Die silbernen Schlangen (Bd. 2). Roshani Chokshi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roshani Chokshi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801276
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den Blick durch den Raum schweifen, als erwartete er, dass ihm sofort jemand beipflichtete. Die anderen starrten ihn jedoch nur mit ausdruckslosen Gesichtern an.

      Er setzte nach: »Nun ja, das war noch vor meiner Zeit als Patriarch … Mein Vater erzählte mir, vor Jahren sei dort etwas Eigenartiges vorgefallen. Am Baikalsee soll man schreckliche Laute vernommen haben, geradeso als würden sich einige Mädchen die Seele aus dem Leib schreien. Das nahm derartige Ausmaße an und versetzte die dortigen Einwohner so sehr in Aufruhr, dass die russische Fraktion, Haus Dažbog, den Orden gebeten hat, sich der Sache anzunehmen. Mein Vater sandte daraufhin eine kleine Gruppe von Geistschmiedekünstlern aus. Er wollte herausfinden, ob irgendjemand unter fremdem Einfluss stand. Aber niemand konnte je irgendetwas feststellen.«

      »Und dann hörte es einfach auf?«, fragte Laila.

      Hypnos nickte. »Letzten Endes ja. Die Ortsansässigen waren überzeugt, dass dort Mädchen ermordet worden seien, aber man fand nie auch nur eine Leiche.« Mit dünner Stimme fügte er hinzu: »Ich hoffe sehr, der Schlafende Palast befindet sich nicht in Sibirien.«

      Enrique setzte eine zerknirschte Miene auf. »Ich denke, schon allein der Name bestätigt es uns. Es ist nicht eindeutig geklärt, welchen Ursprung das Wort ›Sibirien‹ hat, aber es klingt verdächtig ähnlich wie das tatarische Wort sib ir für schlafendes Land. Daher auch der Schlafende Palast. Ich kann mich aber auch irren«, sagte er hastig, als er den panischen Ausdruck auf Hypnos’ Gesicht sah. »Wo finden wir diese Brille denn überhaupt? In einer Bank? Einem Museum?«

      »Auf einem privaten Anwesen«, sagte Séverin.

      Er stupste den Mnemospion an seinem Kragen an. Der Schmiedekunstkäfer erwachte mit einem Zittern zum Leben, surrte mit den juwelenfarbenen Flügeln und klickte mit den Zangen. Er riss den Mund auf und projizierte ein Bild an das Bücherregal, auf dem ein stattlicher Herrensitz an der Newa zu sehen war. Der Straßenname stand am Rand: Anglijskaja Nabereschnaja. Der Englische Kai in Sankt Petersburg in Russland.

      »Das nenn ich mal ein … großes Haus«, sagte Enrique.

      »Und es liegt in Russland?«, fragte Zofia und kniff die Augen zusammen.

      Séverin wechselte zu einer weiteren Außenaufnahme des Anwesens. »Die Tezcat-Brille befindet sich in der privaten Sammlung eines Kunsthändlers, in einem Raum, den man den Göttinnensaal nennt. Allerdings konnte ich keine Informationen …«

      Enrique schrie auf. »Von dieser Installation habe ich gehört! Sie ist Hunderte von Jahren alt, und niemand weiß, von welchem Bildhauer sie stammt. Falls sie überhaupt der Bildhauerei zuzuordnen ist. Aber das ist meine Vermutung. Ich wollte sie immer schon mal sehen!« Er strahlte sie alle an und seufzte. »Was sich wohl alles im Göttinnensaal befindet?«

      Zofia hob eine Augenbraue. »Göttinnen?«

      »Das ist doch nur der Name dieses Meisterwerks«, sagte Enrique missbilligend.

      »Der Name lügt also?«

      »Nein, der Name soll nur das Wesen der Kunst einfangen, möglicherweise verbirgt sich darin aber etwas ganz anderes.«

      Zofia runzelte die Stirn. »Manchmal verstehe ich Kunst einfach nicht.«

      Hypnos hob sein Glas. »Hört, hört.«

      »Wir müssen also nur in diesen Saal, die Tezcat-Brille finden und wieder raus«, fasste Zofia zusammen.

      »Nicht ganz«, erwiderte Séverin. »Die Tezcat-Brille ist ein Gestell mit Ornamenten, aber einen entscheidenden Teil – nämlich eine Linse – trägt der Kunsthändler um den Hals.« Er hielt kurz inne und schaute auf seine Notizen: »Ein gewisser Monsieur Michail Wassiljew.«

      »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor …«, sagte Hypnos und rieb sich das Kinn. »Und ihm gehört auch der Göttinnensaal?«

      Séverin nickte.

