Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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och, nich aushalten! – Kathe!«

      Dann faltete sie die Hände und sah sie mit Augen am, in denen man ihre kniende Seele schaute.

      Das Mädchen stellte den Teller auf den Stuhl und beugte sich im Schmerz ihres Mitleids über die arme Mutter:

      »Mariela, gell, wart och noch a bissel. Siehch och, de Klessen muß doch erscht kommen.«

      Sie küßte sie, und wider Willen traten ihr Tränen in die Augen. Voll Sorge drückte sie ihr Gesicht seitwärts in die Kissen, um die Verräter des Elends zu verbergen. Aber wie ihre Stirn sich hinschob, mußte ein heißer Tropfen auf das Gesicht Maries gefallen sein. In hartem Stoß schob die beängstigte Mutter die Weinende von sich und sah ihr scharf ins Gesicht.

      »Kathe... Kathe!... warum... warum flerrst du denn? fragte sie dann stockend, überlegte einen Augenblick und fuhr dann dumpf fort:

      »Denkt ihr denn, ich seh' nich das und jes eim Tage und ei der Nacht Dinger, daß mir de Haare ge Berge gehn un mei Herze sich harte knüllt wie ein Steen! du! Hach! Wenn ich mein Gott nicht hätt', vo dem ich mehr weeß wie ihr alle... Kathe, sag du's ruhg, mir schadt nischt, mich hat mei lieber Herrgott richtig of d'r Hand.«

      Kathe hatte schon die Tränen aus den Augen gerissen und lachte rührend:

      »Mariela, da soll eem nich weech ums Herze wern, wenn eene Mutter a so um ihr Kind betteln muß. Siehch, wegen mir hättst's schon lange. Aber was tät's nutzen? 's wür dich packen, daß dich's mitnähm. Wer weeß denn? Nach, und was sollte denn das arme, liebe Jüngel ohne Mutter?«

      Eine Weile lag Marie und sah mit großen, blicklosen Augen, indessen es an ihre Seele griff mit den tiefen, verschwommenen Lauten eines fernen, unruhigen Wassers.

      Mit tiefem Atemzuge schüttelte sie es ab, streckte den Arm aus und preßte Kathes Hand mit innigem, dankbarem Drucke:

      »Du hast recht, was wär' mei Jüngel ohne mich! Siehch, ich wer nischt nie meh sagen, 's wird wohl kommen. – Ach, und wenn ich gesund bin... 's wird alles wieder wern, denn siehch, dr Himmel is mei Zeuge, wenn's mir nachgegangen wär'... was red' ich denn? – Geh und sing' mr a Wiegenliedel: ›Heia popeia Windelkind‹ oder ›Schlaf, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist du‹. Du hast noch nich eemal gesungen.«

      Kathe ging.

      Bald darauf schwangen die Bogen der Wiege, man hatte den Knaben seit Tagen aus dem Korb genommen, knarrend über die Diele. Das Mädchen sang dazu leise, mit leidbebendem Munde. Der verhaltene Schmerz verlieh den Tönen eine ergreifende Tiefe. Endlich zerfloß das Lied in der Stille, und Kathe schlich leise in den Schuppen, um Holz zu holen. Das Einklinken der Tür störte Marie aus ihrer seligen Versunkenheit. Sie wandte den Kopf. Das Lied verstummt. Die Stube leer. Die Uhr pickte in die Stille: »Komm, komm, komm, komm.« Lockend wie ein silbernes Stimmchen.

      Da übermannte sie die Sehnsucht nach ihrem Kinde. Der Wind mummelte im Schnee draußen dumpfe Drohungen. Aber Marie fühlte sich aufgehoben. Schon berührten ihre Füße den Boden. Ihre Augen maßen die Entfernung bis zur Wiege. Sie stand bebend am Ofen. Ein weißes Linnen lag über das schlafende Kind. Einen Augenblick dachte sie noch an Kathe, die durch ihren ungehorsam beleidigt sein werde.

      Aber nur einen Blick darauf werfen! Nur einen einzigen Kuß! Und hob das Linnen. Schnell, schnell! Kathes Schritte!

      Einen Kuß...

      Sie erblickte den Wechselbalg, riß das Linnen in den Mund und brach stumm zusammen. –

      Kathe fand einen Menschenleib neben der Wiege, starr, langhinliegend, auseinandergereckt von der Folter des Elends. Sie faßte Marie in den Achselhöhlen und schleifte sie über die Schwelle. Die Fersen schlugen wie totes Holz auf. Dann lag die Fühllose endlich auf ihrem Lager. Aber das Linnen ließ sie nicht los aus ihren kalten Fäusten, zwischen den zusammengebissenen Zähnen.

