Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445761
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beide mit dem grössten Eifer unsere Vorbereitungen, denn wie gesagt, schon am 6. Juli, vormittags 9 Uhr, sollte unser Schiff, der prächtig ausgestattete kleine Dampfer „Botnia“ von der „Vereinigten Dampfschiffahrtsgesellschaft“, von Kopenhagen abfahren und uns über Schottland und die Färöer-Inseln nach Island bringen.

      Friedrich jubelte vor Freude und Begeisterung.

      Als der Tag der Abreise gekommen war, begaben wir uns schon eine halbe Stunde vor der Abfahrt an Bord des Schiffes. Aber welche Überraschung! Auf dem Deck befanden sich bereits so viele Menschen, dass es fast buchstäblich einem Ameisenhaufen glich. Es war zunächst unmöglich, in diesem Gewimmel vorwärtszukommen.

      Schliesslich glückte es mir aber, bis in die Nähe des Rauchsalons zu gelangen, freilich nicht ohne Hindernisse: bald stiess ich, ganz gegen meinen Willen, einen Herrn in den Rücken, bald einen in die Seite, einen dritten vor die Brust und meinen armen kleinen Reisegefährten sogar mitten ins Gesicht. Voll Reue, und um nicht noch mehr Unheil anzurichten, gab ich es zuletzt auf, mich weiter voranzudrängen, besonders da ich bald merkte, dass es in der Kajüte und im Rauchsalon ebenso voll war wie auf Deck.

      „Wenn nur die Hälfte dieser Menschen mit nach Island soll“, sagte ein deutscher Herr, der hinter mir in dem Gedränge gleichfalls feststeckte, „dann haben wir in ein paar Tagen Hungersnot auf dem Schiff!“

      Ich wollte gerade antworten, da läutete die grosse Schiffsglocke, und auf einmal begann die ganze Menschenmenge hinunter zu den Landungsbrücken zu stürmen. Friedrich und ich wurden beinahe umgerissen in der plötzlichen Bewegung. Bald jedoch nahm das Gedränge ab, und in kurzer Zeit war das Schiff fast menschenleer. Nur etwa vierzig bis fünfzig Personen blieben zurück.

      Das waren die wirklichen Islandfahrer. Alle andern waren Freunde und Bekannte von ihnen gewesen!

      Der genannte deutsche Herr kam nun auf mich zu und sagte lächelnd:

      „Jetzt haben wir bessere Aussichten!“ —

      Nach wenigen Minuten war das Schiff dann abfahrtbereit und setzte sich langsam in Bewegung. Wir glitten durch den Hafen zur „Langen Linie“ hinaus, während Hunderte von Taschentüchern uns vom Lande her ein letztes Lebewohl zuwinkten.

      Unser nächstes Reiseziel war Edinburg, die Hauptstadt Schottlands, wo wir in zwei Tagen eintreffen sollten.

      Das Schiff dampfte bereits immer schneller in nördlicher Richtung durch den Sund. Wir alle aber blickten noch lange auf Kopenhagen zurück, das die meisten von uns erst in einem oder zwei Monaten wiedersehen sollten. —

      Plötzlich machte der Kellner dem Gedanken hieran ein Ende; er gab das Zeichen zum Frühstück, und kurz nachher sassen wir alle an einem reichgedeckten Tisch im Speisesaal.

      Friedrich und ich bekamen unsern Platz einer stattlichen Dame gegenüber, die einen neunjährigen, frischen, munteren Knaben neben sich hatte. Von einem Nachbarn hörten wir, dass es die Frau des isländischen Landeshauptmanns Magnus Stephensen sei, die mit ihrem kleinen Sohn Magnus nach Reykjavik zurückkehrte.

      In diesem Magnus, der äusserst heiter und liebenswürdig war, fand Friedrich schnell den besten Freund und Spielkameraden. Sie stiessen in eleganter, kindlicher Weise sogleich miteinander an und waren von da an unzertrennlich. —

      Als wir nach dem Frühstück wieder auf Deck kamen, war Kopenhagen beinahe verschwunden, und die Türme von Kronborg erschienen am nördlichen Horizont.

      Die Passagiere der ersten Schiffsklasse, in der wir reisten, bildeten eine recht bunte Gesellschaft aus allen Ländern der Welt; es befanden sich unter ihnen Engländer, Deutsche, Franzosen, Dänen, Amerikaner, Isländer, Leute von den Färöern, ja selbst Russen waren vertreten. Beständig hörte man um sich die Sprachen aller dieser Länder.

      Bald wurden auch Bekanntschaften gemacht, und schon nach einer Stunde waren wir alle eine einzige, friedliche Familie, deren Einigkeit und Herzlichkeit täglich zunahm.