      »Aber warum sollte das Gefallene Haus ihm den Schlüssel zu seinem altehrwürdigen Palast und dem Schatz überlassen?«, fragte Hypnos. »Was hat er mit der ganzen Sache zu tun?«

      »Und warum sollte er ihn um den Hals tragen?«

      »Angeblich hat er keine Ahnung, worum es sich dabei handelt«, antwortete Séverin. »Meinem Informanten zufolge ist die Linse als persönliches Andenken getarnt. Es sieht aus wie der Schlüssel zum einstigen Schlafgemach seiner Geliebten.«

      Laila starrte auf ihren Schoß und fummelte an einer Troddel ihres Kleides herum. Dieser blutrote Farbton machte ihn wütend. Er konnte den Anblick nicht ertragen.

      »Aber warum ausgerechnet er?« Enrique ließ nicht locker.

      »Er ist einflussreich genug, um bestimmte Sicherheitsmaßnahmen für seinen Besitz zu ergreifen, aber nicht bedeutend genug, um viel Aufsehen zu erregen«, erwiderte Séverin. »Ihn verbindet nichts mit dem Orden, sodass man ihn auch nicht verhören würde. Der größte Skandal in seiner Vergangenheit war die Affäre mit einer Primaballerina, die in die Brüche gegangen ist. Er hat sie geschwängert, sich aber geweigert, sie zu heiraten. Das Kind starb bei der Geburt, woraufhin sie sich umgebracht hat.«

      Enrique erschauderte und bekreuzigte sich.

      »Anschließend tauchte Wassiljew für einige Jahre ab. Zu der Zeit muss er den Göttinnensaal erworben haben. Seine Schuldgefühle trägt er noch heute um den Hals.«

      »Jetzt fällt es mir wieder ein … der russische Eremit«, sagte Hypnos und schüttelte den Kopf. »Wie willst du ihn aus dem Haus locken? Was den Klatsch und Tratsch von Sankt Petersburg angeht, bin ich schon länger nicht mehr auf dem neuesten Stand, aber soweit ich weiß, verlässt er sein Haus nur für …«

      »Das kaiserliche Ballett«, beendete Séverin den Satz und wechselte zu einem Bild des stattlichen Mariinskij-Theaters in all seinem Glanz und Prunk. Auf den Außenbalkonen drehten geschmiedete Ballerinen ihre Pirouetten im Mondschein, bevor sie sich in Rauch auflösten. »Die nächste Aufführung ist in drei Tagen und er wird dort sein. Ich brauche einen Platz neben seiner privaten Loge.«

      Hypnos schnippte mit den Fingern. »Ist so gut wie erledigt. Für Ordensmitglieder ist dort dauerhaft eine Loge reserviert. Ich kann dir eine Karte besorgen.«

      »Wie das?«, fragte Enrique.

      »So, wie immer.« Hypnos zuckte mit den Schultern. »Mit Geld, Charme et cetera pp.«

      »Ich werde mehr als eine benötigen. Eher zwei oder drei«, sagte Séverin und riskierte einen Seitenblick auf Laila. »Laila wird mich als Mätresse auf diese Mission begleiten. Aber es wäre gut, wenn sich noch jemand anschließen würde.«

      Schweigen.

      Séverin hob die Augenbrauen. »Man sollte doch meinen, dass zwei Leute genügen, um sich Zutritt zu Wassiljews Haus zu verschaffen. Jemand Drittes kommt mit uns.«

      Erneutes Schweigen.

      Enrique schien auf einmal fasziniert von seinen Fingernägeln. Zofia machte eine finstere Miene. Séverin sah zu Hypnos. Doch von ihm erntete er nur ein »Ts«.

      »Für kein Geld der Welt würde ich mich zwischen euch beide in die Zuschauerloge setzen.«

      Enrique griff hastig nach einem Glas Wasser und trank so gierig daraus, dass er sich prompt verschluckte. Zofia klopfte ihm auf den Rücken. Séverin versuchte, Lailas Blick zu meiden, aber es war, als wollte er die Sonne ignorieren. Er musste sie nicht sehen, um zu bemerken, dass sie ihn anfunkelte.

      »Es gibt noch einige andere Dinge zu beachten«, sagte Séverin schroff. »Wassiljew hat einen eigenen Privatsalon im Theater, den er nur zusammen mit seinen Wachen aufsucht. Zutritt wird nur denjenigen mit einem ganz bestimmten Blutschmiedekunst-Tattoo gewährt …«

      »Blutschmiedekunst?«, wiederholte Zofia und wurde blass.

      Hypnos pfiff durch die Zähne. »Zweifelsohne ein recht teures Vergnügen.«

      »Blutschmiedekunst? Was ist das noch gleich?«, fragte Enrique. »Das habe ich doch schon mal