Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445761
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zu schlafen. Mein ganzes Innere war in höchster Spannung.

      Ich blieb also auf Deck und ging auf und ab, tief in Gedanken und Erinnerungen versunken und noch immer gefangen von all den neuen Eindrücken und Bildern ringsumher. —

      Meine Ausdauer sollte ich nicht bereuen. Nach ein paar Stunden erhob sich ein starker Sturm, der in wenigen Minuten den Nebel wegfegte, und mit einem Schlag tat sich jetzt eine Landschaft auf, die bei weitem alles übertraf, was wir bisher auf unserer Fahrt gesehen hatten:

      Nahe vor uns, nur noch eine dänische Meile entfernt, die zaubervollen, prächtigen Vestmanna-Inseln, rechts in der Ferne auf Island, im Goldglanz der nordländischen Abendsonne, eine ganze Gruppe Jökulls: zunächst der mächtige Eyjafjallajökull, dann weit im Hintergrund Islands bekanntester Vulkan, die Hekla.

      Das war ein unbeschreiblich schönes Schauspiel

      Aber das Merkwürdigste war die Beleuchtung, besonders wenn man bedenkt, dass es um Mitternacht herum war. Unendliche Massen von Eis und Schnee erstrahlten, soweit das Auge reichte, als ob sie in lichterloher Glut stünden. Der ganze nordwestliche Horizont nahm sich eine Zeit lang aus wie ein einziges Feuermeer! Selbst die eiskalten, schimmernden, weissen Jökulls erschienen nicht mehr leblos in dieser purpurroten und goldfarbenen Wunderbeleuchtung. Es war überwältigend: so schön, so gross, so herrlich, dass ich lange wie ausser mir vor Bewunderung dastand.

      Alles in dieser sonst so ernsten Natur war wie durch einen Zauberschlag lauter Licht und Leben geworden.

      Das mussten unsere Passagiere alle sehen! Schnell wurden darum die Schlafenden drunten in ihren Kojen geweckt, und kurz nach 1 Uhr nachts, als wir bei den Vestmanna-Inseln anlangten, waren alle, fertig angezogen, oben auf Deck versammelt.

      Die Gehöfte, die man jetzt drüben auf Island deutlich erkennen konnte, lagen so dicht unter dem Eyjafjallaberg, dass es schien, als müssten sie jeden Augenblick von den ungeheuren Eismassen hoch oben gerade über ihnen erdrückt werden.

      Alles war ergriffen von dem grossartigen Bild. Zwei deutsche Herren hörte ich ausrufen:

      „Wir haben die ganze Schweiz durchreist, aber so etwas haben wir nie gesehen!“

      Plötzlich macht unser Schiff halt. Ein lauter, langer Pfiff gellt durch die Nacht. Mit voller Kraft will die Dampfpfeife die Bewohner der Inseln wecken, die eben in ihrem süssesten Schlafe liegen. Wir sollen nämlich von den Vestmanna-Inseln Waren und Reisende nach Reykjavik aufnehmen, darum muss schnell ein Boot vom Lande herbeigerufen werden.

      Wir bekamen also hier das erste isländische Fahrzeug und die ersten Isländer zu sehen!

      An Bord herrscht nun begreiflicherweise grosse Erwartung. Aber der Wind scheint an Heftigkeit zuzunehmen; es kann noch keine Rede davon sein, dass wir Anker werfen, das Schiff muss ständig unter Dampf gehalten werden.

      Eine gute Viertelstunde nach dem ersten Signal pfeift es von neuem mit aller Kraft. Am Lande aber rührt sich wieder nichts. Trotzdem wir uns eine halbe Stunde lang so nahe wie möglich an der Küste halten, scheint die Dampfpfeife nichts auszurichten.

      Zur Maschine hinunter wird jetzt ein neues Kommando gegeben. Das Schiff macht darauf eine Schwenkung nach rechts und dampft nach der andern Seite der Insel, um dort die Weckversuche zu wiederholen.

      Abermals ruft die Dampfpfeife, lang und kräftig. Aber auch hier ist keine Wirkung wahrzunehmen. Die See sei allzu gefährlich, meinen die meisten; die Leute würden es vermutlich vorziehen, sich lieber nicht in diesen Sturm zu begeben.

      Ich ging jetzt zu einer Gruppe Engländer hin, die ja im Rufe stehen, sich in der Seefahrt auszukennen, und fragte sie um ihre Ansicht. Sie schüttelten den Kopf und sagten, ein Boot könne sich unmöglich bei einem solchen Wetter herauswagen.

      Da war also guter Rat teuer. Sollten wir weiterfahren nach Reykjavik, oder sollten wir die ganze Nacht hier warten?

