Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445761
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unablässig auf und nieder, es wurde gerüttelt und geworfen. Das Wasser spritzte und klatschte wie im Takt über das Deck hin. Auf besseres Wetter war keine Aussicht. —

      Am Abend brachte mir der wackere Kellner mein Essen wieder auf Deck, und ich nahm es abermals unter freiem Himmel ein. Der kleine Friedrich dagegen, der nichts von Seekrankheit spürte, ass unten im Speisesaal.

      Ich befand mich verhältnismässig wohl.

      Als es anfing, dunkel zu werden, sah man da und dort im Umkreis rote und grüne Punkte zwischen den Wogen aufleuchten. Das waren die Laternen der vielen Schiffe, die immer in diesen Gewässern verkehren.

      Für mich entstand jetzt die Frage: Wo soll ich die Nacht zubringen?

      Bei meinem Spaziergang auf Deck kam ich nämlich gerade an der Treppe zu den Kabinen vorbei, da schlug mir eine üble warme Luft entgegen. Ich sagte mir sofort: Nein, dahinunter gehe ich nicht! Lieber bleibe ich jede Nacht oben im Freien, als dass ich ein solches Gift einatme!

      Ich besorgte mir nach einigem Überlegen ein paar wollene Decken und richtete mir im gut gelüfteten Rauchsalon ein Lager her.

      Mein „Bett“ war durchaus behaglich geworden, so dass ich eine gute Nacht erwarten durfte. Ich legte mich bequem zurecht und schloss die Augen. —

      Jetzt aber vernahm ich deutlich, was unten in den Schlafkabinen vor sich ging: Es waren Geräusche, die sich nicht lustig anhörten — ein „Konzert“ von etwas unheimlicher, beinahe herzzerreissender Art! ...

      Ich hatte oft in Reiseschilderungen diesen Vergleich gefunden, und ich glaubte, er sei geschmacklos; aber hier, mitten in der Wirklichkeit, da fand ich, dass das Bild durchaus zutrifft. Während ich nämlich auf meinem Lager ruhte, drangen die wunderlichsten Laute wie von Gespenstern aus einem Grabe zu mir herauf:

      Bald war es ein tiefes Basssolo, bald einige Sopranstimmen in hohen, schneidenden Trillern: wie mir schien, ein paar gesunde kräftige Jungen mit ihrer Mutter.

      Dann hörte man deutlich den Text: „Mutter, Mutter, lass mich ans Land! lass mich ans Land! — Ich will nicht! ich will nicht!“

      Auf einmal wurden die Sopranstimmen von einem hellen Tenor unterbrochen, der jetzt für einige Zeit alles andere übertönte; und endlich fiel der ganze Chor ein mit einem erschütternden Fortissimo. —

      So blieb es mit allen möglichen Änderungen der Stimmen und Töne, während „Ägirs starke Töchter“ rings um uns immer wilder und wilder wurden.

      Zuletzt aber fiel ich doch in Schlaf, trotz allem Jammern und Stöhnen unten im Schiff und trotz dem rasenden Lärm der Wogen draussen auf dem Meere.

      Die Geister des Sturmes hörten nicht auf, uns zu „wiegen“. Sie packten immer von neuem unser Schiff und wendeten und drehten es fortgesetzt. Bald lag ich auf der linken Seite, bald auf der rechten; bald stand ich nahezu auf dem Kopf, bald wieder auf den Füssen. Nie hatte ich Rast oder Ruhe.

      Dennoch schlief ich, oder besser gesagt, schlummerte ich ganz gut in meiner sturmumbrausten Einsiedelei über dem „Konzertsaal“. —

      Als es hell wurde, stand ich hurtig auf und freute mich des neuen Tages.

      3. In Edinburg und auf den Färöern

      Die beiden folgenden Reisetage verliefen ungefähr gleich wie der erste, ich kann sie daher in meiner Schilderung übergehen.

      Am Abend des dritten Tages, als es bereits vollständig finster geworden war, näherten wir uns der schottischen Küste und fuhren planmässig auf die prächtige Hauptstadt Edinburg zu. Die zahllosen, vielfarbigen Lichter am Lande machten einen solchen Eindruck, dass die meisten Passagiere aus ihren Kojen krochen und sich auf Deck schleppten, um den zaubervollen Anblick zu geniessen.

      Unser Deck war nur spärlich beleuchtet. Bleich und müd standen unsere „Sänger der Nacht“ im Chore da, und man sprach ihnen, freundlich und teilnehmend, die besten Glückwünsche aus für ihre schönen Leistungen, obwohl fast keiner — aus Bescheidenheit natürlich — zugeben wollte, dass er bei den nächtlichen Darbietungen mitgewirkt habe. Ganz besonders wurden die kleinen Soprankünstler getröstet, denn es ging jetzt ja bald ihr Wunsch nach dem Lande in Erfüllung.