      »Das wird dei Tod sein, armes Weib«, sprach Kathe tonlos.

      In ihrer Hilflosigkeit kniete sie neben das Bett und betete.

      Da schlug Marie die Augen auf, riß mit einem Ruck das Linnen aus dem Munde und starrte verständnislos darauf. Dann sah sie mit stierem Blick auf Kathe.

      »Was soll nu das Beten, hahaha!!!«

      Mit knirschend-wundem Lachen drehte sie sich von Kathe ab, schaute auf die weiße Wand und rührte sich nicht.

      Schauernd ging Kathe hinaus und schloß in Furcht die Tür hinter sich.

      Nach einigen Minuten hörte sie ihre Schwägerin wieder schreiend, leer und hart lachen. Das erschütternde Lachen der Verzweiflung.

      22

       Inhaltsverzeichnis

      Der Schrecken des Mädchens war ganz unnötig. Die Tür, welche sie lange an dem Eisenknopfe in der Mitte zugehalten hatte, wurde nicht aufgerissen. Ihre arme Schwägerin stürzte nicht mit wahnsinnig irrem Auge und fliegendem Haar herein, um sie und den Wechselbalg zu erwürgen.

      Das herzzerreißende Lachen ward nie mehr laut in dem Schlafraum. Ja, jene qualvoll stöhnenden Atemzüge hörte sie nicht einmal mehr, mit denen das tiefste Menschenleid sich am Leben erhält. Es war still, ganz still.

      Und nachdem Kathe ein wenig gelauscht hatte, wagte sie es, die Tür einen Spalt zu öffnen.

      Es war still, ganz still.

      In Angst schlug das Mädchen auf den Drücker, daß er grell schnappte.

      Marie rührte sich nicht. Mit gegen die Wand gekehrtem Gesicht, den rechten Arm straff aufs Bett gestreckt, die Hand zur Faust geformt, lag sie wie im Starrkrampf. Sie war wohl tot.

      »Marie! Marie!«

      Und dann, als sie ganz nahe stand und den dringenden Ruf lauter erhob, nahe an dem blutlosen Ohr, schob das Weib endlich den Kopf herum und sah sie steif an, mit regungslosen, kalten, großen Augen. Lange und wortlos. Ihr Gesicht war wie eine Wand, ohne jede Seele. Alles, was das Mädchen in Barmherzigkeit zum Trost reden wollte, erstarb vor dem Grauen, das dieses todessteife Antlitz einflößte.

      »Gott sei dr gnädig«, mit diesem Wunsche ihres Herzens schlich sich Kathe ratlos auf den Zehen über die Schwelle.

      Marie sah, als sie wieder allein war, noch eine Weile starr zur Decke. Dann kehrte sie langsam, daß kaum eine Falte des Bettes sich rührte, ihr Gesicht der Wand wieder zu.

      Sie redete nichts mehr, was Kathe auch sagen mochte, verweigerte die Annahme jeder Nahrung und lag in gleicher Starrheit, mit abgewandtem Gesicht einen Tag, zwei Tage. Denn sie haßte das Leben, das sie um alles betrogen hatte, und ihr Sehnen war auf den Tod gerichtet.

      Durch die einfachen Fenster der kleinen Luken drang die Winterkälte herein, aber sie zog den nackten Arm nicht ins Bett. Ihr Empfinden schien ausgelöscht, daß sie den Schmerz nicht empfand. Am vierten Tage war der Arm bläulich und welk. Kathe konnte den Kopf der Armen hin und her bewegen wie bei einer Toten. Mit Gewalt wollte sie ihr einen Löffel voll Suppe einflößen. Der Mund blieb trotzig geschlossen, und die Augen sahen durch einen Spalt verächtlich auf sie.

      Kathe weinte, bat, drohte. Die Zähne der Todsüchtigen ließen nicht voneinander.

      Nach langem Bemühen zog Kathe ihren Arm unter Maries Kopfe hervor, und er sank schlaff in die Kissen zurück mit herausgekehrtem Gesicht und geschlossenen Augen. In namenloser Angst stürzte das Mädchen hinaus, durch den Hof in den Schnee und watete ziellos in das Feld hinaus, in dem niemand war als der Wind, der an den verschneiten Mauern auf und ab strich und mit den Flocken spielte.

      »Hilfe«, schrie sie, »Hilfe! Sie stirbt, sie will sterben! Ihr guten Leute, helft mir!«

      Niemand hörte sie. Endlich verließ sie der Rausch des barmherzigen Schmerzes.

      Mit wankenden Knien watete sie zurück und fand Marie in der gleichen Lage wieder.

      Am Abend stellte sich