Die Jungfrau aber sah ihre Muhme mit einem seltsamen Blicke an, denn sie hatte schon seit geraumer Zeit mehr Verlangen nach den geheimen Zauberkünsten empfunden, als Schauder davor, und war nun im Begriffe, die Drude zu bitten, sie solle sie einweihen in all das viele Wunderbare, welches sie hier umgebe. Aber Frau Minnetrost warf einen noch weit seltsamern Blick zurück, davor sich Bertha sehr entsetzte, und ihr mit einem Male alles wieder furchtbar in die Sinne treten mußte, was ihr jemals an den magischen Erscheinungen unheimlich vorgekommen war. Die Muhme indes starrte sie immer ernsthafter und durchbohrender an, und sagte endlich: »Kind, Kind, törichtes Kind, warum wolltest du bitten? Vermeinest du denn, weil du mit jenen wunderlichen Geheimnissen spielen darfst, es seie überhaupt nur ein Spiel damit? Wem es Gott eröffnet hat, der muß die ernste Bürde tragen, weil er nun einmal dazu geordnet ist. Kein andrer aber strecke die Hände darnach aus. Wehe, sehr wehe, tut oftmals diese Last. Ach, Kind, glaubst du denn, ich hätte immer hier gewohnt? Immer so einsam und unverstanden? Nie mit einem Namen wie andre Menschen geheißen? Ach nein, ach nein! Ein glückseliges Leben habe ich geführt, und mein geheimes Wissen hat es zerstört, obzwar ohne meine Schuld. Nun nennen sie mich Minnetrost, und ich habe für die Minne vieler Leute Trost; für meines eignen Lebens Minne hab ich keinen mehr.« – Damit fing sie mildiglich zu weinen an, und legte ihr Haupt, wie tränenmüde, an der Jungfrau Brust. Das ging recht wehmütig süß durch Berthas Herz, denn sie hatte ihre wundersame Muhme bis jetzt nur immerfort in stiller Heiterkeit gesehn, wie einen leuchtenden Mond, und nun ward es ihr erst recht klar, daß auch sie ein menschliches, Leid und Freud empfindendes Wesen sei, und sie konnte gar nicht ablassen, sie auf das liebevollste an sich zu drücken, und mit ihr zu weinen, und zu ihr zu sagen: »Ach liebe, liebe Muhme, wie so gar unaussprechlich habe ich Euch lieb!« – Frau Minnetrost aber richtete sich mit freundlichem Ernst wieder empor, und sprach: »Wenn du mich denn so lieb hast, mußt du es auch hübsch darnach einrichten, daß wir beisammen bleiben können. Siehe, ich reise nun auf eine ganze Zeitlang von hier, hoch nach der nordischen Warte im Schwedenlande hinauf, die du bei deinem Bildern so gerne siehst. Zwar reise ich wohl schneller, als andre Menschenkinder zu tun pflegen, aber weit ist doch immer die Fahrt, hochwichtig das Geschäft, unsre Trennung lang! Da halte dich nun derweile recht still und eingezogen daheim; siehe auch nicht aus den Fenstern, noch minder über die Zinnen hinaus, wenn ich dir raten soll. Auch wird dein Bruder in dieser Zeit nicht vor die Tore kommen; ich hab' es ihm durch einen Boten angesagt. Doch sollst du dich gar wohl ergötzen: der Bilderspiegel wird dir schöne Dinge zeigen, hell dich die Goldreifen umtönen, und Blumen und Weiher und alles wird dir dienen, als wär ich selbsten hier. Doch, liebes Kind, zeuch nicht den Vorhang von dem Spiegel mit deiner Hand zurück, bring nicht mit deiner Hand die Goldreifen in Bewegung, berühre mir die Blumen nicht. Wenn du von irgendwo was begehrst, so sing in deine Laute, oder spiel' auch nur darauf, und es wird kommen. Geduld, mein liebes Kind, und Sanftmut, und Gehorsam! Dann bleiben wir beisammen, und alles wird bald unaussprechlich gut!«
Dabei küßte sie die staunende Jungfrau, und begab sich schweigend in ihr Gemach. Am folgenden Morgen suchte Bertha nach der Muhme in der ganzen Burg vergebens.
