Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445761
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Reykjavik Der isländische Landeshauptmann

      Als wir die Vestmanna-Inseln gegen 2 Uhr nachts verlassen hatten, gingen alle Passagiere zur Ruhe, und ich zweifle nicht, dass nach diesen mannigfaltigen nächtlichen Eindrücken jeder ausgezeichnet schlief.

      Am andern Morgen erwachte ich, als wir gerade in den breiten Faxafjord einliefen, in dem die isländische Hauptstadt Reykjavik liegt.

      Das Wetter war sehr schön und warm. Es herrschte vollständige Windstille. Die Luft war so klar, dass man in der Ferne den bekannten, jetzt erloschenen Vulkan Snaefell deutlich sehen konnte, blendend weiss von Eis und Schnee, und nicht weit von der Stadt die majestätische, ebenfalls mit etwas Schnee bedeckte Bergkette Esja.

      Im Hafen fuhren wir an einigen grünen, bewohnten Inseln vorbei. Zwischen ihnen und dem Lande war noch viel Platz für Schiffe. Von den anwesenden Dampfern war der grösste das französische Kriegsschiff „Nielly“. Etwas weiter weg lag ein dänisches, „Diana“ mit Namen. Die vielen Handelsschiffe beachtete man diesen Kolossen gegenüber weniger.

      Das französische Kriegsschiff war da zur Sicherheit für die zahlreiche französische Fischerflotte, die jedes Jahr an die isländische Küste kommt, weshalb im Sommer auch vierbis fünftausend Franzosen bei und auf Island leben (ausser zahlreichen Engländern, Deutschen, Amerikanern, Skandinaviern und Färingern).

      Die isländische Fischerei bringt den Fremden jährlich dreissig bis vierzig Millionen Kronen ein. Die armen Isländer selbst hatten bisher nicht das Kapital gehabt, um sich einen grösseren Anteil an diesen Schätzen, die ihnen doch am nächsten liegen, zu verschaffen. Auch die Dänen hatten sich hier nicht weiter an der Fischerei beteiligt.

      Heute ist das Verhältnis allerdings ganz anders geworden, denn jetzt ist es auch den Isländern gelungen, riesengrosse Fischereiunternehmungen einzurichten.

      Reykjavik gleicht in etwa einer kleinen norwegischen Handelsstadt und hatte, als wir es besuchten, rund 4000 Einwohner. In den späteren Jahren ist es sehr rasch aufgeblüht. Heute zählt es bereits über 30 000 Einwohner.

      Sobald wir Anker geworfen, wurde unser Schiff von einem Schwarm von Booten umringt. Um eines davon so bald wie möglich für Friedrich und mich zur Fahrt ans Land zu bekommen, wandte ich mich sofort an einen jungen Mann, der gerade auf Deck kam, und fragte ihn:

      „Können Sie uns und unser Gepäck zur Stadt mitnehmen?“

      „Gern“, erwiderte er höflich, „ich werde Ihnen gleich helfen, Ihre Koffer hinunterzubringen.“

      So waren wir bald mit all unsern Sachen unten im Boot.

      Auf dem Wege ans Land, der eine Viertelstunde betrug, mussten wir nach alter isländischer Sitte dem jungen Mann Rede und Antwort über uns geben: über Namen, Heimat, Zweck unserer Reise usw. Alle Fragen wurden aber in einer so unschuldigen, geraden Weise gestellt, dass man sie nicht als taktlos empfinden und übel aufnehmen konnte. Der Mann begann:

      „Darf ich fragen, wie Sie heissen?“

      „Ich heisse Jón Svensson.“

      „Und wie heisst der Junge?“

      „Der heisst Friedrich.“

      „Und wo, mit Vergunst, sind Sie zu Hause?“

      „In Charlottenlund bei Kopenhagen.“

      „Darf ich nach Ihrem Stand fragen?“

      „Ich bin Lehrer an einer Lateinschule.“

      „Wollen Sie sich vielleicht hier niederlassen?“

      „Nein, wir werden hier in Reykjavik nur zwölf Tage bleiben, dann reisen wir nach dem Nordland.“

      Unter solchen und ähnlichen Fragen kamen wir rasch zur Landungsstelle. Friedrich und ich nahmen dort unsere Sachen aus dem Boot und verabschiedeten uns. Als ich bezahlen wollte, erhielt ich von dem jungen Mann die Antwort, für so einen kleinen Dienst nehme er kein Geld. Dann besorgte er uns einen Träger, der unser Gepäck nach dem Hotel „Reykjavik“ brachte.

      Dieses Hotel war ein geräumiges hölzernes Gebäude in der Hauptstrasse der Stadt. Die Wirtin, Frau Zoëga, eine Isländerin, nahm uns mit grösster Zuvorkommenheit auf, und bald sassen wir behaglich in einem netten kleinen Zimmer im ersten Stock.