      2. Begegnung mit den „weinenden Jungfrauen“

      Je weiter wir uns vom Lande entfernten, desto unruhiger wurde das Meer. Ich ging deshalb zu einem alten Matrosen und fragte ihn, welche Aussichten wir wohl mit Wind und Wetter hätten.

      „Es wird schon eine bewegte See geben“, antwortete er mit einem Kennerblick auf Himmel und Meer. „Sehen Sie die weissen Schaumspitzen auf den Wogen?“

      Ich schaute über das Meer hin und betrachtete das Spiel der Wellen. Rings um das Schiff und weit im Umkreis wogten und schäumten sie. Es war gleichsam, als wenn eine unzählige Schar kleiner, schneeweisser Lämmer beständig darauf hin und her hüpften. Sie sprangen ohne Unterlass bald in die Luft empor, bald seitwärts hierhin und dorthin, und es schien, dass ihrer stets mehr und mehr wurden.

      Die alte Edda, an die ich hier erinnert wurde, vergleicht allerdings die Wogen und ihre Schaumkronen nicht mit weissen Lämmern; in ihr sind es der Göttin Kolga unruhige Schwestern, Ägirs und Rans starke Töchter. Diese Jungfrauen, heisst es da, „weinen aus Herzenslust und werfen ihre Schleier hoch hinauf zum Himmel“. Sie umringen das Schiff, drängen sich heran, fassen es, schütteln es mit ihren starken Armen, heben es mutwillig empor mit ihren breiten Schultern und ziehen es dann wieder hinab in die Tiefe.

      Ja, der alte Matrose hatte recht: es gab eine bewegte See, und mit der Edda konnten wir sagen, dass wir wirklich den „weinenden Jungfrauen“ begegnet waren. Wir hörten ihr unablässiges Schluchzen und merkten nur allzu gut, wie kräftig sie unser Schiff gepackt hatten.

      Als wir uns dem unruhigen Kattegatt näherten, wurde das Schütteln des Schiffes geradezu unheimlich. Die meisten Passagiere verschwanden in ihren Kabinen: zuerst die Damen mit ihren Kindern, schweigend und bekümmerten Angesichts; dann die Herren, einer nach dem andern, jedoch ganz ruhig, so wie zufällig, als wollten sie bloss irgend etwas heraufholen.

      Aber keiner kam wieder auf Deck!

      Der Grund dieses Verschwindens war nicht schwer zu erraten, besonders wenn man die leichenblassen Gesichter betrachtete. — Ja, das Spiel der „weinenden Jungfrauen“ wirkt eben nicht auf jedermann gleich und vor allem nicht angenehm. — So unglaublich es klingen mag: als zum Mittagessen geläutet wurde, waren wir insgesamt nur noch vier Reisende auf Deck! —

      Etwa fünf Minuten später warf ich einen flüchtigen Blick in den Speisesaal, um zu sehen, wieviele wohl an der Tafel sässen. — Ich machte auch hier die gleiche Beobachtung: zwei Herren und mein kleiner, munterer Reisekamerad, der mit seinem jugendlichen Appetit sich offenbar jedem Essen gewachsen zeigen wollte, bildeten die ganze Mittagstischgesellschaft. Alle übrigen hatten bei der immer stärker werdenden Bewegung des Schiffes an völlig andere Dinge zu denken! —

      Als ich wieder auf das Deck hinaufgegangen war, kam der Kellner auf mich zu und fragte mich freundlich, ob ich nicht zu Mittag speisen wollte.

      „Gern“, erwiderte ich, „wenn ich das hier oben kann.“

      „Gewiss“, sagte der dienstbereite Mann, „ich werde Ihnen bringen, was Sie wünschen.“

      Man spricht von so vielen Mitteln gegen die Seekrankheit. Da will ich einmal auch das meinige angeben:

      Ich kenne für mich kein bewährteres Mittel, als so lange wie möglich oben in der frischen Luft auszuhalten und am besten ruhig in der Mitte des Schiffes, wo die üble schwankende Bewegung nicht so gross ist, auf und ab zu gehen und dabei tüchtig die Gedanken und die Aufmerksamkeit von der unbehaglichen Krankheit abzulenken.

      Das hat mir immer am sichersten geholfen, während dagegen die eigentümliche Luft unten in den Kabinen, selbst bei ruhigem Wetter, schon oft und in kürzester Zeit alle Schrecken der Seekrankheit über mich gebracht hat. Allerdings muss man gut für zwei Dinge sorgen: erstens muss man sich warm halten, und zweitens darf man trotz aller Übelkeit die gewöhnlichen Mahlzeiten nicht unterlassen; doch heisst es dabei sehr mässig sein.

      Dieser Erfahrung folgend, speiste ich oben auf Deck zu Mittag und bewegte mich die übrige Zeit, fast ganz allein, angetan mit Regenmantel und hohen, wasserdichten Gamaschen, langsam in der frischen Luft hin und her. Ab und