihr stolzen Herrn; versteht mich wohl, nicht eben immer verlustig geht. Denn wo meinesgleichen eintreffen, da hat es mit euern ärmlichen Gesetzlein soviel nicht zu sagen, und was Milano im ganzen tut, vermag jedweder Milaneser im einzelnen auch: die angeborne, rechte Freiheit behaupten, trotz Kaiser und König, trotz Herzog und Graf. Jetzt will ich mir hier noch einige Vögel schießen.« – Und damit machte er seine Armbrust von neuem zurecht. – »Ihr habt da einen sonderbaren Reisigen, Messire«, lächelte der fränkische Herr. Aber Otto, an der Wurzel seines ganzen ritterlichen Lebens verletzt, hatte schon die Armbrust mit unversehrter Stärke aus Tebaldos Hand gerissen, sie im Augenblicke zerbrechend, zertretend und ihre Stücke über die Wiese hin auseinanderstreuend. – »Das heißt ja nun wohl, in lautbare Worte übersetzt, ganz vollkommen: Ade?« fragte Tebaldo erbittert, und als sich der Ritter unwillig von ihm abwandte, ging er finster auf seinen Polacken zu, ihn aufzäumend und sattelnd. Der Streithengst trabte gleichfalls mit lustigem Wiehern heran, aber Tebaldo wehrte ihn ab, sprechend: »Ja, du willst mich wohl noch, aber dein Herr will mich nicht mehr, und so kannst du dich auch deiner Wege scheren.« – Der vielfach beleidigte Otto rief seinem Hengst, rüstete ihn, saß auf, und nahm mit großer Freundlichkeit die Einladung des edlen Jägers an, ihn auf sein naheliegendes Schloß zu begleiten, um dort in zahlreicher Rittergesellschaft alles Ärgers über diesen wunderlichen Vorfall zu vergessen. Tebaldo saß auch schon zu Roß, und ritt langsam und traurig fort, während Otto und der Fremde nach der entgegengesetzten Richtung aufbrachen. Da wieherten der Lichtbraune und der Polack, und wollten nach einander hin, aber ihre Reiter trieben sie den eingeschlagenen Weg entlängst, obgleich sie es selbst nicht lassen konnten, sich mit großer Wehmut nacheinander umzusehen.
Schon war Otto eine gute Strecke neben dem Fremden fortgeritten, da trabte es plötzlich hinter ihnen, und umschauend sahen sie, daß es Tebaldo war, der jedoch sein Roß anhielt, so wie nur Ottos Blick auf ihn traf, und mit einer ihm ganz ungewohnten Demut in deutscher Sprache ganz leise sagte: »Herr, ich glaube, ich hatte unrecht, und ich will gerne wieder mit.« – Da streckte Otto beide Arme nach ihm aus, und Tebaldo flog jubelnd heran, und während die Gefährten sich herzten und drückten, wieherten der Lichtbraune und der Goldgelbe lustig darein.
Als nun alle dreie mitsammen weiter ritten, gab der edle Jäger seine Freude über diese Versöhnung in recht innigen Worten zu erkennen, und sagte, es lohne wohl der Mühe, daß braver Ritter so bravem Reisigen was zugut halte, denn solch ein Bund halte manch Dutzend andrer Bündnisse, und sei es auch zwischen König und König, aus. Darauf fing er an, von seinem Falken die artigsten Dinge zu erzählen, und von den Falken überhaupt, und wie sie älter würden, als hundert Jahr, und man auf goldnen Halsbändern solch edler Tiere noch bei ihren Lebzeiten gefunden hätte, daß sie schon längst verblichner großer Helden Eigentum gewesen wären, und wie sie nach ihrer Herren Fall oft Land und Meer weitaus umzogen, wild bleibend, bis sie einen neuen Herren fänden, der des alten würdig sei. Tebaldo befreundete sich darüber ganz mit diesen ritterlichen Vögeln, und gab seine Reue, den edlen Flügeljäger eines solchen Herren verletzt zu haben, ganz unverhohlen kund.
In den ersten ruhigen Augenblicken aber hatte Otto alsbald bemerkt, daß der fränkische Waidmann der Freiherr Folko von Montfaucon sei, während dieser freilich in dem stattlichen, reichgeharnischten Rittersmann jenen vorlauten Knappen vom Donaustrande mit keinem Gedanken wiedererkennen konnte.