      Frau Zoëga, eine würdige, gewandte Dame, hatte sich mehrere Jahre in England aufgehalten, um die englische Küche praktisch kennen zu lernen. Der Tisch bei ihr war denn auch ganz ausgezeichnet und vollständig englisch.

      Es gab zwei Klassen im Hotel; in der ersten Klasse war der Preis 5 Kronen (5—6 Mark) täglich für Kost und Wohnung, in der zweiten Klasse war es bedeutend billiger. Für uns wurde der Preis herabgesetzt, weil wir zwei Personen waren und uns zwölf Tage lang aufhalten wollten.

      Die Tagesordnung war ungefähr diese: morgens Kaffee (wenn es gewünscht wird, mit Kuchen); um 1 Uhr zweites Frühstück: kalte Küche mit einem oder zwei warmen Gerichten; um 7 Uhr gemeinschaftliche Tafel mit drei warmen Gerichten.

      Wie man sieht, war hier alles so ziemlich modern europäisch. Das gleiche gilt von allen bessergestellten Leuten in Reykjavik. Von unserem Aufenthalt in der Stadt ist daher nicht viel Besonderes zu berichten.

      Reykjaviks Hafen ist prächtig und grossartig. Er ist aber von der Natur allein geschaffen. Grössere Werke von Menschenhand sind hier noch selten, dafür ist die Stadt zu klein.

      Bevor wir Reykjavik verlassen, darf ich nicht vergessen zu erzählen, wie ausserordentlich liebenswürdig der Landeshauptmann, Herr Magnus Stephensen, und seine Frau sich gegen uns erwiesen. Sie waren beide hochgebildete Menschen. Der Befehlshaber des französischen Kriegsschiffes „Nielly“, den ich einmal besuchte, sagte mir unter anderem, der Landeshauptmann spreche so vollkommen französisch, dass man bei ihm nicht den geringsten Unterschied von einem Franzosen merke.

      „Ausserdem“, fügte er hinzu, „muss man sich sehr in acht nehmen, dass man sich in der Unterhaltung mit ihm nicht blamiert; er ist nämlich in der französischen Literatur vorzüglich bewandert.“

      Mir gegenüber war der Landeshauptmann, wie gesagt, äusserst liebenswürdig. Er lud uns mehrmals ein, seine allerbesten Reitpferde zu benutzen; auch gab er uns seinen kleinen Sohn Magnus, mit dem ja Friedrich bereits auf der Fahrt mit dem Dampfer „Botnia“ von Kopenhagen nach Island Freundschaft geschlossen hatte, als Führer mit und stellte uns ausserdem einen Diener zur Verfügung. Wir fühlten uns daher sozusagen wie eine vornehme Gesellschaft.

      Einmal unternahmen wir in solcher Begleitung einen Ritt in die Umgegend von Reykjavik.

      Dieser Ausflug war eine sehr gute Vorbereitung für unsere bevorstehende grosse Reise durch das Land. Wir besuchten dabei unter anderem die nahe gelegenen heissen Quellen, die eigenartigste Wäscherei der Welt, wo alle Wäsche der Stadt gereinigt wird in Wasser, das, von vulkanischem Feuer erwärmt, aus Kratern strömt. Auch setzten wir auf unsern zuverlässigen Pferden über einen Fluss und machten uns mit den verschiedensten Arten von Wegen bekannt.

      Der kleine Magnus ritt auf seinem eigenen Pferd, einem kleinen, feurigen Tier. Trotz seiner jungen Jahre war er ein so ausgezeichneter Reiter, dass er und sein Pferd wie in eins verwachsen schienen. Bisweilen sprengte er so stürmisch voran, dass ich mir ernstlich Sorge um Friedrich machte, ob er noch mitkommen könne. Aber als echter Junge zeigte Friedrich nicht die geringste Furcht, und es ging auch alles gut.

      Friedrich ritt auf dem Pferde der Frau des Landeshauptmanns, ich auf dem Pferde des Landeshauptmanns selbst. Darauf waren wir beide nicht wenig stolz. Diese prächtigen Tiere gehörten gewiss zu den besten und edelsten in Reykjavik, und es ritt sich so vorzüglich auf ihnen, dass man auch im wildesten Galopp beinahe so sanft wie in einem Sofa auf ihnen sass. —

      Überall, wohin wir auf unserem Ritt kamen, waren die Leute ausserordentlich freundlich gegen uns und stets gerne bereit, uns gute Winke für unsere bevorstehende grosse Reise nach dem Nordland zu geben. Wir erhielten auf diese Weise die trefflichsten Ratschläge über die Behandlung der Pferde, über Ausrüstung, Kleider und Lebensmittel, mit denen wir uns versehen sollten, über die Wege, denen wir am besten