      So kehrte nach und nach die alte Munterkeit und Geselligkeit auf dem Schiff zurück.

      Der Aufenthalt in Edinburg sollte gut vierundzwanzig Stunden dauern. Alle sehnten sich danach, an Land zu kommen. Die Gründe waren verschieden. Einer davon war sicher die Schönheit der Stadt, die mit Recht als eine der schönsten in ganz Europa gilt. Man wird nie müde, diese Stadt anzusehen.

      Nachdem das Schiff in Granton, einem von Edinburgs Häfen, eingelaufen war, gingen wir alle gleich zu Bett, denn man konnte jetzt doch endlich in Ruhe schlafen.

      Am folgenden Morgen verliess ich mit Friedrich zeitig das Schiff, und wir begaben uns nach der kleinen Eisenbahnstation, von wo bald ein Zug nach Edinburg gehen sollte. Granton liegt nämlich eine Strecke weit von der Stadt entfernt.

      Ich trat an den Schalter, um die Fahrkarten zu lösen. Da bemerkte ich, dass ich nur dänisches Geld bei mir hatte.

      Ich hatte vergessen, mich auf dem Schiff mit englischem. Geld zu versehen.

      Vergebens mache ich nun den Versuch, mit einer dänischen Krone zu bezahlen. Der Beamte verweigerte die Annahme:

      „Bedaure“, sagte er, „ich kann nur englisches Geld nehmen.“

      Während ich so dastehe und nachdenke, wie ich mir helfen soll, tritt ein anderer Eisenbahnbeamter neben mich, nimmt ein paar Geldstücke aus der Tasche und löst zwei Fahrkarten nach Edinburg; die eine reicht er mir, die andere Friedrich — alles mit einem freundlichen, ruhigen Lächeln, ohne ein Wort zu sagen.

      Er hatte meine Verlegenheit bemerkt, er hatte die Antwort des Schalterbeamten gehört und griff dann, ein wahrer Menschenfreund, in der angegebenen Weise helfend ein.

      Ich war gerührt von dieser feinen, liebenswürdigen Zuvorkommenheit und wusste im Augenblick gar nicht, wie ich das vergelten könnte. Nur mit Mühe gelang es mir, den guten Mann zu bewegen, dass er eine Entschädigung in dänischem Gelde annahm.

      Friedrich und ich stiegen darauf in den bereitstehenden Zug, und fort ging’s nach der schönen Stadt.

      Am Bahnhof in Edinburg nahmen wir einen Wagen und fuhren zu lieben Freunden in der Lauriston-Street, die wir im Jahre vorher auf einer Reise nach den Färöern kennen gelernt hatten. Wir wurden vom Rektor des Hauses, dem Bruder des englischen Admirals White, aufs herzlichste begrüsst, blieben den Tag über bei ihm und hatten Zeit, uns mit Lebensmitteln für die kommende Reise durch Island zu versehen.

      Rektor White selbst kaufte für uns im grössten Geschäft in der Princes-Street einen ganzen Kasten voll feine Sachen, meist blanke Metalldosen, auf denen zu lesen war: Beef, Boiled Mutton, Chicken and Ham, Liebig Meat-Extract (das heisst: Rindfleisch, gekochtes Hammelfleisch, Huhn und Schinken, Liebigs Fleischextrakt), usw. usw. Da wir uns nämlich grösstenteils in den unbewohnten Gegenden Islands aufhalten wollten, mussten wir dort ja alles bei uns haben, was man zum Lebensunterhalt brauchte.

      Bei der Abfahrt in Edinburg wurde unsere Reisegesellschaft durch eine Anzahl vornehmer Engländer vergrössert, die sich einige Wochen in der kräftigen, freien isländischen Natur ausruhen wollten, weit weg vom Lärm und Geräusch der grossen Welt. Die Zahl der Passagiere erster Klasse stieg damit auf 53.

      Die Fahrt zwischen Schottland und den Färöern, die wir neu gestärkt durch den schönen Aufenthalt in der Stadt Edinburg antraten, verlief zunächst recht angenehm. Als wir jedoch in die Nähe von Suderö, der südlichsten der Färöer-Inseln, kamen, da erhob sich ein starker Sturm, begleitet von dichtem Nebel. Wir fuhren jetzt daher so nahe wie möglich an den senkrecht aufragenden Felsen hin, um Trangisvaag zu finden, den Fjord, wo das Schiff zuerst anlaufen sollte. Allein die Schwierigkeit war gross; der Nebel verhüllte alles, man konnte nur die nächsten Felswände unterscheiden, die sich drohend zur Linken erhoben.

      Endlich sahen wir einen Fjord. Das Schiff drehte und