In Herrn Folkos Schloß, bei der lustigen Abendtafel, saßen viel edle Ritter von mancherlei Völkerschaften beieinander, und sonst auch andere Männer an Geist und Leben frisch, unter denen Tebaldo seine Stelle geziemend fand. Er sprühte bald in seiner italischen Lustigkeit zum Vergnügen der ganzen Gesellschaft auf, und ward vorzüglich durch einen seiner Landsleute, den man Graf Alessandro Vinciguerra nannte, wohlgefällig bemerkt, während Otto ganz still und schweigsam dasaß, nach dem ersten Erstaunen, welches seine hohe, schöne Gestalt und sein glänzend ritterlicher Aufzug geweckt hatte, von allen übersehn. Als die Becher schneller kreisten, und mit feurigem Weinen gefüllt, fiel man darauf, die gesellige Lust durch das Erzählen allerlei bedeutsamer Geschichten zu erhöhen. An Stoff konnte es unter so weit und rühmlich umhergefahrnen Rittern, unter so edlen Meistern in mancher Kunst, nicht fehlen, und alle baten gemeinsam den Hausherrn, daß er den Anfang machen sollte. – »Es dient dem Wirte nicht zur Entschuldigung«, sagte Folko, »daß er nur schlechte oder mittelmäßige Blumen in seinem Garten hegt; genug, wenn seine edlen Gäste ihrer begehren, und somit nehmt hin, was ich zu spenden vermag.«
»So wird mehrern unter euch nicht unbekannt sein, daß mein Haus in den Gebirgen von Norwegen seinen Ursprung hat, und wir dorten noch viel der edlen Verwandten zählen. Von da aus landeten meine Ahnen erobernd auf der fränkischen Küste, drangen erobernd ein in den Bezirk, welcher noch heutzutage Normandie geheißen ist, und brachten unter vielen wunderlichen Sagen auch folgende mit: Ein alter, weitberühmter Held hatte ein holdes Töchterlein, die war Schön-Sigrid geheißen, man sprach in allen nördlichen Landen von ihr, und sie hatte der Werber viel. Außer ihrer Schönheit war sie auch noch glänzend durch ihre seltne Kunde in allen anmutigen Weiberkünsten, und in allem Wissen, dem erfreulich heitern sowohl, als dem geheimen, zaubrischen, welchem sich die Frauen jener Gegenden gern ergeben. So wußte sie vor allem gut einen Trank zu bereiten, welcher, vorsichtig genossen, den Kämpfer mit unerhörter Kraft und Freudigkeit beseelt, ja ihn jeder andern als einer gefeieten Waffe unverletzbar macht. Es soll der Frauen, dieses seltsamen Trankes kundig, noch manche bis auf diese Stunde in den Nordlanden geben, ja, das Geheimnis desselben in einem Zweige unsers Stammes da oben erblich sein.
Nun sagte der alte Held einmal zu seiner Tochter: ›Schön-Sigrid mach dich auf, und geh in den Wald hinaus, und pflücke Beeren rot und Blätter grün. Ich brauche morgen deinen Trank, denn ich ziehe fort in eine heiße Schlacht.‹ – ›Mit wem, Vater, habt Ihr's denn?‹ fragte Schön-Sigrid; und der alte Held entgegnete: ›Mit Hakon Swendsohn, dem jungen Recken, der mich wohl einst in allen Nordlanden überfliegt, wenn ich den kühnen Aar nicht niederzwinge, bevor er noch all seine Kräfte hat. Zudem, weißt du wohl, ist er uns aus einem feindlichen Stamme.‹ – Und Schön-Sigrid zog hinaus in den abendlich dunkeln Wald, einsam, wie es die zaubrische Weise der Trankesbereitung gebot.
Felsen auf und Felsen ab, über die Ufer der Waldströme hin, die leichtgeworfne Fichtenstämme nur kaum verbanden, durch manches finstre Tal, und an manchem schaurigen Abgrund entlängst zog Schön-Sigrid fort, und hatte nun all ihre Kräuter zu dem seltsamen Tranke gefunden, da sah sie im schon hereingebrochenen Nachtdunkel umher, und stand