Verschiedene Tage der Einsamkeit waren an Bertha still und friedlich vorüber gegangen. Alle die wunderbaren Töne und Gebilde hatten auf das Anmutigste mit ihr gespielt, und indem sie die Sorge für Garten und Wirtschaft und Küche ganz allein übernahm, ward ihr doch alles vor unsichtbaren Begünstigungen so leicht, daß es minder Geschäfte zu sein schienen, als artige Spiele, mit zu den andern gehörig. Da ließ sie sich eines Nachmittags von der Barke auf dem tiefblauen Weiher umherwogen, und die Sommerlüfte spielten erquickend um Stirn und Wangen der holden Schiffenden. Zugleich hielten sonndurchblitzte Wölklein ordentlich einen Reigentanz am Himmel, und viele Vögel flatterten auf die Zinnen der Burg, sahen zwischen die weißen Blumen herein, und schwangen sich dann wieder jubelnd und tirilierend, wie trunken von Lust und Freiheit, durch die heitre Tagesbläue hin. Es war, als wolle ihr das alles zusammen etwas von draußen erzählen, und sie ermuntern, doch wenigstens einen einzigen Blick in die lustige Weit hinaus zu tun. »Was könnte es denn am Ende auch schaden?« sagte sie zu sich selbst. »Es ist die Frage, ob ich überhaupt die Muhme mit ihren Warnungen recht verstanden habe. Auf die Erde hinauszublicken, für die mich Gott erschaffen hat, kann mir doch unmöglich irgend jemand verbieten wollen.« – Und fast so schnell, als der Gedanke gedacht war, hatte auch Bertha die goldhelle Barke zum Ufer zurücke gewandt, und weil sie ja doch weit minder über die Zinnen als zu den Fenstern hatte hinausschauen sollen, erwies sie sich, wie sie meinte, recht gehorsam, ging vor den lockenden weißen Blumenwarten vorbei, und in ein Gemach, von wo sie wohl sonst, wenn sie mit ihrem Bruder an den Zinnen sprach, die Muhme hatte herausblicken sehen. Das Kämmerlein enthielt auch weiter nichts Heimliches, und Bertha hatte alsbald das buntbemalte Glasfenster geöffnet, und schaute über das weite grüne Land dahin.
Eine sehr vergnügliche Aussicht tat sich von hier über fruchtbare Wiesentäler auf in das nahe Meer hinein, auf dessen windstillem Spiegel die Sonnenstrahlen ihr leuchtendes Spiel trieben, ein nahes buschiges Eiland, wie mit goldblauen Gluten umkränzend. Bertha fühlte sich nach dem Eilande von einer tiefen Sehnsucht hinübergezogen; sie dachte, ohne zu wissen warum, Otto müsse darauf wohnen, und sich eine blühende Siedlerhütte unter den Schatten gebaut haben, in gänzlicher Vergessenheit der prächtigen Gabriele, und im stillen Harren und Hoffen nach seiner ersten Minne. Es kam ihr das alles immer wahrhafter und notwendiger vor; sie meinte schon zu wissen, wie der Boden zwischen den Gesträuchen durch Ottos Pflege hell und duftig erblüht sei, und wie zierlich geordnete Pfade sich weißleuchtend durch die Pflanzung hinschlängen. Bald darauf schwebte ein Nachen heran, der zwischen dem Eilande und der Küste hin und her wogte im Sonnenglanze, und die Gestalt ihres Bruders in dem Fahrzeuge ward ihr mit jedem Augenblicke kenntlicher an Wuchs, Bewegung, und Farbe und Schnitt der Kleidung. – »Mein Gott«, dachte sie, »sollte der wohl Otto gefunden haben auf der Insel, und sich mit ihm versöhnt, und mich nun hinüberrudern wollen zu ihm?« – Dabei kam es ihr ganz deutlich vor, als winke Heerdegen mit einem weißen Tuche nach ihr; aber wie sie eben das ihre faßte, den Wink zu erwidern, erschrak sie vor der Versuchung und schlug das Fenster zu. Mit tiefer Wehmut dachte sie an ihre gütige Muhme, und wie sie am Abend vor der Abreise so herzensfromm und betrübt gewesen sei, und sie mußte bitterlich weinen, daß sie deren Rat und Bitten auch nur Augenblicks habe ungetreu werden können. Dennoch, – so schwach in der Versuchung sind wir arme Menschen! – ließ die Lust nach dem Eiland und dem Nachen keinesweges von ihr ab, und um sich selbst vor sich selbsten sicher zu stellen, sagte sie mehrmals laut: »Törichtes Zeug! Ich habe gottlob! ja nicht einmal die Schlüssel zum Burgtor.« – Da ward es plötzlich in ihr ganz klar, daß sie recht gut wisse, wo sie liegen, und ihre Bangigkeit stieg so hoch, daß sie sich auf keine Weise mehr zu raten und zu helfen wußte.
Ängstlich nach Zerstreuung suchend, vor ihrem eignen Wollen in übereilter Flucht, rannte sie nach dem Gemach, drinnen der Spiegel mit den Bildern eingefugt war. Sie streifte unterweges an einen Sessel, worauf ihre Laute lag, und die freundlichen Saiten klangen ihr nach, als wollten sie ihr zurufen: »Nimm uns doch mit, du sollst uns ja klingen lassen, wenn du etwas von den schönen Wunderdingen willst!« – Aber Berthas aufgeregter Sinn hatte für solche leise Sprüche jetzo kein Gehör,