Zwischen Eis und Feuer. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711445761
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Mund. Dann bat er sie, mit ihm in sein Haus hineinzukommen. Dort führte er sie in eine grosse, schöne Stube mit dicken Balken an der Decke. Ringsum in der Stube, an den Wänden entlang, standen bemalte Truhen. Mein Vater und die übrigen Männer mussten sich um einen grossen Tisch setzen. Eine Frau brachte dann Kaffee und Kuchen, und der Bauer schenkte noch einen guten, süssen Likör ein. Dann zeigte er ihnen den Hof und die Ställe; die waren so gross, dass sie Platz für mehrere tausend Schafe boten. Überall auf dem Hof waren viele Männer und Frauen und Kinder. Am Schluss, ehe mein Vater und die andern gingen, küsste der Bauer sie wieder.“

      Das, was der kleine Färinger hier alles berichtete, war vielleicht etwas kindlich übertrieben; aber er erzählte es auf eine so einfache, natürliche Art, so frisch und frei und sicher, dass ich ihn immer lieber gewann. Er ist später wohl selbst ein tüchtiger Fischer droben bei Island geworden und hat vielleicht auch den grossen, schönen Hof besucht, wo man einst seinen Vater so gastfrei aufgenommen hatte. —

      Inzwischen waren wir auf dem Berge gegen Thorshavn angelangt. Hier vernahmen wir plötzlich durch die stille Nacht einen gellenden Pfiff unten vom Hafen herauf. Er meldete uns, dass mein Schiff, die „Botnia“, daran sei, sich zur Abfahrt zu rüsten.

      Um das Schiff nicht auf mich warten zu lassen, schlug ich meinem jungen Begleiter einen kleinen Galopp den Berg hinunter vor. Jedoch das musste ich bald bereuen, denn trotz aller Anstrengung war es mir unmöglich, so schnell wie der kleine Färinger zu laufen.

      Als wir in Thorshavn bei seiner Wohnung ankamen, bezahlte ich ihn eiligst, oder vielmehr seine Mutter, und ich gab mehr, als ich mir anfangs vorgenommen hatte, weil der gute, tüchtige Junge das vollauf verdiente, und weil ich obendrein jetzt wusste, dass ich aus einem „wohlhabenden“ Lande stammte!

      Der Knabe und seine Mutter bedankten sich wiederholt und wünschten mir aufs herzlichste eine glückliche Reise.

      Ein Färinger ruderte mich dann zu meinem Schiff hinaus, wo Friedrich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, mich jemals wiederzusehen. Ich stieg sofort an Bord, und gleich darauf setzte sich die „Botnia“ in Bewegung, dem „reichen Island“ entgegen.

      Bei der Fahrt draussen auf dem Atlantischen Meer fühlt man immer deutlicher, wie man sich von der bewohnten Welt entfernt, hinaus in die einsame, uneingeschränkt freie Natur. Man trifft da kaum noch ein Schiff; soweit das Auge reicht, herrscht nichts als Stille und Einsamkeit.

      Doch fehlt dort auch das Leben nicht ganz. Besonders die mächtig grossen Wale fangen hier an, sich häufiger zu zeigen. Bald taucht langsam einer dicht beim Schiff empor: er beschaut sich eine Weile verwundert den schwarzen Koloss, der an ihm vorbeigleitet, und verschwindet dann wieder ruhig in die Tiefe; bald sieht man ganze Scharen dieser gewaltigen Tiere ungestört sich tummeln. Sie schiessen aus ihren Köpfen, wie es scheint, fortgesetzt Wasserstrahlen hoch in die Luft hinauf, und die Passagiere werden nicht müde, das seltsame Schauspiel zu betrachten. —

      So ging die Fahrt noch zwei Tage lang.

      4. Island in Sicht — Die Vestmanna-Inseln

      Am zweiten Tage, nachdem wir von den Färöern abgefahren waren, begannen Passagiere und Schiffsmannschaft gegen Mittag lebhaft nach Land auszuschauen. Die Südwestküste von Island konnte nämlich nicht mehr ferne sein.

      Endlich ging es wie ein Lauffeuer über das ganze Schiff:

      „Land auf Steuerbord!“

      Ein Matrose hatte es deutlich gesehen.

      Nun strömt alles zum Vordersteven. Oben auf der Kommandobrücke stehen der Kapitän und der erste Steuermann mit dem Fernglas in der Hand. Niemand ausser ihnen sieht etwas; aber der Matrose bleibt bei seiner Behauptung, dass Land in Sicht sei.

      Nach einer Stunde sieht man wirklich weit draussen am Horizont eine bläuliche Linie, die beständig höher und höher steigt. Und wieder ein paar Stunden, da erheben sich mächtige Berge über die Wasserfläche.

      Das muss der Öraefajökull (Öraefagletscher) sein, der ungeheure, mit Eis und Schnee bedeckte Vulkan. Aber wegen der grossen Entfernung sehen wir ihn nur schwach.