      Der Kapitän fuhr fort, die stärksten Signale zu geben.

      Auf einmal erschallt der Ruf:

      „Ein Boot vom Lande!“

      Alle schauen angestrengt nach der bezeichneten Richtung. Und wirklich, ein kleiner dunkler Punkt bewegt sich dicht unter einem hohen vorspringenden Felsen am Ufer. Er verschwindet von Augenblick zu Augenblick vollständig zwischen den Wassermassen, dann zeigt er sich wieder deutlich hoch oben auf dem Kamm einer Woge.

      Kein Zweifel mehr, es ist wirklich ein Boot.

      Alle Augen folgen ihm.

      „Hurra, das sind wackere Seeleute!“ hört man jetzt von allen Seiten. „Wenn es nur gut geht!“

      Man merkte, dass hier eine Gefahr drohte.

      Die Spannung bei den Passagieren stieg immer höher. Es wurde ganz still. Einige Matrosen begannen an den Schiffsbooten zu arbeiten.

      Das machte die Sache nicht angenehmer.

      Trieb man hier wirklich ein Spiel mit Menschenleben? — Die wilden, heulenden Wasser liessen das Schlimmste befürchten.

      Doch das Boot vom Lande kam näher und näher heran.

      Mit einem Male dreht unser Schiff, die „Botnia“, und fährt zu einer Stelle, wo etwas mehr Schutz vor dem Winde zu sein scheint; denn in einem solchen Seegang bei unserem Schiff anzulegen, war eine reine Unmöglichkeit für das kleine Boot.

      Alles verharrt in ängstlicher Spannung.

      Endlich kann man Leute in dem kämpfenden Fahrzeug unterscheiden:

      Da waren zunächst acht Ruderer und ein Steuermann.

      Die Ruderer waren alle von oben bis unten in Leder gekleidet; auf dem Kopfe hatten die einen Pelzmützen, die andern mächtige Südwester. Die meisten trugen starke Bärte, einer sogar einen schneeweissen. Zwei sahen ganz jugendlich aus, ohne eine Spur von Bart; es waren zwei Knaben von vierzehn bis sechzehn Jahren.

      Nur der Steuermann stach merkwürdig von allen andern ab. Er war gekleidet wie ein Stadtherr aus Kopenhagen, mit feinem schwarzem Anzug, weissem Kragen und weissen Manschetten, und rauchte — mitten in dem Sturm — eine Zigarre!

      Zwischen den Ruderern sass wohl ein halbes Dutzend Männer und Frauen, ja selbst Kinder, die mit unserem Schiff nach Reykjavik wollten. Unten im Boot lagen eine Menge Säcke und andere Gegenstände, die nach dem Festland, das heisst nach Island, mitzunehmen waren.

      Wir beobachteten mit Spannung das kleine Fahrzeug. — Wie in aller Welt wird es sich bei derart bewegter See an der eisernen Seitenwand unseres Schiffes halten können, ohne zerschmettert zu werden? Alles schaukelt ja und wird mit Wucht und Gewalt von den empörten Wogen hin- und hergeworfen.

      Sobald das Boot, das viel grösser ist, als es anfänglich schien, unser Schiff erreicht hat, zieht seine Mannschaft auf Kommando blitzschnell alle acht Ruder ein. Im selben Augenblick haben vier Mann dicke, lange Stangen gefasst, womit sie sich den starken Stössen unseres Schiffes entgegenstemmen. Vom Deck aus wirft man gleichzeitig zwei Taue ins Boot hinab. Die werden sofort von zwei andern Ruderern ergriffen, die eilends jeder nach seiner Ecke des Fahrzeugs gesprungen sind; beide ziehen die Taue jetzt aus Leibeskräften gegen sich.

      Solange das Boot neben uns liegt, halten die vier Männer es mit den Stangen ein kleines Stück vom Schiff entfernt, während die beiden andern ständig an den Tauen ziehen, die oben bei uns auf Deck befestigt sind. Infolgedessen kommt das Boot nicht ein einziges Mal dazu, an den Dampfer zu stossen.

      Das ganze Manöver wurde so leicht und sicher ausgeführt, dass man wohl merken konnte, wie die Leute das nicht zum ersten Mal taten. —

      Nun wurden Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, Säcke und Waren, alles ungefähr auf dieselbe Weise, an Deck befördert.

      Als das Boot geleert war, füllte man es rasch vom Schiff aus wieder mit den verschiedensten Dingen, die wir von Kopenhagen mitgebracht hatten: mit Kisten und Paketen, mit kleinen Fässern, Holz- und Metallgegenständen, dass es fast bis an den Rand voll wurde.

      Dann verabschiedete man sich gegenseitig. Das