      Wir fahren unverweilt weiter in westlicher Richtung. Das Land samt dem grossen Jökull verschwindet wieder, um später in vollständig veränderter Gestalt aufs neue zu erscheinen. Diesmal sehen wir gewaltige, dunkelgraue Felsen, die steil aus dem Meere emporragen, und im Hintergrund eine ganze Versammlung von Jökulls, einen neben dem andern: Mýdalsjökull, Botnajökull, Gotalandsjökull, Torsajökull.

      Welch ein Anblick! — Grossartig! mächtig! — Aber zugleich unendlich ernst und düster.

      Neben diesen Bergesriesen gleicht unser Schiff einer kleinen Nussschale, einem unbedeutenden Nichts. Hier herrscht in ihrer ganzen Macht und Grösse die wilde, unbezwungene Natur, die nie von einer Menschenhand berührt wurde.

      In schneller Fahrt geht es dann vorüber an Hjörleifshöfdi, einer ungeheuren Felsenmasse, die sich einsam an der dunklen Küste erhebt und rings von einer vollständig neuen Landschaft umgeben ist:

      Auf beiden Seiten dehnt sich eine düstere Sandwüste aus, Mýrdalssandur genannt, zur Rechten von einem breiten Fluss, dem Kutafljót, begrenzt. An dem Flusse sieht man einen runden grünen Fleck, in dessen Mitte scharfe Augen einen kleinen, schwarzen Punkt entdecken können. Das ist Thikkvabaers-Kloster, früher ein wirkliches katholisches Kloster, jetzt ein einsamer Hof in dieser Wüste.

      Hinter dem Felsen ist ein Weg, den man aber nur mit einem zuverlässigen Führer benützen kann. Wie erzählt wird, sei es nämlich mehr als einmal geschehen, dass ein unvorsichtiger Reiter sich draussen in der Sandwüste verirrte und in die hier so häufigen Sümpfe versank, so dass nie wieder eine Spur von Ross und Reiter gesehen wurde — für Friedrich und mich ein eigenartiges Gefühl, wenn wir an unsern eigenen bevorstehenden Ritt durch dieses Land dachten.

      Ein ganz neuer Anblick bietet sich nach Hjörleifshöfdi: Es kommt Portland oder Dyrhólaey, eine lange, vorspringende Landzunge, vor der ein hoher, steiler Felsen, nicht weit vom Lande entfernt, eine natürliche Wölbung oder Pforte bildet (daher der Name), durch die unser Schiff bequem hätte durchfahren können. Wir dampften jedoch mit voller Kraft daran vorbei.

      An Backbord tummelt sich hier eine Schar Wale, aber man schenkte ihnen kaum noch Beachtung. Wir alle waren hingerissen von dem grossartigen Blick auf das Land. Für die meisten von uns war das eine vollständig neue Welt. Neben den Bergesriesen auf der Insel nehmen sich die grössten Walfische nur wie kleine Zwerge aus. —

      Die Fahrt ist kurzweilig. Es ist schon gegen 8 Uhr abends. Die Sonne ist noch nicht untergegangen. Sie verbirgt sich überhaupt nur für eine kleine Weile hinter der eigenartigen Jökullandschaft zu unserer Rechten.

      Wir entfernen uns wieder vom Land, und wiederum zeigt sich etwas vollständig Neues. Vor uns, weit draussen im Meer, etwa 10 Meilen weit, sieht man eine Inselgruppe. Schwarze Felsengebilde ragen hoch über die Meeresfläche empor:

      Das sind die Vestmanna-Inseln, die im Jahre 1627 ein so trauriges Schicksal hatten. Sie wurden damals von drei algerischen Seeräuberschiffen angegriffen.

      Das klingt unglaublich, aber es ist wahr: die nordafrikanischen Räuber trieben wiederholt hier oben bei Island ihr Unwesen. Sie brannten die Kirche und die Handelshäuser nieder und schleppten gegen zweihundertfünfzig Einwohner als Sklaven nach Afrika; die übrigen töteten sie.

      Diese merkwürdigen Inseln waren unsere erste isländische Station. Wir erreichten sie nach fünf Stunden Fahrt in den isländischen Gewässern zwischen 1 und 2 Uhr nachts.

      Die Passagiere wären hier am liebsten die ganze Nacht aufgeblieben, um die bezaubernde Herrlichkeit dieser Landschaft zu bewundern. Aber plötzlich ward alles in Nebel gehüllt — das schöne, seltsame Bild war auf einmal verschwunden. Darauf begaben sich die meisten doch in ihre Kojen.

      Der kleine Friedrich, der schläfrig geworden war, folgte ihrem Beispiel; ich dagegen konnte mich trotz des Nebels nicht dazu entschliessen: befand ich mich hier doch wieder in meinem lieben Vaterland, das ich fast fünfundzwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatte!

      Menschen,